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VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR (= ASYLMAGAZIN 11/2016, S. 383 ff.) - asyl.net: M24312
https://www.asyl.net/rsdb/M24312
Leitsatz:

Asylsuchenden aus Syrien droht bei ihrer hypothetischen Rückkehr weiterhin Verfolgung wegen ihnen zugeschriebener politischer Überzeugung. Aktuelle Erkenntnisse belegen, dass der syrische Staat Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt haben, eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt. (Angesichts der Berufungszulassung durch das OVG Rheinland-Pfalz in Parallelverfahren, z.B. Beschluss vom 16.9.2016, asyl.net: M24256, entschied eine Kammer des Gerichts statt des Einzelrichters nach Rückübertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und aufgrund mündlicher Verhandlung. Das Gericht wertet zahlreiche aktuelle Herkunftslandinformationen aus und setzt sich detailliert mit Gegenargumenten des BAMF auseinander.)

Schlagwörter: Syrien, Rückkehrgefährdung, Nachfluchtgründe, Flüchtlingsanerkennung, Asylantrag, Auslandsaufenthalt, subsidiärer Schutz, illegale Ausreise, unerlaubte Ausreise, Folter,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 28, AsylG § 28 Abs. 1a
Auszüge:

[...]

Die Kammer hat das Verfahren aufgrund ihrer bisherigen Rechtsprechung durch Beschluss vom 12. September 2016 zunächst dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem ähnlich gelagerten Parallelverfahren die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 Asylgesetz - AsylG - wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat (vgl. OVG Rheinland- Pfalz, Beschluss vom 15. September 2016 - 1 A 10655/16.OVG -, asyl.net), hat der Einzelrichter das Verfahren am 28. September 2016 gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zur Entscheidung auf die Kammer zurückübertragen. [...]

Die Klage, über das Gericht aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und nach der bindenden Rückübertragung durch den Einzelrichter als Kammer entscheidet (§ 76 Abs. 1 AsylG), hat Erfolg. [...]

3. Ausgehend von diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG zuzuerkennen. Sie haben Syrien zwar nicht wegen einer Vorverfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen (nachfolgend a.). Ihnen droht jedoch bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihnen nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (nachfolgend b. und c.).

a) Die Kläger sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder durch nichtstaatliche Akteure wegen eines der vorstehend genannten Gründe haben die Kläger weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert geltend gemacht.

In ihren Anhörungen vom 21. Juli 2016 gaben der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) als Gründe für die Ausreise aus Syrien im Wesentlichen das allgemeine Kriegsgeschehen in Aleppo und die damit verbundene Gefährdung von Leben und Gesundheit ihrer selbst sowie ihrer Kinder an. Diese Darstellung haben die Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer im Wesentlichen bestätigt. Soweit der Kläger zu 1) im Verwaltungsverfahren das Verschwinden eines Nachbarn christlichen Glaubens erwähnt hat, so ist die Darstellung des zugrundeliegenden Sachverhalts im gesamten Verfahren zu unspezifisch geblieben, um der Kammer die Überzeugung einer religiös motivierten (Vor-)Verfolgungssituation glaubhaft zu vermitteln. Die Beklagte ist im angefochtenen Bescheid vom 10. August 2016 (jedenfalls insoweit) zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger weder eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG noch einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG substantiiert vorgetragen haben, wozu sie jedoch im Falle ihres Vorliegens gemäß §§ 15 Abs. 1, 25 Abs. 1 und 2 AsylG verpflichtet gewesen wären.

Unzutreffend hat die Beklagte jedoch ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, dass in den Personen der Kläger "lediglich" stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt ernsthafter individueller Bedrohungen des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht und hat dementsprechend den Klägern rechtsfehlerhaft nur den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG zuerkannt. Dabei hat die Beklagte ihre Entscheidung über das Nichtvorliegen der Flüchtlingseigenschaft ausschließlich auf die fehlende Vorverfolgung der Kläger gestützt, ohne das Vorliegen von Nachfluchttatbeständen im Sinne des § 28 AsylG auch nur in Betracht zu ziehen. Allein aus diesem Grund erweist sich der Bescheid vom 10. August 2016 als rechtswidrig und ist - soweit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt worden ist - aufzuheben.

b) Die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Kammer führt indes auch zu dem Ergebnis, dass Nachfluchtgründe in den Personen der Kläger vorhanden sind. Ihnen droht aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nach Abwägung aller bekannten Umstände bei hypothetischer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verfolgung jedenfalls wegen zugeschriebener politischer Überzeugung (§ 3a Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG), die eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheinen lässt.

aa) Das Gericht ist im Rahmen seiner bisherigen Rechtsprechung auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisquellen davon ausgegangen, dass die syrische Regierung die illegale Ausreise aus dem Land, den entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland und die dortige Stellung eines Asylantrags als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (vgl. nur VG Trier, Urteil vom 14. Juni 2016 - 1 K 1105/16.TR -, n.v.; VG Trier, Ur- teil vom 16. Juni 2016 - 1 K 1576/16.TR -, juris, jeweils m.w.N.). [...]

Diese Rechtsprechung folgte erstens aus Berichten über die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des europaweiten Abschiebestopps im April 2011 nach Syrien abgeschoben wurden und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (nachfolgend 1.), zweitens der umfassenden Beobachtung von oppositionsverdächtigen syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste (nachfolgend 2.) sowie drittens der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und aus der aktuellen Berichterstattung zur Situation des Regimes (nachfolgend 3.). [...]

bb) Die Verfolgungssituation gegenüber tatsächlichen und vermuteten politischen Gegnern in Syrien hat sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht maßgeblich geändert. Zur Überzeugung des Gerichts liegt auch zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht der Kläger vor Verfolgung vor. Ihnen droht nach dem vorstehend beschriebenen Maßstab bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihnen nicht zumutbar ist, nach Syrien zurückzukehren.

Zwar sind hinsichtlich der Behandlung von aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen belastbare Fakten aus der jüngeren Vergangenheit nur lückenhaft vorhanden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge aus Syrien mehr in ihre Heimat abgeschoben wurden. Die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer im Falle der Rückkehr drohenden Verfolgung, ihres Charakters und ihrer Schwere muss daher in erster Linie im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 32; VG Meiningen, Urteil vom 27. März 2014 - 1 K 20092/12 Me -, juris Rn. 31). Dies zugrunde gelegt, führt die "qualifizierende Betrachtungsweise" im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu dem Ergebnis, dass in einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Kläger berechtigt die Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, da die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.

(1) Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage werden Personen, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, weiterhin systematisch Opfer einer Behandlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt (vgl. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG).

(a) Das US State Department, dem auch Erkenntnisse über das Schicksal von Personen vorliegen, die in jüngerer Vergangenheit durch nichteuropäische Staaten nach Syrien zurückgeführt worden sind, führt in seinem jüngsten Menschenrechtsbericht 2016 zur Lage in Syrien aus, dass bei ihrer Rückkehr in das Land sowohl Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht haben, als auch solche, die Verbindungen zur syrischen Muslimbruderschaft hatten, verschärften Ermittlungen ausgesetzt waren. Das Gesetz erlaube die Verfolgung jeder Person, die in einem anderen Land um Asyl nachgesucht habe, um einer Bestrafung in Syrien zu entgehen. Die Regierung inhaftiere regelmäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Verbindungen, die nach Jahren oder sogar nach Jahrzehnten des selbstgewählten Exils versuchten, in das Land zurückzukehren (vgl. United States Department of State, 2015 Human Rights Re- port: Syria, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor. 2015 Country Reports on Human Rights Practices, April 13th, 2016, S. 35/36, verfügbar unter www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt /humanrightsreport/index.htm, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

(b) Das Immigration and Refugee Board of Canada stellt in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 fest, dass Personen, die erfolglos im Ausland um Asyl nachgesucht hätten, im Falle ihrer Rückkehr regelmäßig inhaftiert würden und in konkreter Gefahr stünden, gefoltert zu werden, um die Gründe ihrer Ausreise zu offenbaren. Zudem werde in vielen Fällen der Vorwurf gegen die Rückkehrer erhoben, der Regierung gegenüber feindselig eingestellt zu sein und im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. In diesen Fällen riskiere der erfolglose Asylsuchende eine lange Inhaftierung oder Folter. Zwar bestehe insoweit kein Automatismus. Während traditionell ausgerichtete Entscheidungsträger einen Rückkehrer immer als potenziellen Oppositionellen erachten würden, gebe es auch Fälle, in denen etwa eine Ausreise aus wirtschaftlichen Gründen als berechtigt anerkannt werde. Die Zuspitzung des Bürgerkrieges habe jedoch die Schwelle für Verdächtigungen erheblich gesenkt. Besonderes Augenmerk werde bei Rückkehrern zudem auf die Form der Ausreise aus Syrien gerichtet. Da eine Genehmigung der Regierung für die Ausreise erforderlich sei und Frauen zudem die Erlaubnis eines männlichen Verwandten vorlegen müssten, könne die Regierung jederzeit feststellen, ob eine Person das Land legal verlassen habe und zu welchem Zeitpunkt dies erfolgt sei (vgl. Immigration an Refugee Board of Canada [IRB], Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014 - December 2015], January 19th, 2016, verfügbar unter www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

(c) Diese Verhaltensmuster finden ihre Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen, die Oppositionsbewegungen zu unterstützen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International führt im jüngsten Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass die Nachforschungen der Organisation seit dem Beginn der Krise 2011 darauf hindeuten würden, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe, willkürlich inhaftiert zu werden, zu "verschwinden" oder gefoltert bzw. misshandelt zu werden und möglicherweise in der Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit würden variieren und könnten sowohl friedliche Aktivitäten wie die eines Menschenrechtsaktivisten, medizinische Hilfe für bedürftige Zivilisten als auch die Mitorganisation von reformbestrebten Demonstrationen umfassen (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 16, verfügbar unter www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508 /2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

Inhaftierungen nach freiem Ermessen der Sicherheitsbehörden werden auch dadurch gefördert, dass der syrische Staat mit dem "Gesetz Nr. 55" vom 21. April 2011 regelt, dass eine Inhaftierung ohne konkreten Vorwurf oder gar eine förmliche Anklage für eine Dauer von bis zu 60 Tagen möglich ist. Ein Zugang zu staatlichen Gerichten ist den so Inhaftierten nicht möglich. Seit 2012 wurde zudem ein sog. Anti-Terrorismus-Gericht etabliert, dessen Verfahrensgestaltung grundsätzliche rechtsstaatliche Verfahrensregeln missachtet (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 14, Fn. 23, verfügbar unter www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

(d) Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in ihrem Bericht vom 11. August 2016 das Vorliegen zehntausendfacher Fälle des Verschwindenlassens von Personen seitens der syrischen Regierung festgestellt:

"75. Civilians, mainly men of fighting age, continue to vanish from the streets of the Syrian Arab Republic. Tens of thousands of Syrians are missing, many in circumstances that suggest they have been forcibly disappeared. (…)

77. In a pattern that began in March 2011 and which continues to this day, Syrians are arrested or abducted by State agents and thereafter disappear from public view. Relatives continue to report cases of those who disappeared between 2011 and 2015. Common sites of arrest and abduction include checkpoints, hospitals, workplaces and homes.

78. Throughout the Commission’s existence, Syrians have recounted the terror they feel when passing through government checkpoints for fear of being taken and never heard from again. Some women indicated the final trigger for their becoming refugees was the fact that their adolescent sons faced increasing risks of being held at checkpoints. This fear is well justified: many Syrians have had family members vanish following arrest or abduction by government forces. (…)

79. Other victims have disappeared while imprisoned, having been transferred from a known detention centre to an unknown location. (…)" (Human Rights Council, 33rd session, Report of the Independent International Commission Inquiry on the Syrian Arab Republic, August 11th, 2016, UN-Doc A/HRC/33/35, verfügbar unter: documents-ds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G16/178/60/PDF/G1617860.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

"75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)

77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.

78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)

79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden." (sinngemäße Übersetzung durch die Kammer)

(e) Dabei beschränken sich nach der bestehenden Erkenntnislage die Verhaftungen, Befragungen und dauerhaften Inhaftierungen sowie Folterungen nicht nur auf Personen, bei denen eine regierungsfeindliche Haltung bereits durch die Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen, Internetaktivitäten oder sonstige Handlungen nachweislich kundgetan worden ist. Vielmehr werden in zunehmendem Maße menschenrechtsrelevante Eingriffe auf Grundlage von Vermutungen, Denunziationen, bestehender Verwandtschaft mit anderen Verdächtigen oder kraft reiner Willkür vorgenommen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) stellt insoweit in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf syrischer Flüchtlinge in der aktualisierten Fassung vom November 2015 fest:

"Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größere Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften die Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen.

Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist." (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 11-14, verfügbar unter: www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/ opendocpdf.pdf?reldoc=y&docid=56ba17344, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

Den Berichten des UNHCR kommt dabei besonderes Gewicht zu, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, juris Rn. 38).

(f) Bestätigt werden diese Erkenntnisse auch durch die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Diese hat im Rahmen einer Schnellrecherche vom 10. September 2015 unter Bezugnahme auf verschiedene sonstige Quellen und unter Auswertung der seinerzeit bekannten Erkenntnislage festgestellt, dass in zahllosen Fällen von Familienangehörigen berichtet werde, die von den Sicherheitskräften verhaftet und gefoltert würden, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen (sog. Reflexverfolgung). Auch Kinder seien von den Maßnahmen betroffen gewesen, die sich zum einen gegen Angehörige bewaffneter Gruppierungen, zum anderen aber auch gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten, Regierungskritiker wie auch gegen Mitglieder von Menschenrechtsgruppen richteten. Die meisten Verhaftungen seien im Geheimen und auf Befehl eines der Sicherheitsapparate durchgeführt worden. Dabei habe in vielen Fällen eine offizielle Begründung für die Verhaftung gefehlt, häufig habe es sich um willkürliches Vorgehen gehandelt. Diese Dynamik der Reflexverfolgung stelle eine "ganz entscheidende Charakteristik des anhaltenden syrischen Konflikts" dar. Betroffen seien demnach insbesondere Familienangehörige von mutmaßlichen Protestierenden, Aktivisten, Mitglieder von Oppositionsparteien und bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen, Dienstverweigerer und Überläufer. Zudem seien Fälle bekannt, in denen es durch Reflexverfolgung zu "willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Folter und anderen Misshandlungen, sexueller Gewalt sowie standrechtlichen Hinrichtungen" gekommen sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH- Länderanalyse vom 10. September 2015 zu Syrien: Reflexverfolgung, verfügbar unter www.fluechtlingshilfe.ch assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150908-syrreflexverfolgung.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

(g) Die so Inhaftierten sind zudem jenseits der bestehenden Gefahr der Folter, des Verschwindenlassens und der willkürlichen Tötungen jedenfalls Haftbedingungen ausgesetzt, die ihrerseits Menschenrechtsverletzungen im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG darstellen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 23. Mai 2016 darüber, dass nach Angaben der in London ansässigen "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte" in den Gefängnissen der syrischen Regierung mindestens 60.000 Menschen zu Tode gekommen seien, seitdem die Kampfhandlungen im Jahr 2011 ausbrachen (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23. Mai 2016, S. 7).

(h) Eine Recherche von Amnesty International, die in ihrem aktuellen Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien anhand zahlreicher Beispiele umfassend darlegt, bestätigt, dass die Verhörpraktiken der syrischen Behörden maßgeblich auf Folter und Erniedrigung beruhen und dass die Häftlinge in überfüllten Gefängnissen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Wasser und Nahrung sowie adäquaten Unterkünften und sanitären Einrichtungen haben (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 37 ff., verfügbar unter www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

(i) Gleichlautend ist ein Bericht der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch aus dem Dezember 2015, in dem unter anderem systematisch Augenzeugenberichte zur Lage in den staatlichen Gefängnissen ausgewertet wurden. Darin heißt es exemplarisch:

"Alle von Human Rights Watch befragten ehemaligen Gefangenen beschrieben Zustände in ihren Zellen, welche das Recht der Inhaftierten auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzten. In einigen Fällen lag eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Folter vor. Nach der Auskunft von Gefangenen, die nach verbesserten Haftbedingungen fragten und von einem Deserteur, der als Gefängniswärter arbeitete, wussten die Behörden von diesen Bedingungen und förderten sie durch die Verweigerung von angemessener Nahrung, gesundheitlicher Versorgung, Hygieneartikeln, ausreichender Durchlüftung und ausreichend Raum." (vgl. Human Rights Watch, If the Dead could speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, Dezember 2015, verfügbar unter www.hrw.org/report/2015/12/16/if-dead-could- speak/ mass-deaths-and-torture-syrias-detention-facilities, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).

(j) Die Gesamtschau der verfügbaren Erkenntnisquellen, im Rahmen derer den regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris Rn. 11, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. [N.S. ./. Secretary of State for the Home Department] -, NVwZ 2012, 417, juris Rn. 90), führt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegungen sowie ihren Angehörigen die konkrete Gefahr der willkürlichen Inhaftierung zu menschenunwürdigen Bedingungen und der Misshandlung bis hin zur Folter und der willkürlichen Tötung droht. In der Durchführung der willkürlichen Inhaftierungen liegen Verletzungen von Art. 7 EMRK, in der Durchführung der Folter und der unmenschlichen Behandlung in der Haft Verletzungen von Art. 3 EMRK und in der willkürlichen Tötung oder dem Verschwindenlassen Verletzungen von Art. 2 Abs. 1 EMRK. Alle genannten Konventionsrechte sind nach Art. 15 Abs. 2 EMRK notstandsfest, so dass jedwede der genannten Verletzungen eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellt.

Die übereinstimmenden Berichte belegen zudem, dass sich die Verfolgung in erster Linie gegen Personen und Personengruppen richtet, die seitens der syrischen Regierung in dem - berechtigten oder unberechtigten - Verdacht stehen, politisch nicht fest im Regime verankert zu sein und die aus Sicht der Regierung gebotene Treuepflicht durch ein vermeintlich illoyales Verhalten oder schlichte Passivität in der Bürgerkriegssituation verletzt zu haben. Hierin liegt eine Verfolgung wegen der tatsächlichen oder zugeschriebenen politischen Überzeugung der Betroffenen im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG, die eine in hinreichendem Maße gefestigte Verknüpfung zur Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG aufweist.

(2) Auch die Erkenntnislage zum fortbestehenden Interesse der syrischen Regierung an der Exilopposition im Ausland lässt keine maßgebliche Änderung der Sachlage erkennen. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die syrischen Geheimdienste im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine weitreichende Beobachtung von oppositionsverdächtigen syrischen Staatsangehörigen im Ausland vornehmen.

(a) Der Verfassungsschutzbericht 2015 des Bundesministeriums des Innern stellt insoweit unmissverständlich fest:

"Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen." (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.)

(b) Dies deckt sich mit den Erkenntnissen aus den Verfassungsschutzberichten der Länder. So hat der Verfassungsschutz des Landes Rheinland-Pfalz festgestellt, dass die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland "forcieren" (vgl. Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 82). Der Verfassungsschutz des Freistaats Sachsen führt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015 explizit aus:

"Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden. Als Agenten können vermeintliche Flüchtlinge oder seit längerem in Deutschland lebende Landsleute zum Einsatz kommen." (vgl. Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236).

Der Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015 fest, dass verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens in der Hansestadt aktiv seien, die ein "besonderes Interesse (…) an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden", haben (vgl. Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 215). Der Hessische Verfassungsschutzbericht 2015 beschreibt die Aktivitäten syrischer Geheimdienste im Land folgendermaßen:

"Der überwiegende Teil der im Berichtsjahr in die Bundesrepublik eingereisten Flüchtlinge stammt aus Ländern, in denen staatliche Strukturen nur noch begrenzt vorhanden sind, wie etwa Syrien und Irak. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten." (vgl. Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162).

(c) Diese übereinstimmende Erkenntnislage der deutschen Verfassungsschutzbehörden belegt das uneingeschränkt fortbestehende Interesse der syrischen Regierung an der Erlangung von Kenntnissen über die bestehenden Strukturen der Exilopposition sowie an deren perspektivischer Schwächung oder Zerschlagung. Zugleich dürften bereits aufgrund der hohen Zahl von Asylsuchenden aus Syrien in den Jahren 2014 und 2015 die personellen und sachlichen Mittel der syrischen Geheimdienste unzureichend sein, um eine systematische Erfassung und Bewertung der Oppositionsnähe aller in Deutschland lebenden Syrer zuverlässig zu gewährleisten. Aus diesen Grund steht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr allein schon aufgrund der lückenhaften geheimdienstlichen Erkenntnislage verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen werden, um die Motive der Ausreise sowie die etwaige Verbindung zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen.

(d) Schließlich hat auch die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg ausgewachsenen Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen verfügbaren Mitteln zu begegnen sei. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 34; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 - A 7 K 2987/12 -, juris Rn. 27). Während schon vor Beginn der Aufstände teilweise wochenlange Inhaftierungen und Verhöre von aus dem Ausland kommenden und nicht exponiert auftretenden Syrern nicht unüblich waren, wird unter den konkreten derzeitigen Umständen jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr als möglicher Oppositioneller angesehen werden (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 34; VG Aachen, Urteil vom 11. Januar 2012 - 9 K 1698/10.A -, juris Rn. 20 ff.).

(3) Die Entwicklung der innenpolitischen und militärischen Lage in Syrien rechtfertigt auch nicht die Annahme, dass der syrischen Regierung im Falle der hypothetischen Rückkehr der Kläger keine ausreichenden finanziellen oder personellen Ressourcen zur Verfügung stehen könnten, so dass aus diesem Grunde die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht bestünde.

(a) Es bestehen gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Regierung in absehbarer Zukunft militärisch oder wirtschaftlich kollabieren könnte. Vielmehr hat sich die militärische Situation seit Frühjahr 2013 aufgrund des zunächst kleineren zu verteidigenden Gebiets, dem Ende der Massendesertionen und gestützt auf die Luftwaffe sowie massierte Artillerieeinsätze stabilisiert. Die Regierungstruppen konnten im Wesentlichen ihre Stellungen halten und lokal begrenzte Erfolge erzielen. Im Mai 2013 trafen Milizen der schiitischen Hisbollah in großer Zahl aus dem Libanon kommend in Syrien ein und schlossen sich den Regierungstruppen an. Mit dieser Unterstützung gelang es den syrischen Streitkräften an mehreren Stellen, die Rebellen zu schlagen und größere Gebiete, etwa die als Schlüsselstellung für den Rebellennachschub wichtige Stadt Kusseir, zu erobern.

Mitte August 2015 begann Russland mit dem Aufbau einer Basis in Latakia, die es den Luftstreitkräften ermöglichen sollte, die Regierungstruppen zu unterstützen. Im September 2015 begannen russische Kampfflugzeuge, Stellungen des Islamischen Staates, aber auch anderer Oppositionsgruppen aus der Luft anzugreifen.

Anfang des Jahres 2016 rückten regimetreue Kräfte aus dem Iran, dem Libanon und aus Afghanistan unter dem Schutz russischer Luftangriffe in die Region nördlich von Aleppo vor und vertrieben die dortigen Oppositionsgruppen. Die Stadt ist seit Sommer 2016 eingekesselt. Im September 2016 kam es zu massiven Luftangriffen gegen das Stadtzentrum, die von einer Bodenoffensive gefolgt wurde (vgl. The New York Times vom 23. September 2016, 'Doomsday Today in Aleppo': As-sad and Russian Forces Bombard City, verfügbar unter www.ny- times.com/2016/09/24/world/middleeast/aleppo-syria-airstrikes.html; Süddeutsche Zeitung vom 24. September 2016, Massive Luftangriffe gegen Aleppo, verfügbar unter www.sueddeutsche.de news/politik/konflikte-massive-luftangriffe-gegen-aleppo-dpa.urn-newsml-dpacom- 20090101-160924-99-573005; Tagesschau vom 27. September 2016, Auf Luftangriffe folgt Bodenoffensive, verfügbar unter www.tagesschau.de/ausland/syrien-aleppo-offensive-101.html, letzter Auf- ruf jeweils: 7. Oktober 2016).

(b) Russische Streitkräfte unterstützen die Regierungstruppen weiterhin uneingeschränkt militärisch, logistisch und mit Geheimdienstinformationen (vgl. The New York Times vom 30. September 2016, Russia Fighting in Syria for a Year, Still at Odds With US, verfügbar unter www.nytimes.com/aponline/2016/09/30/us/politics/ap-us-united-states-russia.html; Spiegel-Online vom 1. Oktober 2016, Luftangriffe in Syrien - Krankenhaus in Aleppo bombadiert, verfügbar unter www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-krankhaus-in-aleppo-bombardiert- russland-schickt-flugzeuge-a-1114858.html, letzter Aufruf jeweils: 7. Oktober 2016). Diese fortdauernde Unterstützung der syrischen Regierung trotz ausgehandelter Waffenruhe hat auch zum Scheitern der Friedensgespräche geführt (vgl. The New York Times, Tension With Russia Rises as US Halts Syria Negotiations, verfügbar unter www.nytimes.com/2016/10/04/world middle-east/us-suspends-talks-with-russia-on-syria.html, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Dieses Vorgehen beweist, dass offensichtlich jedenfalls ausreichende personelle und wirtschaftliche Ressourcen vorhanden sein müssen, um neben militärischen Erfolgen zumindest die überwiegende Zahl der Rückkehrer einer Befragung und Inhaftierung zu unterziehen, zumal für diese Tätigkeiten auch die Rekrutierung oder Reaktivierung von Soldaten und Sicherheitskräften in Betracht kommt, die - etwa aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustands - nicht mehr zur Beteiligung an aktiven Kampfhandlungen an der Front geeignet sind.

(c) Auch steht der internationale Flughafen in Damaskus als einziges mögliches Ziel einer zwangsweisen Rückführung nach Syrien unverändert unter der Kontrolle der Regierungskräfte. Bereits aus diesem Grund fehlt den Klägern auch eine inländische Fluchtalternative ("interner Schutz"). Selbst wenn innerhalb eines beschränkten Teils von Syrien keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG für die Kläger bestünde (vgl. hierzu aber bereits Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 10), könnten diese jedenfalls nicht sicher und legal in diesen Landesteil reisen, bevor sie in die Hände der Sicherheitskräfte der Regierung fallen (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Die Kammer bezweifelt freilich, dass die Kläger selbst bei der unterstellten Möglichkeit, im Falle der hypothetischen Rückkehr sicher und frei innerhalb Syriens zu reisen, eine inländische Fluchtalternative bestünde, da die dortigen Machthaber der Opposition oder des Islamischen Staats Ausreisenden aus regierungskontrollierten Gebieten ebenfalls mit Misstrauen und Zwangsmaßnahmen begegnen dürften. Hiervon ist ersichtlich auch die Beklagte ausgegangen, da sie den Klägern den subsidiären Schutzstatus zugebilligt hat, der ebenfalls von dem Fehlen internen Schutzes abhängig ist (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG).

(4) Nach alledem muss in Ansehung der vorliegenden Erkenntnisse trotz gestiegener Ausreisezahlen nach wie vor davon ausgegangen werden, dass wegen der illegalen Ausreise der Kläger, ihrem Aufenthalt in westlichen Ausland und der hiesigen Asylantragstellung im Falle ihrer Abschiebung nach Syrien eine Befragung und gegebenenfalls Inhaftierung durch syrische Sicherheitskräfte erfolgen wird, bei der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter zu erwarten ist und die zumindest auf einer den Klägern durch die Verfolger zugeschriebenen politischen Überzeugung beruht.

Dieses Ergebnis entspricht auch der weit überwiegenden aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. VG Köln, Urteil vom 23. Juni 2016 - 20 K 1599/16.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris; VG Meiningen, Urteil vom 1. Juli 2016 - 1 K 20205/16 Me -, n.v.; VG Regensburg, Urteil vom 6. Juli 2016 - RN 11 K 16.30889 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2016 - VG 23 K 486.16 A -, n.v.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 10. August 2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 15. August 2016 - 12 A 149/16 -, asyl.net; VG Köln, Urteil vom 25. August 2016 - 20 K 664/15.A -, juris; VG Würzburg, Urteil vom 7. September 2016 - W 2 K 16.30603 -, asyl.net).

Daneben hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung eine faktische Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zukommt und die damit mittelbar die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflusst (vgl. statt vieler: BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. -, BVerfGE 128, 326, juris Rn. 88, 89, m.w.N.) in einer Entscheidung vom 15. Oktober 2015 die beabsichtigte Rückführung von erfolglosen Asylbewerbern aus der Russischen Föderation nach Syrien aufgrund der dortigen Verfolgungsgefahr wegen zugeschriebener oppositioneller Einstellung als Verletzungen von Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK bewertet. Hierfür hat er neben den im Einzelnen aufgeführten Erkenntnisquellen als ausreichend erachtet, dass es sich bei einem Beschwerdeführer um einen staatenlosen Palästinenser handelte, ein weiterer Beschwerdeführer einen Verwandten in dem Konflikt verloren hatte, alle Beschwerdeführer im wehrfähigen Alter waren und aus Aleppo bzw. Damaskus stammten, wo besonders schwere Kämpfe stattgefunden hatten (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 40081/14, 40088/14, 40127/14 [L.M. u.a. ./. Russische Föderation] -, HUDOC, Rn. 123-125).

cc) Soweit die Beklagte in anderen Verfahren die Auffassung vertreten hat, dass sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge im Rahmen der Massenausreise geändert habe und daher im Vergleich zu früheren Jahren nur noch ein geringeres Interesse der syrischen Regierung zur Befragung von Rückkehrern bestehe, verkennt die Kammer nicht, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beginn des Bürgerkriegs mehr (tatsächliche) Oppositionelle aus dem Land geflohen sind, während die in den Jahren 2014 bis 2016 ausgereisten Personen überwiegend wegen der Kriegsereignisse das Land verlassen haben. Dies führt jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht dazu, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG entfiele. Erstens ist angesichts der weiteren Zuspitzung des Konflikts in Syrien nicht zu erwarten, dass die totalitär ausgerichtete Regierung den Verfolgungsdruck auf potenzielle Gegner mit der Erwägung mildert oder gar aufgibt, dass eine etwas geringere Wahrscheinlichkeit besteht, einen schon vor der Ausreise aktiven Oppositionellen ausfindig zu machen. Zweitens dürfte sich aufgrund des Umstands der illegalen Ausreise für den Rückkehrer im Einzelfall auch nicht mehr belegen lassen, dass er erst zu einem Zeitpunkt das Land verlassen hat, als sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge bereits von den mehrheitlichen Regimegegnern zu den mehrheitlichen Kriegsopfern verschoben hatte.

Zudem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Zahl von über 4 Millionen Flüchtlingen, die Syrien seit dem Beginn des Bürgerkriegs verlassen haben, und von der die Beklagte jeweils bei der Darstellung der Massenauswanderung im Rahmen ihrer Anträge auf Zulassung der Berufung ausgeht, nur zu einem untergeordneten Anteil Personen beinhaltet, die - wie die Kläger - in das westliche Ausland geflohen sind. Die weit überwiegende Mehrzahl verbleibt in den Nachbarstaaten Syriens. Ausweislich des jüngsten Berichts des UNHCR über die globale Flüchtlingssituation 2015 sind von den 4,9 Millionen Flüchtlingen aus Syrien rund 2,5 Millionen in die Türkei, circa 1,1 Millionen in den Libanon und etwa 600.000 nach Jordanien geflohen (vgl. UNHCR, Global Trends. Forced Displacement in 2015, June 20th, 2016, S. 21; verfügbar unter www.uno- fluechtlingshilfe.de/fileadmin/redaktion/Infomaterial/global_trends_2015.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Damit hat im Ergebnis nur rund ein Siebtel der aus Syrien ausgereisten Personen in anderen als den genannten Staaten um internationalen Schutz nachgesucht. In Anbetracht dessen erscheint es nach dem Maßstab eines vernünftigen und besonnenen Menschen ebenfalls nicht als weniger wahrscheinlich, dass dem wiederum geringeren Anteil der Ausreisenden, der im westlichen Ausland um internationalen Schutz nachgesucht hat, im Falle der Rückkehr ins Heimatland im Vergleich zu den in der Großregion verbliebenen Kriegsflüchtlingen eine erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Sicherheitskräfte zuteil wird.

dd) Soweit einzelne Gerichte davon ausgehen, dass die syrische Regierung zu systematischen Verfolgungsmaßnahmen angesichts der Massenausreise und des partiellen Zusammenbruchs staatlicher Strukturen schon aus Kapazitätsgründen nicht mehr in der Lage sei oder kein Interesse mehr an solchen hätte (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, juris Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 14 A 215/14.A -, juris; bestätigt durch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. September 2016 - 14 A 1802/16.A -, juris Rn. 12), handelt es sich dabei um eine Mutmaßung, die die Kammer den vorliegenden Erkenntnisquellen so nicht zu entnehmen vermag (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris) und die auch die gestärkte Position der syrischen Regierung in der allerjüngsten Vergangenheit verkennt.

Zudem entfällt die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen nicht dadurch, dass ein Regime möglicherweise durch Überlastung seiner Sicherheitskräfte im Falle massenhafter Rückkehr/ Abschiebung ab einem gewissen Moment nicht mehr in der Lage ist, die Verfolgungsmaßnahmen effektiv und systematisch durchzusetzen. Es kann bereits bei der Prognose der Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht unterstellt werden, dass die Masse der Flüchtlinge "auf einen Schlag" in die Heimat zurückkehrt. Vielmehr muss bei realitätsnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die Rückkehrer allenfalls in Gruppen von einigen Hundert bis wenigen Tausend Personen pro Tag zurückgeführt werden. Diese Größenordnung dürften auch auf lange Sicht durch einen effektiven Sicherheitsapparat, der faktisch keinen verfahrensrechtlichen oder sonstigen rechtsstaatlichen Beschränkungen unterliegt, zu bewältigen sein. Daneben kann der Wahrscheinlichkeitsprognose des individuellen Asylsuchenden nicht zulässigerweise zugrunde gelegt werden, dass er erst zu einem Zeitpunkt in das Heimatland zurückgeführt wird, zu dem das Sicherheitssystem zusammengebrochen ist und daher keine effektive Verfolgung mehr stattfindet. Im Gegenteil muss auch die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass er vor diesem Zeitpunkt nach Syrien gelangt und (noch) Opfer systematischer Verfolgung wird oder dass seine Rückkehr in die Phase des Zusammenbruchs fällt, die nach den empirischen historischen Erfahrungen mit im Untergang befindlichen totalitären Systemen in der Regel von besonderer Unnachgiebigkeit und Brutalität geprägt ist. Angesichts dieser Ungewissheit kann die Rückkehr aus der Sicht eines besonnen und vernünftigen Menschen, gerade auch in Ansehung der Schwere der zu befürchtenden Menschenrechtsverletzungen, nicht mehr als zumutbar erachtet werden.

ee) Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 15. September 2016 - 1 A 10655/16.OVG - die Frage als klärungsbedürftig angesehen hat, ob Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung droht oder ob individuelle Gründe hinzutreten müssen, ist zu betonen, dass die genannten Voraussetzungen bereits für sich genommen individuelle Verfolgungsgründe darstellen. Es handelt sich nämlich nicht um eine Gruppenverfolgung, sondern um eine "Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit" (vgl. bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 24 ff.). Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, stellt in dieser Konstellation für den Verfolger nur ein Element in seinem Feindbild dar, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist hierbei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1996 - 9 B 14.96 -, DVBl. 1996, 623, juris Rn. 5).

In diesem Sinne liegen die zum Anlass für die Verfolgung genommenen Merkmale vorliegend erstens in der illegalen Ausreise und der damit verbundenen Aufkündigung der von der syrischen Regierung geforderten Loyalität im Kampf gegen die Oppositionsgruppierungen, zweitens in der Flucht und dem längeren Aufenthalt in einem westlichen Land, durch die die Ausreisenden nach Sicht der Regierung eine Identifikation mit der dortigen Werteordnung und der westlichen Unterstützung der Opposition in Syrien zum Ausdruck bringen sowie drittens der Asylantragstellung, die den dauerhaften Bruch mit dem syrischen Staat nach außen zum Ausdruck bringt. Da die Prognose einer Einzelverfolgung, die neben anderen die Verfolgungsgefahr auslösenden Umständen auch die Zugehörigkeit zu einer dem Verfolger missliebigen Gruppe berücksichtigt, nicht voraussetzt, dass die Verfolgung von Angehörigen dieser Gruppe bereits eine Dichte erreicht hat, die die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1996 - 9 B 14.96 -, DVBl. 1996, 623, juris Rn. 4), ist es angesichts dessen auch unschädlich, dass vor dem Hintergrund der Massenausreise einzelne Rückkehrer möglicherweise von Verfolgungsmaßnahmen verschont bleiben.

c) Die Kläger weisen die genannten Merkmale auf. Ihre hierzu in den Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getätigten Angaben sind durch ihre Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bestätigt worden. Sie sind illegal aus Syrien ausgereist, da der Grenzübertritt nur durch Zahlung eines Bestechungsgeldes an der Kontrollstelle ermöglicht wurde, die Reisepässe keinen Ausreisestempel aufweisen und zudem keine Genehmigung der syrischen Behörden für die Ausreise eingeholt worden ist. Sie halten sich zudem nunmehr seit rund einem Jahr im Bundesgebiet und damit dem westlichen Ausland auf und haben einen Asylantrag sowie einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Angesichts dessen droht den Klägern für den Fall der Rückkehr ungeachtet weiterer individuell geltend gemachter Fluchtgründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, weil davon auszugehen ist, dass im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werden wird.

d) Erschwerend kommt hinzu, dass die Kläger als Christen und ehemalige Bewohner der durch die Regierung als oppositionsgeprägt erachteten Stadt Aleppo zumindest zwei besonders vulnerablen Zielgruppen angehören (vgl. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26; EGMR, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 40081/14, 40088/14, 40127/14 [L.M. u.a. ./. Russische Föderation] -, HUDOC, Rn. 124), was die individuelle Wahrscheinlichkeit, im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein, weiter erhöht. Zwar kommt diesem Umstand für die Begründung des Anspruchs auf Zuerkennung er Flüchtlingseigenschaft keine eigenständige Bedeutung mehr zu, da die Merkmale der illegalen Ausreise, des längeren Aufenthalts im westlichen Ausland und der hiesigen Asylantragstellung den Anspruch bereits für sich genommen tragen. Die Kammer stützt ihre Entscheidung gleichwohl ergänzend auf die besondere Vulnerabilität der Kläger. [...]