Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Verfolgung als konvertierte Ahmadiyya in Pakistan:
Auch wenn nicht glaubhaft ist, dass die öffentliche Religionsausübung in Pakistan für die religiöse Identität notwendig ist, liegt bei Konversion zu Ahmadiyya dann eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr bei Rückkehr nach Pakistan vor, wenn eine Person sich als Konvertitin durch ihren Religionsübertritt in besonderer und auch öffentlich bemerkbarer Art und Weise zu ihrer Religion bekennt.
(Leitsatz der Redaktion)
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Kann der Betroffene nicht glaubhaft machen, dass er im Heimatland wegen seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht worden ist, so ist zu beurteilen, ob die festgestellten Umstände eine solche Bedrohung darstellen, dass er in Anbetracht seiner individuellen Lage begründete Furcht haben kann, tatsächlich Verfolgungshandlungen zu erleiden. Diese Beurteilung beruht ausschließlich auf einer konkreten Bewertung der Ereignisse und Umstände dahingehend, ob aufgrund der konkreten Lebensführung des Betroffenen davon auszugehen ist, dass für sein persönliches Verständnis die öffentlich wahrnehmbare Glaubensbetätigung wesentlich ist und dass er deshalb nach Rückkehr in sein Herkunftsland in einer Art und Weise seinen Glauben leben wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen wird. Hinsichtlich der Religionsfreiheit ist dabei zu beachten, dass einem Schutzsuchenden, der von Geburt an einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehört und seinen Glauben in der Vergangenheit praktiziert hat, nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden kann, dass er seinen Glauben im Heimatstaat nicht praktizieren wird. Dass er die Verfolgungsgefahr durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen und damit auf den Schutz, den ihm die Richtlinie mit der Anerkennung als Flüchtling garantieren soll, vermeiden könnte, ist grundsätzlich irrelevant (vgl. EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – verb. Rs. C-71/11 und C- 99/11 –, juris, Rz. 70 ff.; OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 19 A 2999/06.A –, juris, Rz. 131 und Urteil vom 7. November 2012 – 13 A 1999/07.A –, juris, Rz. 33 ff.).
Gemessen an diesen Grundsätzen steht zur Überzeugung des Gerichts nicht fest, dass die Klägerin konkrete Verfolgungshandlungen in Pakistan erlitten hat, die im Zusammenhang mit ihrer Religion standen. Allerdings sind derartige Gefahren für den Fall der Rückkehr nach Pakistan mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten. [...]
Es ist davon auszugehen, dass Mitglieder der "Ahmadiyya Muslim Jamaat", die ihren Glauben öffentlich wahrnehmbar leben, in Pakistan einer aktuellen Gefahr der Verfolgung wegen ihrer Religionsangehörigkeit ausgesetzt sind (so auch OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 19 A 2999/06.A –, juris, Rz. 56; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juni 2013 – A 11 S 757/13 –). [...]
Diese gegen das Selbstverständnis der Ahmadis in seinem Kern gerichtete Rechtslage und Rechtsanwendungspraxis in Pakistan ist nicht nur aus sich heraus eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit der Ahmadis, sondern auch deshalb eine dem pakistanischen Staat zuzurechnende schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QualfRL, weil die Rechtslage und die Rechtsanwendungspraxis Übergriffe und Diskriminierungen auch nichtstaatlicher Akteure auf Ahmadis begünstigen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 19 A 2999/06.A –, juris, Rz. 89).
Bezüglich der Übergriffe und Pogrome, denen Ahmadis in Pakistan ausgesetzt waren und sind, wird auf die ausführliche Darstellung im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14.12.2010 (OVG NRW, a.a.O., juris, Rz. 90 – 119) verwiesen. [...]
Folge dieser schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung durch unmittelbaren Eingriff in die Religionsfreiheit ist, dass die Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jeden bekennenden Ahmadi in Pakistan trifft und es – anders als bei Eingriffen in das Leben und die körperliche Freiheit – nicht darauf ankommt, ob die einzelnen auf den Körper gerichteten Verfolgungsmaßnahmen wegen der Religion eine solche Verfolgungsdichte erreichen, die die Annahme einer für den einzelnen Schutzsuchenden eine Beweiserleichterung darstellende Gruppenverfolgung rechtfertigt. Denn die menschenrechtswidrige systematische Einschränkung durch die angeführten rechtlichen Bestimmungen hat für die Religionsfreiheit der Ahmadis in der Lage, in der sie in Pakistan in einem Klima der allgemeinen Ausgrenzung und religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Verachtung leben müssen, den Charakter eines – bereits umgesetzten – Verfolgungsprogramms, bei dessen Vorliegen es nicht der Feststellung der Verfolgungsdichte einzelner Verfolgungsschläge im Sinne des Konzepts der Gruppenverfolgung bedarf (vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 19 A 2999/06.A –, juris, Rz. 122). [...]
Gemessen hieran konnte die Klägerin das Gericht nicht davon überzeugen, dass sie aufgrund ihrer religiösen Identität zwingend ihren Glauben in Pakistan öffentlich leben muss. Zwar hat sie auf entsprechende Nachfragen in der mündlichen Verhandlung erklärt, hier in Deutschland sei alles "sehr offen" und man könne auch öffentlich in die Moschee gehen. Welchen Stellenwert dies für ihre eigene Religionsausübung hat, hat sie jedoch nicht verdeutlicht.
Allerdings hat sich die Klägerin als Konvertitin durch ihren Religionsübertritt in besonderer und auch öffentlich bemerkbarer Art und Weise zu ihrer Religion bekannt. Daher muss die Klägerin schon alleine aus diesem Grund für den Fall der Rückkehr nach Pakistan befürchten, religiös motivierter Verfolgung ausgesetzt zu sein. [...]