1. Die Ausübung des Ermessens aus § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO muss - wie das Vorliegen aller Voraussetzungen für eine Präklusion - ohne weiteres erkennbar oder nachvollziehbar dargelegt sein. Die Anforderungen an eine ausreichende Begründung hängen von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei der Begründungsbedarf regelmäßig mit dem Gewicht der Präklusionsfolgen für den Betroffenen steigt (im Anschluss an: BVerwG, Beschluss vom 06.04.2000 - 9 B 50.00 -, NVwZ 2000, 1042 1043>).
2. Bei der Ermessensentscheidung nach § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO ist insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sind die Folgen für den Betreffenden voraussichtlich besonders schwer, verbietet sich regelmäßig eine Ermessensbetätigung zugunsten der Präklusion.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Nach § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel zurückweisen, wenn die weiteren dort aufgeführten Voraussetzungen vorliegen. Diese Regelung eröffnet dem Gericht ein Ermessen. Die Ausübung dieses Ermessens muss - wie das Vorliegen aller Voraussetzungen für eine Präklusion - ohne weiteres erkennbar oder nachvollziehbar dargelegt sein (BVerwG, Beschluss vom 27.03.2000 - 9 B 518.99 -, InfAuslR 2000, 412 415 f.>). Die Anforderungen an eine ausreichende Begründung hängen von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei der Begründungsbedarf regelmäßig mit dem Gewicht der Präklusionsfolgen für den Betroffenen steigt (BVerwG, Beschluss vom 06.04.2000 - 9 B 50.00 -, NVwZ 2000, 1042 1043>). Bei der Ermessensentscheidung ist insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sind die Folgen für den Betreffenden voraussichtlich besonders schwer, verbietet sich regelmäßig eine Ermessensbetätigung zugunsten der Präklusion. Bei einer Ermessensentscheidung sind insbesondere auch der Grad des Verschuldens und die voraussichtliche Dauer der Verzögerung bei Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens zu berücksichtigen (Geiger, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 87b Rn. 13).
[...] Das angegriffene Urteil verfehlt alle diese Maßstäbe grundlegend und verstößt damit auch - wie der Kläger zutreffend ausführt - gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, da sich die Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als vertretbar erweist.
[...] Es liegt offen zu Tage, dass das Verwaltungsgericht sich seines Ermessens gar nicht bewusst gewesen ist. Das Gericht formuliert "…ist er mit diesem Einwand präkludiert" und geht offenkundig davon aus, dass - neben einer genügenden Entschuldigung - allein die Ausnahme des § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO dazu führen kann, dass "keine Präklusion eintritt". Aus diesem Grunde fehlt auch die zwingend erforderliche Darlegung der Ermessenserwägungen.
[...] Weiter verkennt das Verwaltungsgericht das Grundrecht des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, das - ausgehend vom Rechtsstandpunkt und der übrigen Ermittlungstiefe der angegriffenen Entscheidung - der Anwendung von § 87b Abs. 3 VwGO hier zwingend entgegensteht. Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob der Kläger Afghanistan aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat, weil es ihn "zum Beispiel" auf Kabul als Ort internen Schutzes (§ 3a Abs. 1 AsylG) verweist; das gleiche gilt - konsequenterweise - für den subsidiären Schutz und auch hinsichtlich des nationalen Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG). Das Verwaltungsgericht geht weiter davon aus, dass vom Kläger deswegen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in Kabul niederlässt, weil er ein alleinstehender, junger, arbeitsfähiger Mann sei. Es kommt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts für die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums gerade auf die Frage der Erwerbsfähigkeit, für die eine Behinderung aufgrund der schwerwiegenden Verletzungen des linken Arms nach Auffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungsrelevant ist, maßgeblich an.
Unter diesen Umständen verbietet sich eine Ermessensbetätigung zugunsten der Präklusion aus verfassungsrechtlichen Gründen und damit offenkundig im Sinne der zitierten Rechtsprechung.
[...] Schließlich hat das Verwaltungsgericht nicht erwogen, ob es den Vortrag des Klägers zu den Auswirkungen seiner Verletzung in der mündlichen Verhandlung möglicherweise deshalb inhaltlich zu würdigen haben könnte, weil dieser zwar nicht innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG, § 87b Abs. 3 VwGO nach Zustellung der teilweise angegriffenen Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erfolgte, der Kläger aber bereits in seiner Anhörung am 14. Dezember 2015 angegeben hatte, dass er bei einem Angriff der Taliban so schwer verletzt worden sei, dass die Amputation seines linken Arms im Raum gestanden habe. Aufgrund dieses Vortrags mag es nämlich nahe gelegen haben, nicht mehr ohne weiteres - insbesondere nicht ohne vorherige gerichtliche Nachfrage - von einer uneingeschränkten Erwerbsfähigkeit des Klägers auszugehen. [...]