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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 02.11.2016 - 4 L 326.16 A - asyl.net: M24395
https://www.asyl.net/rsdb/M24395
Leitsatz:

Keine vorläufige Verpflichtung zur Anerkennung als Flüchtling zur Herstellung der aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für den Nachzug eines Kindes, das bald volljährig wird. Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 erste Variante AufenthG ist die vorbehaltlose Anerkennung als Flüchtling.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, einstweilige Anordnung, Familiennachzug, Kindernachzug, subsidiärer Schutz, einstweilige Anordnung,
Normen: AufenthG § 32, AufenthG § 25 Abs. 2 Satz 1, AufenthG § 36, AufenthG § 104 Abs. 13 S. 1, GG Art. 6, RL 2003/86/EG Art. 3 Abs. 2 lit. c
Auszüge:

[...]

Der im Ergebnis erstrebte Kindernachzug richtet sich nach § 32 AufenthG. Nach § 32 Abs. 1 AufenthG setzt der Nachzug minderjähriger Kinder zu Ausländern – wie dem Antragsteller – voraus, dass dieser jedenfalls eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Nach § 32 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gelten für minderjährige ledige Kinder, die bereits das 16. Lebensjahr vollendet haben – wie die älteste Tochter des Antragstellers – die Erfordernisse der Sprachbeherrschung oder der positiven Integrationsprognose nicht, wenn der Ausländer, zu dem der Zuzug begehrt wird, u.a. im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG ist. Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt hat. Letzteres trifft auf den Antragsteller zu. Indes hat der Gesetzgeber in § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG eine zeitliche Ausnahme für Personen – wie den Antragsteller - geregelt, denen nach dem 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Variante AufenthG erteilt worden ist. Die diesem Personenkreis erteilte Aufenthaltserlaubnis ist bis zum 16. März 2018 als Anknüpfungspunkt für einen Familiennachzug ausgeschlossen. Wohl aus diesem Grund begehrt der Antragsteller die vorläufige Verpflichtung zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylG, weil sich der zeitliche Ausschluss des § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG auf eine auf dieser Grundlage erteilten Aufenthaltserlaubnis nicht erstreckt.

Allerdings setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 erste Variante AufenthG voraus, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Dies wiederum setzt zwar seit der ab dem 1. Dezember 2013 geltenden Fassung dieser Vorschrift nicht mehr eine unanfechtbare Zuerkennung voraus, weil eine zuerkennende Entscheidung des Bundesamtes unanfechtbar ist. Gleichwohl liegt es in der Natur der Sache, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG einen vorbehaltlos gewährten Rechtsstatus voraussetzt. Daran wiederum knüpft nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes der Nachzug von Familienangehörigen an, wenn hierfür auf den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis abgestellt wird. Die Konnexität zwischen dem Aufenthaltstitel des Stammberechtigten und des Nachziehenden zeigt sich dabei etwa in der Regelung des § 27 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzuges längstens für den Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis des Stammberechtigten erteilt werden darf. Eine in diesem Sinne erforderliche vorbehaltlose Rechtsposition könnte indes die bloße vorläufige Verpflichtung zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nicht erfüllen. Denn diese stünde unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens. Eine bloß vorläufige Rechtsposition vermag aber im Ergebnis einen Anspruch eines Visums zum Zwecke des Daueraufenthaltes nicht zu begründen.

Auf den durch Art. 6 GG gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie unmittelbar kann sich der Antragsteller in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg berufen, weil aus dieser wertentscheidenden Grundsatznorm kein eigenständiger Nachzugsanspruch herzuleiten ist (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. -, Rn. 97, juris). Die klare Gesetzeslage (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2016 – OVG 3 S 55.16, OVG 3 M 79.16 -, Rn. 6, juris) bietet auch keinen Ansatzpunkt, Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm (BVerfG, a.a.O., Rn. 49) bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren im Sinne des Antragstellers zu berücksichtigen. Nichts anderes ergibt sich aus höherrangigem Recht. Aus Art. 12 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 96 ff.) kann der Antragsteller nichts herleiten, weil diese Vorschrift schon nach ihrem Wortlaut die Einheit einer sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates bereits aufhaltenden Familie betrifft. Die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung - ABl. L 251 vom 3. Oktober 2003, S. 12 ff. – Familiennachzugsrichtlinie - FamRL) ist auf einen Nachzug zum Antragsteller nicht anwendbar, da dem Antragsteller der Aufenthalt aufgrund einer subsidiären Schutzform gewährt wurde, Art. 3 Abs. 2 lit. c FamRL. Dem könnte der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er im vorliegenden Verfahren die Erlangung ebender Rechtsposition erstrebt, die den Anwendungsbereich der Familiennachzugsrichtlinie erst eröffnen würde. Denn die Familiennachzugsrichtlinie ist gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a FamRL gleichermaßen unanwendbar, wenn derjenige, zu dem der Zuzug begehrt wird, um die Anerkennung als Flüchtling nachsucht und über seinen Antrag noch nicht abschließend entschieden wurde.

c. Es erscheint im Übrigen zweifelhaft, ob die begehrte Regelung erforderlich ist, um einen Schaden abzuwenden, den der Antragsteller in der Situation sieht, dass seine älteste Tochter als alleinstehende erwachsene Frau in Syrien zurückbliebe, wenn die übrigen Familienmitglieder im Wege des Familiennachzuges zum Antragsteller nachzögen. Denn selbst wenn man annimmt, dass der Antragsteller einen Schaden, der einem Familienangehörigen droht, in seinem eigenen Eilverfahren geltend machen kann, bietet das Aufenthaltsgesetz mit der Vorschrift des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden kann, Maßgaben für die Erlangung eines Visums für den Fall, dass ein volljährig gewordenes Kind alleine im Heimatstaat zurückbleibt (vgl. Allgemeine VV zum Aufenthaltsgesetz Nr. 36.2.1.3; vgl. ferner den Rechtsgedanken aus Art 4 Abs. 2 lit b) [...]FamRL). [...]