Feststellung der Flüchtlingseigenschaft wegen drohender Verfolgung durch Voodoo-Anhänger und Menschenhändler in Nigeria. Rückgeführte Opfer des Menschenhandels stellen eine soziale Gruppe dar, die Diskriminierung und Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt ist.
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Das Gericht hat die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin in Nigeria unter dem Zwang, ein Voodoo-Opfer werden zu müssen, von Menschenhändlern dazu gebracht wurde, dass sie deren angebliche Hilfe annahm und über Frankreich nach Italien ausreiste und dort dann der Prostitution nachgehen musste. Die Klägerin hat bereits vor dem Bundesamt und zudem noch in der mündlichen Verhandlung schlüssig vorgetragen, dass ihr Vater Anhänger des Voodoo-Glaubens war und dieser seiner Familie mitgeteilt habe, dass die Klägerin dem Voodoo-Geist geopfert werden sollte. Zwar konnte ihre Mutter dies noch eine Zeitlang verhindern, solange sie noch klein war und indem sie nach Benin City umzog. Die Klägerin legte glaubhaft dar, dass sie dann eines Tages von ihrem Stiefvater informiert wurde, dass Voodoo-Leute da gewesen seien und sie zu dem Ort Usunigbe bringen wollten. In dieser Stadt, die etwa 60 Meilen von Benin City entfernt ist, steht der Voodoo-Schrein, genannt Olokun's Original Shrine. Sie trägt glaubhaft vor, dass sie zwangsverheiratet werden sollte. Sie hätte auch keine Kinder mehr gebären dürfen. Um sich dem Zugriff der Voodoo-Leute zu entziehen, ließ sich die Klägerin mit einem Mann ein und hat dann im Jahr 2008 Zwillinge geboren. Diese wurden ihr drei Stunden nach der Geburt weggenommen und ihre Mutter hat ihr mitgeteilt, dass diese getötet worden seien. Vor allem den letzten Teil schilderte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung unter Tränen in großer Betroffenheit und Trauer. Ihre weitere Schilderung, dass sie daraufhin von ihrer Mutter im Stich gelassen und verflucht worden ist, ist ebenso glaubhaft. Sie hat zu Hause kein Essen mehr bekommen. Auf der Straße haben die Leute mit Steinen auf sie geworfen und Juju gerufen und sie beleidigt. Auch der Kindsvater hat sie verstoßen. Sie ist dann nach dem Besuch einer Messe Opfer einer Menschenhändlerin geworden. Diese hat ihr ihre Hilfe angeboten und sie dann zu ihrem Haus gebracht, in dem schon andere Mädchen lebten. Sie wurde dann versteckt im Kofferraum zum Flughafen gebracht. Von dort hat sie ein Ticket für einen Flug nach Frankreich bekommen. In Frankreich wurde sie dann von einem Mann empfangen, der sie dann nach Italien weiter geleitet hat. In Mailand ist sie dann zu einer Frau gebracht worden. Dort waren schon andere Mädchen. Sie ist dann von der Frau rasiert worden und dann mit den anderen Mädchen zum Arbeiten gebracht worden. Sie musste dort nach ihrem glaubhaften Bekunden als Prostituierte arbeiten. Sie konnte sich dem Prostitutionsgewerbe nicht mehr entziehen. Man hat ihr sogar gedroht, dass dann ihr älterer Sohn, dessen Vater ein Mann aus Burkina Faso ist, nach Burkina Faso gebracht wird. Außerdem forderte man von ihr Geld in einer Höhe, die sie niemals erarbeiten konnte. Die Klägerin wird auch von den Zuhältern in Italien mit dem Tod bedroht. Wenn sie nicht mehr nach Italien zurückkehre, würden sie ihr einen arabischen Killer schicken. Auch die Familie in Nigeria wird von der Frau, die sie nach Frankreich geschleust hat, bedrängt und nach ihrer Telefonnummer gefragt.
Das Gericht hat nach der mündlichen Verhandlung die Überzeug gewonnen, dass der Vortrag der Klägerin der Wahrheit entspricht. Denn eine solch detaillierte Schilderung, die teils unter Tränen erfolgte, ist so widerspruchsfrei und so emotional vorgetragen erfahrungsgemäß nur dann möglich, wenn man über tatsächlich Geschehenes berichtet. Dementsprechend wäre die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria unter Zugrundelegung der vorhandenen Erkenntnismittel konkret gefährdet, dass ihr Gewalt bis hin zu einer Tötung angetan würde. Zudem bestünde die Gefahr, dass sie dann ihre Kinder vernachlässigen müsste oder die Kinder sogar der Kinderprostitution ausliefern oder dem Kinderhandel zur Verfügung stellen müsste. Benin City gilt als Afrikas Hauptstadt der Kinderprostitution. Tausende Kinder werden von ihren armen Familien an Zuhälter verkauft und landen später an Straßen und in den Bordellen. Hinzu kommt noch, dass die Klägerin zu 1) von ihrer eigenen Familie verflucht und offenbar von den Anhängern des Voodoo-Glaubens auf der Straße mit Steinen beworfen wurde und offenbar als verflucht und vogelfrei angesehen wird. Es handelt sich hier um schwere menschenrechtswidrige Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG.
Die Verfolgungsgefahr knüpft an die Zugehörigkeit der Klägerin zu bestimmten sozialen Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AsylG an. Dies setzt voraus, dass die Gruppe von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Maßgeblich ist demnach die Sichtweise der Gesellschaft. Rückgeführte Opfer der Menschenhändler sind zum einen Diskriminierungen durch die Familie und das soziale Umfeld sowie Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. Die Opfer werden im Falle der Aussage gegen die Menschenhändler bedroht und laufen zudem Gefahr, erneut Opfer von Menschenhandel zu werden. Hieraus geht hervor, dass es sich um eine nach außen von der Gesellschaft wahrnehmbare und ausgegrenzte Gruppe handelt (so auch, VG Würzburg vom 17.11.2015 a.a.O. Rn. 30 mit Hinweis auf UNHCR-Richtlinien zum Schutze von Opfern von Menschenhandel und entsprechend gefährdeter Personen vom 7.4.2006). Bei der Klägerin zu 1) kommt noch hinzu, dass sie auch von den Anhängern des Voodoo-Glaubens verstoßen wird, offenbar weil sie sich dem Opfer, einem Voodoo-Geist, zu heiraten, entzogen hat. In den Lageberichten des AA wird von rituellen Vergewaltigungen und von der Brandmarkung von Frauen als Hexen berichtet. [...]