VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 14.02.2017 - 11 K 462.16 - asyl.net: M24844
https://www.asyl.net/rsdb/M24844
Leitsatz:

AKTUALISIERUNG: VG Entscheidung geändert durch BVerwG, Urteil vom 25.01.2018 - 1 C 7.17 - (asyl.net: Pressemitteilung)

Für die Befristung eines vom BAMF erteilten Einreise- und Aufenthaltsverbots ist auch das BAMF zuständig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Einreise- und Aufenthaltsverbot, Befristung, sachliche Zuständigkeit, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, offensichtlich unbegründet, Asylverfahren,
Normen: AufenthG § 11 Abs. 7, AufenthG § 11 Abs. 4, AufenthG § 75 Nr. 12, AufenthG § 11 Abs. 4 S. 1, VwGO § 75 S. 2, AufenthG § 71 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Aufhebung des bestandskräftig durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 15. April 2016 gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordneten und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 113 Abs. 5 VwGO). Nach Auffassung der Kammer ist nach §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 7 i.V.m. § 11 Abs. 4 AufenthG nicht der Beklagte für eine solche Aufhebung sachlich zuständig, sondern das beigeladene Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut (hierzu 1.) und einer systematischen Auslegung der einschlägigen Vorschriften (hierzu 2.) und widerspricht auch nicht Sinn und Zweck der Regelungen (hierzu 3.). Dem anderslautenden Willen des Gesetzgebers kann bei dieser Rechtslage nicht im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschriften Geltung verschafft werden (hierzu 4.).

1. Nach der allgemeinen Zuständigkeitsnorm in § 71 Abs. 1 AufenthG sind die Ausländerbehörden für aufenthalts- und passrechtlichen Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen zuständig. Eine abweichende Sonderbestimmung für die Zuständigkeit ist in § 75 Nr. 12 AufenthG getroffen worden, der durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015 (BGBl. I S.1386) neu in das AufenthG aufgenommen wurde. Danach ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die Anordnung.und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG zuständig. [...] Nach der Regelung in § 11 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gelten für das Bundesamt die Absätze 1 bis 5 des § 11 AufenthG entsprechend. Diese Verweisung umfasst folglich auch die Regelung in § 11 Abs. 4 AufenthG, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter bestimmten Umständen aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden kann und erstreckt sich damit auch auf die hier begehrte nachträgliche Aufhebung oder Verkürzung des Verbots. Auch in der Literatur wird deshalb vertreten, dass sich die Zuständigkeit des Bundesamtes wegen der Verweisung in § 75 Nr. 12 AufenthG auf den gesamten§ 11 Abs. 7 AufenthG, der wiederum auf die Regelung in § 11 Abs. 4 AufenthG verweist, auch auf die Aufhebung oder Änderung der Frist des Verbotes erstreckt (vgl. Maor in BeckOK AuslR, AufenthG § 11 Rn. 57).

Soweit das Gesetz eine "entsprechende" Geltung der Absätze 1 bis 5 des § 11 AufenthG im Anwendungsbereich des § 11 Abs. 7 AufenthG anordnet, vermag die Kammer daraus keine anderslautende Auslegung abzuleiten. [...]

Nach Auffassung der Kammer ergibt sich auch aus der Zuständigkeitsregelung in § 75 Nr. 12 AufenthG keine aus dem Wortlaut des Gesetzes ablesbare Beschränkung der Zuständigkeit des Bundesamtes auf eine (erstmalige) Anordnung und Befristung von Einreise- und Aufenthaltsverboten. [...]

2. Auch eine systematische Auslegung der Vorschriften über die Aufhebung, Verkürzung oder Verlängerung der Frist des Einreise und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 oder 2 AufenthG nach bestandskräftig verfügtem Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG sprechen nach Auffassung der Kammer für eine Zuständigkeit des Bundesamtes auch für die hier begehrte Aufhebung. [...]

Im Einklang mit den Ausführungen des Beklagten ist davon auszugehen, dass auch allgemeine systematische Erwägungen gegen eine Zuständigkeit des Beklagten sprechen. [...]

Schließlich spricht gegen eine aus § 71 Abs. 1 AufenthG ableitbare, aufenthaltsrechtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde die gesetzliche Klassifizierung der Entscheidung über ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG als asylrechtliche Entscheidung. [...]

3. Auch eine teleologische Auslegung der einschlägigen Vorschriften spricht nicht entscheidend für eine Zuständigkeit des Bundesamtes auch für nachträgliche Aufhebungs- oder Befristungsentscheidungen. Sinn und Zweck der Entscheidungsbefugnis des Bundesamtes über die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach §§ 75 Nr. 11, 11 Abs. 7 AufenthG ist eine Beschleunigung der Asylverfahren, um Missbrauchsfälle zu verhindern und insbesondere möglichst schon im Vorfeld auszuschließen, dass aussichtslose Asylfälle das Asylsystem zu belasten. [...]

Dieser Sinn und Zweck der gesetzgeberischen Zuständigkeitsregelung wird durch eine sachliche Zuständigkeitsregelung für nachträgliche Änderungsentscheidungen nicht tangiert, weil weiterhin der mit der Verfügung eines solchen Verbotes verhängte Zweck erreicht werden kann. [...]

Allgemein ist jedoch davon auszugehen, dass der Sinn gesetzlicher Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit darin besteht, bestimmte Verwaltungsaufgaben derjenigen Behörde zuzuweisen, die für deren Erledigung am besten geeignet erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999, a.a.O.). Im Einklang mit den Ausführungen des Klägers ist zwar davon auszugehen, dass die schutzwürdigen Belange eines Ausländers, die nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen sind, oft Bezüge zum Inland aufweisen werden, wie z.B. im vorliegenden Fall die Veränderungen in den persönlichen Lebensumständen eines Ausländers. Solche Umstände könnten möglicherweise von den Ausländerbehörden besser berücksichtigt werden als von dem Bundesamt, weil dieses typischerweise nach Abschluss eines Asylverfahrens nicht mehr mit dem Schicksal des Ausländers vertraut ist. Gleichermaßen werden die Ausländerbehörden die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG, die nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zu einer Aufhebung eines bestandskräftigen Einreise- und Aufenthaltsverbots führen sollen, möglicherweise besser als das Bundesamt beurteilen können, weil sie - anders als das Bundesamt - mit der Prüfung dieser Normen vertraut sind. Andererseits fehlen den Ausländerbehörden jegliche Erfahrungen mit den asylrechtlichen Gründen, die der Verhängung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG zugrunde liegen. Wie schwer ein Missbrauch eines Asylrechts in einem Einzelfall wiegt, kann eine Ausländerbehörde schon deshalb nicht ohne weiteres beurteilen, weil sie selbst keine Vergleichsfälle hat und an der asylrechtlichen Entscheidung nicht beteiligt ist. Da im Rahmen einer Aufhebung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots die Gründe, die für eine Verhängung des Verbots geführt haben, mit denjenigen Gründen abgewogen werden, die im Nachhinein gemäß § 11 Abs. 4 AufenthG für eine Aufhebung des Verbots sprechen, wäre insoweit das Bundesamt ebenso geeignet. [...]

Dafür, dass der Gesetzgeber das Bundesamt für besser geeignet hält, auch nachträgliche Änderungen in den tatsächlichen Gegebenheiten im Rahmen einer Entscheidung über ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu berücksichtigen, spricht, dass es in denjenigen Fällen, in denen seine Entscheidung nicht bestandskräftig geworden ist, auch nachträgliche Änderungen zu berücksichtigen hat. [...]

4. Demgegenüber geht zwar der Wille des Gesetzgebers eindeutig von einer Zuständigkeit der Ausländerbehörde für nachträgliche Änderungen der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 4 AufenthG auch im Falle einer Entscheidung des Bundesamtes nach § 11 Abs. 7 AufenthG aus. [...]

Eine teleologische Reduktion der Regelung in §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 7 AufenthG dahingehend, dass die Verweisung auf die Regelung in§ 11 Abs. 4 AufenthG entgegen des Wortlauts nicht zur Anwendung kommt, hält die Kammer mangels Regelungslücke nicht für nicht möglich. [...]