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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.10.2016 - A 9 S 908/13 - asyl.net: M24660
https://www.asyl.net/rsdb/M24660
Leitsatz:

Zur Situation Homosexueller in Gambia:

Den ausgewerteten Länderberichten lässt sich nicht entnehmen, dass in Gambia die Gefahr strafrechtlicher Verurteilungen im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Homosexualität besteht. Insoweit ist schon die Zahl der Referenzfälle, die sich aus den dargestellten Erkenntnismitteln ergibt, im Verhältnis zur vermuteten Gesamtzahl an Homosexuellen in Gambia zu gering.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Gambia, homosexuell, subsidiärer Schutz, ernsthafter Schaden,
Normen: VwGO § 82 Abs. 1 Satz 2, VwGO § 91, VwGO § 103 Abs. 3, AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der FIüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG (und auch nicht auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG). Denn insoweit ist die Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig. [...]

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG zu. [...]

Soweit er auf seine Homosexualität verwiesen hat, vermag der Senat - auch wenn er davon ausgeht, dass der Kläger homosexuell ist - bei der gebotenen Gesamtwürdigung seiner Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose (vgl. dazu EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 28.02.2008, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, NVwZ-RR 2014, 487; Senatsurteile v. 07.03.2013, a.a.O.) nicht festzustellen, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr nach Gambia mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden droht.

Zur Situation von Homosexuellen in Gambia (vgl. dazu auch VG Freiburg, Urteil vom 28.06.2016 - A 3 K 1376/15 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 27.09.2012 - A 8 K 196/11 -, juris, und Urteil vom 17.10.2012 - A 1 K 201/11 -) hat das Auswärtige Amt bereits 2009 dargelegt (Auskunft vom 23.06.2009 an das BAMF), dass Homosexualität in Gambia strafbar sei. Nach Art. 144 des gambischen Strafgesetzbuchs seien - auch einvernehmliche - "widernatürliche" körperliche Kontakte sowie der Versuch, solche Kontakte einzugehen, mit einer Gefängnisstrafe von 4 bis 14 Jahren bewehrt. Homosexualität falle nach allgemeiner gambischer (Rechts-)Auffassung unter widernatürliche Akte. Sie seien auch dann strafbar, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit begangen würden. Homosexuelle würden häufig in flagranti erwischt, ansonsten dienten als Beweise Zeugenaussagen oder Aussagen der "Opfer", wenn ihnen z.B. von Homosexuellen angeblich "widernatürliche" Avancen gemacht würden. In der Praxis zeigten Homosexuelle ihre Neigung nicht in der Öffentlichkeit. Polizeiaktionen gegen Homosexuelle seien nicht an der Tagesordnung, kämen aber immer wieder vor. Viele Fälle würden der Polizei von Privatpersonen angezeigt. Bei den der Botschaft bekannten Fällen handele es sich meist um Anklagen wegen Homosexualität in Verbindung mit Pädophilie gegen (weiße) Ausländer, zum Teil Touristen. Mehrere Verfahren verliefen aber nach Zahlung hoher Kautionen im Sand, Urteile würden in diesem Fällen selten gesprochen. Es gebe in Gambia keine Orte, an denen von Toleranz gegenüber Homosexuellen ausgegangen werden könne.

In der Auskunft vom 16.12.2014 an das VG Sigmaringen führt das Auswärtige Amt aus, seit 2013 komme es verstärkt zu Diskriminierung und auch rechtlicher Verfolgung von Homosexuellen in Gambia. Art. 144 des Strafgesetzbuchs verbiete alle Arten von "acts of gross indecency/unnatural behaviour", der Strafrahmen betrage bis zu 14 Jahren Haft. Hierunter fielen u.a. öffentlicher (heterosexueller) Geschlechtsverkehr, Exhibitionismus oder Homosexualität. Es sei zu einzelnen Verhaftungen, aber nicht zu Verurteilungen gekommen (wegen Mangel an Beweisen). Im August 2014 habe das gambische Parlament ein neues Gesetz (neuer Art. 144A) zu "aggrevated homosexuality" verabschiedet, das Staatspräsident Jammeh am 09.10.2014 unterzeichnet habe und das seitdem in Kraft sei. Es sehe für homosexuelle Handlungen mit/von Minderjährigen, Behinderten, HIV-Positiven oder Schutzbefohlenen eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. In den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes zu Gambia (Stand: 17.10.2016) heißt es, hohe Repräsentanten des gambischen Staates hätten die Bevölkerung in öffentlichen Reden zur Anzeige Homosexueller aufgerufen. Es gebe Berichte über die vorübergehende Inhaftierung von Homosexuellen, auch Europäern. Das Vorgehen der gambischen Behörden scheine sich eher zu verschärfen.

Amnesty International berichtet im Report 2016 Gambia, dass drei Männer, die im Verdacht gestanden hätten, homosexuell zu sein, wegen "widernatürlicher" Handlungen vor Gericht gestellt worden seien. Zwei der Männer seien im August freigesprochen worden, der Prozess gegen den dritten Mann sei Ende 2015 noch anhängig gewesen. Die Männer seien im November 2014 festgenommen worden, nachdem einen Monat zuvor für den Straftatbestand der "schweren Homosexualität" die lebenslange Freiheitsstrafe eingeführt worden sei. Im Länderinfo Gambia (2016) führt Amnesty International aus, im April 2012 seien 20 Männer in einem Vorort von Banjul wegen des Verdachts auf Homosexualität verhaftet worden. Zwar seien sie letztendlich freigesprochen worden, doch hätten es 11 von ihnen sicherer gefunden, außer Landes zu fliehen.

ACCORD berichtet in seiner Anfragebeantwortung zu Gambia: Lage von Homosexuellen vom 15.02.2013, das US-Außenministerium schreibe in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom Mai 2012, trotz der gesetzlich vorgesehenen Strafen (in Art. 144 des Strafgesetzbuchs von Gambia) sei bislang niemand strafrechtlich verfolgt worden. Trotz der Stellungnahmen von Präsident Jammeh habe es 2011 auch keine Berichte über körperliche Gewalt gegen LGBT-Personen gegeben. Im April 2012 habe "The Daily Observer" berichtet, das 18 mutmaßliche Homosexuelle am 10.04.2012 vor dem Gericht in Kanifing angeklagt worden seien. Ihnen werde vorgeworfen, untereinander sittenwidrige Handlungen gegen die Gesetze Gambias begangen zu haben. Im August 2012 berichte "The Daily Observer", dass das Gericht Kanifing 17 mutmaßliche Homosexuelle und eine mutmaßliche Lesbe freigesprochen und die Anklagen zurückgezogen habe.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt in der Auskunft vom 28.07.2015 (Gambia: Situation der LGBTI) aus, seit der Verabschiedung des neuen Gesetzes im Oktober 2014 gingen die gambischen Behörden vermehrt gegen LGBTI und vermutete LGBTI vor. Gemäß Amnesty International (Report 2015) seien im Zeitraum vom 7. bis zum 13.11.2014 mindestens acht Personen, unter ihnen drei Frauen und ein 17-jähriger, wegen ihrer vermuteten sexuellen Orientierung festgenommen und mit Folter bedroht worden. Die Männer, von denen sie festgenommen worden seien, hätten sich als Agenten des NIA und als Angehörige der Leibgarde des Präsidenten ausgewiesen. Wie Amnesty International beschreibe, sei den Festgenommenen gesagt worden, man würde ihnen einen Gegenstand in den Anus bzw. in die Vagina schieben, um ihre sexuelle Orientierung zu überprüfen, wenn sie ihre Homosexualität nicht "geständen" und nicht die Namen anderer Homosexueller nennen würden. Am 18. und 19.11.2014 sollten aus dem gleichen Grund sechs weitere Frauen festgenommen worden seien. Die Neue Zürcher Zeitung habe im Januar 2015 über Razzien und gut organisierte Verhaftungswellen von mutmaßlichen homosexuellen Personen und über Listen mit Namen von Homosexuellen berichtet. Seit dem Inkrafttreten des verschärften Homosexuellen-Gesetzes seien mindestens 14 Personen verhaftet worden (NZZ vom 20.01.2015: "Repression in Gambia - Diktatur abseits der Weltöffentlichkeit"). Auch das US Department of State erwähne Razzien des NIA mit dem Ziel, LGBTI aufzuspüren. Das US Department of State gehe davon aus, dass die Inhaftierten gefoltert worden seien, um von ihnen Geständnisse und weitere Informationen zu erpressen. Der UN-Sonderberichterstatter Méndez berichte, dass mindestens drei der November verhafteten Personen über Wochen verhaftet und gefoltert worden seien. Im Bericht des UNO-Generalsekretärs zur Entwicklung in Westafrika werde darauf hingewiesen, dass im April 2015 drei Verfahren gegen Männer durchgeführt worden seien, die wegen homosexueller Handlungen angeklagt worden seien. Vor ihrem Transfer ins Gefängnis sollten sie in den Haftanstalten des NIA gefoltert worden seien.

Immer wieder hetze Präsident Jammeh gegen homosexuelle Personen. [...]