OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.08.2016 - 13 A 1642/16.A - asyl.net: M24896
https://www.asyl.net/rsdb/M24896
Leitsatz:

Die Frage, ob minderjährigen männlichen Afghanen eine landesweite Verfolgung in Form von Zwangsrekrutierung droht, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung und kann zudem aufgrund einer fehlenden Verfolgungsdichte verneint werden.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Berufungszulassungsantrag, minderjährig, Zwangsrekrutierung, Taliban, Kundus, Gruppenverfolgung, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3
Auszüge:

[...]

Daran fehlt es hier. Die Frage, ob minderjährigen männlichen afghanischen Staatsangehörigen in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Zwangsrekrutierung droht, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Eine solche kann auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens verneint werden. Die Annahme einer - hier geltend gemachten - alle Gruppenmitglieder (minderjährige männliche afghanische Staatsangehörige in Afghanistan) erfassenden, gruppengerichteten Verfolgung setzt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit voraus, dass eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ vorliegt, die die Vermutung der Verfolgung jedes einzelnen Angehörigen der Gruppe rechtfertigt. Hierfür ist wiederum die Gefahr in einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr auf alle Gruppenmitglieder zielen und sich in qualitativer und quantitativer Hinsicht so häufen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BayVGH, Urteil vom 3. Juli 2012 - 13a B 11.30064 -, juris, Rn 20, BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 -, juris, Rn. 20).

Entsprechende Erkenntnisse für landesweite Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in erforderlichen Umfang liegen nicht vor. Auch die vom Kläger benannten Erkenntnisquellen geben keinen Anlass zu einer derartigen Annahme.

Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes seien Zwangsrekrutierungen durch Milizen, Warlords oder kriminelle Banden zwar nicht auszuschließen. Ferner bestehe das Problem der Rekrutierung von Kindern durch regimefeindliche Gruppen oder afghanische Sicherheitskräfte weiter fort (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand November 2015, S. 13 f.).

Allerdings differenziert der Lagebericht nicht zwischen zwangsweiser und freiwilliger Rekrutierung.

Zudem sei die afghanische Regierung dem Lagebericht zufolge bemüht, die Rekrutierung Minderjähriger u.a. durch die Einführung der Strafbarkeit zu unterbinden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand November 2015, S. 14).

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der landesweiten Zwangsrekrutierung von minderjährigen männlichen Staatsangehörigen oder jungen Männern ist mit Blick auf diese Ausführungen gerade nicht anzunehmen.

Dem jüngsten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist lediglich zu entnehmen, dass es Hinweise auf die Rekrutierung und den Einsatz Minderjähriger als Soldaten durch die afghanische Armee (ANSF) und irreguläre Sicherheitskräfte gebe. Auch die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen rekrutierten danach Kinder (vgl. SFH, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, 13. September 2015, S. 16).

Mangels konkreter Zahlen, der Angaben der Orte sowie der fehlenden Differenzierung zwischen zwangsweiser und freiwilliger Rekrutierung ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit landesweiter Zwangsrekrutierungen der Gruppe der minderjährigen männlichen afghanischen Staatsangehörigen auch daraus nicht abzuleiten.

Dem entsprechen die Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien, die zunächst anführen, es gäbe Rekrutierungen von Minderjährigen und Zwangsrekrutierungen, und dann zum Ergebnis kommen, dass je nach den spezifischen Gründen des Einzelfalles Bedarf an Flüchtlingsschutz bestehen könne (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 64 ff., 70).

In dem darauf folgenden Bericht vom August 2014 erwähnt der UNHCR, dass Jungen und Männer im wehrfähigen Alter häufig als Kämpfer rekrutiert würden, beschränkt dies aber dann auf Gebiete, die von regierungsfeindlichen Gruppen kontrolliert werden und auf Gebiete, in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Gruppen um die Macht kämpfen. In Gegenden, die regierungsfeindliche Gruppen kontrollierten, werde mit verschiedenen Strategien um Kämpfer geworben und dabei auch auf Zwangsrekrutierungen zurückgegriffen (vgl. UNHCR, Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan - Erkenntnisse u.a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013, August 2014, S. 3).

Da auch diesem Bericht eine landesweite Gefährdung nicht entnommen werden kann und Zwangsrekrutierungen nur einen (wiederum nicht näher bezeichneten) Teil der Rekrutierungen betreffen, ergibt sich daraus ebenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer landesweiten Zwangsrekrutierung von minderjährigen männlichen afghanischen Staatsbürgern und jungen Männern. Dem entspricht auch die Einschätzung des UNHCR, der ebenfalls eine besonders sorgfältige Prüfung bestimmter Risikogruppen, zu denen auch Männer und Jungen im wehrfähigen Alter zählten, anrät. Diese könnten auf internationalen Schutz angewiesen sein (vgl. UNHCR, Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan - Erkenntnisse u.a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013, August 2014, S. 3).

Sowohl in den Richtlinien aus dem Jahre 2013 als auch im Bericht von August 2014 wird also auf den jeweiligen Einzelfall abgestellt und gerade keine Verfolgung nur wegen der Gruppenzugehörigkeit angenommen.

Die weiteren vom Kläger benannten Erkenntnisquellen ergeben nichts anders: [...]