VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 23.02.2017 - 9 K 2245/15.A - asyl.net: M24749
https://www.asyl.net/rsdb/M24749
Leitsatz:

Wehrpflichtigen droht in Syrien bei unterstellter Rückkehr über den Flughafen Damaskus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Syrien, Flüchtlingsanerkennung, illegale Ausreise, politische Verfolgung, Verfolgungsgrund, Militärdienst, Wehrdienstverweigerung, Upgrade-Klage,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Dabei kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, ob derzeit allen Asylantragstellern bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein wegen Asylantragstellung sowie Auslandsaufenthalt in Deutschland politische Verfolgung droht (vgl. in diesem Zusammenhang: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14. November 2016 - 2 BvR 31/14, juris; zum Streitstand: OVG Rh-PF, a.a.O., Rn. 41, unter Darstellung divergierender Rechtsprechung).

Denn für Wehrpflichtige im Alter von 18 bis 42 Jahren treten individuell gefahrerhöhende Umstände hinzu, die es in der Gesamtschau aller Umstände beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen, dass solche Rückkehrer von syrischen Sicherheitskräften wegen Wehrdienstentziehung als Regimegegner angesehen und verfolgt werden (vgl. Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Urteil vom 22. November 2016 - 3 K 7501/16. A -, juris, Rn. 58 ff.; BayVGH, a.a.O.; anderer Ansicht: OVG Rh-Pf, a.a.O., Rn. 134 ff.).

Nach der aktuellen Auskunftslage wenden syrische Sicherheitsdienste zwar im allgemeinen Folter in größerem Maßstab an. Eine unterstellte Regimegegnerschaft kann jedoch zu härteren Reaktionen führen (vgl. Auskunft der Deutschen Orient-Stiftung vom 8. November 2016 an das OVG Schleswig; Auskünfte des Auswärtigen Amtes (AA) an VG Düsseldorf, jeweils vom 2. Januar 2017).

In diesem Zusammenhang ist in den Blick zu nehmen, dass Männern im wehrpflichtigen Alter die Ausreise aus Syrien verboten bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet ist. Vor diesem Hintergrund ist mit Blick auf den andauernden Bürgerkrieg in Syrien auch angesichts des hohen Mobilisierungsinteresses der Streitkräfte beachtlich wahrscheinlich, dass Wehrdienstverweigerer das Risikoprofil vermeintlich in Opposition zur Regierung stehender Personen erfüllen (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Fassung November 2015, Rn. 38).

Der Kläger ist wehrpflichtig. Seine Befreiung vom Wehrdienst ist inzwischen abgelaufen und eine Verlängerung seinem Vorbringen zufolge nicht mehr möglich, weil nicht rechtzeitig die Verlängerung beantragt worden ist. Unabhängig davon erschiene eine Verlängerung auch nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Anspruch auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes z.B. für Studierende besteht nämlich nur noch sehr eingeschränkt und wird teils willkürlich umgesetzt (vgl. UNHCR, "Ergänzende aktuelle Länderinformationen, Syrien: Militärdienst", vom 30. November 2016; Der Spiegel, "Furcht und Betäubung"; 50/2016, S. 103, 104).

Der Kläger kann schließlich keinen internen Schutz erlangen. Nach § 3e AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2). Indes gibt es in Syrien keine Möglichkeit, sich dem Wehrdienst durch sicher zu erreichende inländische Fluchtalternativen, das heißt verfolgungsfreie Teile Syriens, zu entziehen (vgl. Auskunft des AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf). [...]