OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 18.01.2002 - 1 Bf 21/98 - asyl.net: M2448
https://www.asyl.net/rsdb/M2448
Leitsatz:

Zur Gefahr der Doppelbestrafung eines in Deutschland wegen Betäubungsmitteldelikten verurteilten iranischen Staatsangehörigen; Doppelbestrafung im Iran zwar nicht verboten, jedoch seit Jahren kein Fall bekannt; Gefahr der Doppelbestrafung setzt über die Kenntnis der iranischen Behörden von der deutschen Strafe hinaus besondere Umstände voraus, die aus iranischer Sicht von Bedeutung sind(Leitsatz der Redaktion).

Schlagwörter: Iran, Straftäter, Drogendelikte, Doppelbestrafung, Todesstrafe, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: AuslG § 53 Abs. 2; AuslG § 53 Abs. 4
Auszüge:

Ein Abschiebungshindernis ergibt sich hier nicht aus § 53 Abs. 2 AuslG.

Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, wenn dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Todesstrafe besteht. Auch wenn im Einzelnen streitig sein mag, welche Anforderungen an den Begriff der "Suche" zu stellen sind (vgl. GK-AuslR, Treiber, § 53 Rdnr. 151), so reicht hierfür schon nach dem Gesetzeswortlaut jedenfalls nicht die zeitlich und sachlich ungewisse und unbestimmte bloße Möglichkeit aus, als Täter einer Straftat verdächtigt zu werden. Das lässt sich sinngemäß auch der Vorschrift des § 53 Abs. 5 AuslG entnehmen, nach der die allgemeine Gefahr einer Strafverfolgung der Abschiebung nicht entgegensteht. Für eine Suche im Sinne des § 53 Abs. 2 AuslG kann es demzufolge auch nicht genügen, wenn den Behörden des Abschiebezielstaates erst nach der Abschiebung durch Befragen des Abgeschobenen Taten im Einzelnen bekannt werden, die mit der Todesstrafe belegt sind (so zutreffend GK-AuslR, Treiber, a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 53 Abs.2 AuslG beim Kläger nicht vor. Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, dass die iranischen Sicherheitsbehörden den Kläger bereits jetzt wegen eines konkreten Rauschgiftdeliktes verdächtigen und ihn deswegen suchen. Das gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht (s. hierzu später unter 2), dass dem iranischen Generalkonsulat in Hamburg die Verurteilung des Klägers als solche bekannt geworden sein dürfte.

Ein Abschiebungshindernis ergibt sich hier auch nicht aus § 53 Abs. 4 AuslG.

Die bloße entfernte Möglichkeit des Gefahreneintritts reicht für § 53 Abs. 4 AuslG ebenso wenig aus wie der Umstand, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung nicht ausgeschlossen werden kann.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe im Hinblick auf Art. 1 des Protokolls Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention über die Abschaffung der Todesstrafe vom 6. April 1983 - von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert mit Gesetz vom 23. Juli 1988 (BGBl II S. 662) - und die Rechtsprechung des EGMR als menschenrechtswidrige Handlung im Sinne von Art. 3 EMRK angesehen werden muss (ebenso: GK-AuslR, Treiber, § 53 Rdnr. 188). Zutreffend ist ferner, dass es im Iran kein Verbot der Doppelbestrafung gibt und für den Besitz von - u.a. - mehr als 30 g Heroin (eine Menge, die der Kläger weit übertroffen hat) die Todesstrafe verhängt werden kann.

Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es lägen begründete Tatsachen dafür vor, d.h. es sei beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Iran dem Risiko der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt sei, findet in der Auskunftslage hingegen keine ausreichende Stütze. Nach den vom Senat herangezogenen Erkenntnisquellen fehlt es schon an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass es hier überhaupt zu einer Doppelbestrafung kommen würde.

Das Auswärtige Amt berichtet seit vielen Jahren bis heute übereinstimmend, dass ihm selbst keine konkreten Fälle der Doppelbstrafung im Iran bekannt geworden seien (Vgl. Auskünfte und Lageberichte v. 2.7.1986, 21.7.1992, 24.3.1994, 5.9.1995, 29.5.1996, 30.9.1998, 20.4.1999, 16.5.2000 und 18.4.2001). Das gleiche gilt nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes auch für die von der deutschen Botschaft in Teheran befragten Botschaften Australiens, Dänemarks, Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas, der Niederlande, Norwegens, Schwedens und der Schweiz. Den Auskünften des Auswärtigen Amtes, insbesondere den ausführlichen Lagebeurteilungen, dürfte gerade in den letzten Jahren ein erhöhter Beweiswert zukommen, da sie - wie die grundsätzlichen Anmerkungen zu Beginn der jeweiligen Beurteilungen ergeben - auf einer breiten Quellenbasis beruhen. Diese schließt auch die Erkenntnisse internationaler Organisationen, z.B. des UNHCR und des IKRK, sowie von Nichtregierungsorganisationen ein. Dementsprechend sind dem Senat auch keine anderen Auskünfte, z.B. von amnesty international oder dem Deutschen Orient Institut, bekannt, denen sich Präzedenzfälle für eine Doppelbestrafung entnehmen lassen. Auch wenn unter den im Iran herrschenden Verhältnissen im Einzelfall nicht auszuschließen sein mag, dass eine tatsächlich vorgenommene Doppelbestrafung unbekannt bleibt, so spricht die zuvor wiedergegebene Auskunftslage, die über einen langen Zeitraum keine derartigen Fälle kennt, sehr deutlich zumindest gegen die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Doppelbestrafung kommt.

Voraussetzung für eine erneute Strafverfolgung im Iran wäre zudem, wie das Auswärtige Amt in einer gewissermaßen hypothetischen Betrachtung ausführt (z.B. Lagebericht vom 18.4.2001, S. 26) nicht nur, dass die iranischen Behörden von der Verurteilung und der ihr zugrunde liegenden Straftat Kenntnis erlangen, sondern dass zusätzliche Umstände vorliegen, die aus iranischer Sicht von besonderer Bedeutung sind. Dies trifft im Falle des Klägers nicht zu.

Zwar ergibt sich aus dem Strafurteil, dass der Kläger bei einer der ihm vorgeworfenen Taten Heroin aus dem Iran in die Bundesrepublik eingeschmuggelt hat. Nähere Umstände, ob und gegebenenfalls wie er sich das Heroin im Iran beschafft hat, lassen sich dem Urteil jedoch nicht entnehmen. Hinzu kommt, dass die Tat schon lange Zeit zurückliegt, der Kläger nicht vorbestraft war und er nach der Tatschilderung im Strafurteil trotz der hohen gegen ihn verhängten Strafe nicht etwa als Haupttäter, sondern eher als ein bloßer "Drogenkurier" erscheint. Dementsprechend ist er auch von seinem Prozessbevollmächtigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nur als "Randfigur" bezeichnet worden. Bei dieser Sachlage kann eine erneute Verurteilung des Klägers im Iran zwar nicht völlig ausgeschlossen werden. Für die beachtliche Wahrscheinlichkeit dieses Risikos fehlt es ihm jedoch - deutlich - an ausreichenden Anhaltspunkten. An dieser Einschätzung ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger nach seiner Angabe früher im Iran ein bekannter Spitzensportler gewesen ist.