Keine Ingewahrsamnahme ohne Richtervorführung:
1. Die Ingewahrsamnahme einer serbischen Staatsbürgerin bei der visafreien Einreise wegen Verdachts der unerlaubten Einreise ist rechtswidrig, da keine Richtervorführung nach § 40 Abs. 1 BPolG erfolgte.
2. Die richterliche Entscheidung war nicht ausnahmsweise nach § 40 Abs. 1 BPolG entbehrlich, weil sie länger gedauert hätte als die Maßnahme selbst, sondern hätte auch als Gruppenvorführung unverzüglich erfolgen können.
(Leitsätze der Redaktion)
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Die Gewahrsamnahme der Klägerin am 19. 11.2014 war rechtswidrig.
Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Bundespolizei nicht unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeigeführt hat, wie dies § 40 Abs. 1 BPolG verlangt. Entgegen der Ansicht der Beklagten war die richterliche Entscheidung auch nicht entbehrlich.
Wird eine Person auf Grund des hier allein maßgebenden § 39 Abs. 1 BPolG festgehalten, hat die Bundespolizei gemäß § 40 Abs. 1 BPolG unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, es sei denn, die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung würde voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nahmen, als zur Durchführung der Maßnahme notwendig wäre.
Hier hat die Beklagte den Gewahrsam auf § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG gestützt, weil die handelnden Beamten der Ansicht waren, dass dies unerlässlich sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat, einer unerlaubten Einreise bzw. eines unerlaubten Aufenthalts gemäß § 95 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, zu verhindern.
Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für die Gewahrsamnahme gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG hier überhaupt vorgelegen haben, weil sich die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme bereits aus der fehlenden richterlichen Entscheidung gemäß § 40 Abs. 1 BPolG ergibt.
Der Gewahrsam nach§ 39 BPolG ist eine Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 2 GG, so dass besondere verfassungsrechtliche Anforderungen zu beachten sind. Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG muss der Richter über die Zulässigkeit und Fortdauer der polizeilichen Freiheitsentziehung entscheiden. Alle staatlichen Organe müssen dafür Sorge tragen, dass dieser Vorbehalt praktisch wirksam wird (vgl. BVerfG, stattgebende Kammerbeschlüsse v. 13.12.2005 - 2 BvR 447/05 - und v. 4.9.2009 - 2 BvR 2520/07 -, juris). "Unverzüglich" ist nicht i.S.v. § 121 BGB, also nicht als "ohne schuldhaftes Zögern" zu verstehen, sondern verlangt, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, herbeigeführt werden muss (vgl. Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. S. 597 Rn. 596, m.w.N.). Dem haben die hier tätigen Bundespolizisten nicht genügt. Sie haben sich unstreitig zu keiner Zeit um eine richterliche Entscheidung bemüht. Ein Verstoß gegen das Gebot der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung hat die Rechtswidrigkeit der lngewahrsamnahme zur Folge (vgl. Lisken/Denninger, a.a.O.).
Die Argumentation der Beklagten, die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung hätte voraussichtlich längere Zeit in Anspruch genommen, als zur Durchführung der Maßnahme notwendig gewesen wäre, so dass eine richterliche Entscheidung ausnahmsweise nach § 40 Abs. 1 BPolG entbehrlich gewesen wäre, vermag nicht zu überzeugen. Denn zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme der Klägerin, die nach der beigefügten Einsatzchronologie um 11:30 Uhr erfolgte, waren bereits die Einreisevoraussetzungen geprüft worden und die persönlichen Daten der Klägerin aufgrund der Vorlage ihres serbischen Reisepasses bekannt. Der Verdacht der unerlaubten Einreise stand damit bereits im Raum. Es ist gerichtsbekannt, dass keineswegs eine einzelne Vorführung der Betroffenen durchgeführt werden muss, sondern - gerade im Fall von Personen, die nahe der Grenze der Bundesrepublik Deutschland aufgegriffen werden -, auch eine Gruppenvorführung erfolgen kann. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum nicht spätestens nach der Beschuldigtenvernehmung der Klägerin, die ausweislich der Einsatzchronologie um 18:07 Uhr beendet war, eine richterliche Entscheidung beantragt worden war. Stattdessen wurde die Klägerin bis 23:25 Uhr in Gewahrsam gehalten. Die Argumentation der Beklagten, wonach der Sachverhalt zunächst hätte vollständig ermittelt werden müssen und der Transport der Betroffenen zum Gericht hätte einzeln erfolgen müssen, was zu Verzögerungen geführt hätte, vermag nicht zu überzeugen. [...]