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EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Beschluss vom 05.04.2017 - C-36/17 - Ahmed gg. Deutschland (ASYLMAGAZIN 7-8/2017, S. 291 f.) - asyl.net: M25181
https://www.asyl.net/rsdb/M25181
Leitsatz:

Beschluss nach Art. 99 VerfO EuGH:

Die Fristenregelungen für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach der Dublin-III-VO sind im Fall einer Person, die in einem anderen Mitgliedstaat als subsidiär schutzberechtigt anerkannt wurde, nicht anwendbar.

(Leitsatz der Redaktion; Entscheidung erging auf Vorlage des VG Minden, Beschluss vom 19.01.2017 - 10 K 6164/16.A - asyl.net: M24623)

Schlagwörter: internationaler Schutz in EU-Staat, Dublinverfahren, Frist, subsidiärer Schutz, ausländische Anerkennung, Drittstaatenregelung, sichere Drittstaaten, Drei-Monats-Frist, Dublin III-Verordnung, Vorlagebeschluss, subjektives Recht, Fristablauf, Zuständigkeit, Aufnahmeersuchen, Aufnahmegesuch, Fristablauf, Asylantrag, Asylgesuch, Zuständigkeitsübergang, Asylantragstellung, internationaler Schutz, Vorabentscheidungsverfahren,
Normen: VO 604/2013 Art. 20, VO 604/2013 Art. 21, VO 604/2013 Art. 22, VO 604/2013 Art. 23, VO 604/2013 Art. 24, VO 604/2013 Art. 25, VO 604/2013 Art. 26, VO 604/2013 Art. 27, VO 604/2013 Art. 28, VO 604/2013 Art. 29, VO 604/2013 Art. 30, VO 604/2013 Art. 31, VO 604/2013 Art. 32, VO 604/2013 Art. 33, AEUV Art. 267, VO 604/2013 Art. 17 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Zu den Vorlagefragen

21 Gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden. [...]

Zur ersten Frage

24 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die unmittelbar oder mittelbar die Fristen für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs regelnden Vorschriften und Grundsätze der Verordnung Nr. 604/2013 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens anwendbar sind, in der ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem ihm durch einen anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt wurde. [...]

26 Der Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens ist in den Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 604/2013 festgelegt. Während sich Art. 24 der Verordnung auf Fälle bezieht, in denen im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, regelt ihr Art. 23 Situationen wie die des Ausgangsverfahrens, in denen in diesem Mitgliedstaat ein solcher Antrag gestellt wurde.

27 Gemäß Art. 23 Abs. 1 der Verordnung kann das Wiederaufnahmeverfahren in solchen Fällen nur die Überstellung einer Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, c oder d der Verordnung bezwecken.

28 Die drei letztgenannten Bestimmungen beziehen sich auf einen Antragsteller, dessen Antrag geprüft wird, einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen hat, und einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde.

29 Aus dem Umstand, dass einem Drittstaatsangehörigen von einem anderen Mitgliedstaat als dem, der die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats vornimmt, der subsidiäre Schutzstatus gewährt wurde, kann nicht abgeleitet werden, dass ein von ihm gestellter Antrag in einem anderen Mitgliedstaat geprüft wird oder zurückgezogen wurde. Daher ist zu klären, ob er als Drittstaatsangehöriger angesehen werden kann, dessen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat abgelehnt wurde.

30 In Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 604/2013 wird zwar nicht klargestellt, ob es sich bei dem dort genannten abgelehnten "Antrag" um einen Antrag auf internationalen Schutz oder einen Asylantrag im engeren Sinne handelt.

31 Wäre diese Bestimmung so auszulegen, dass sie sich auf die Ablehnung eines Asylantrags bezieht, könnte sie unter Umständen auf einen Drittstaatsangehörigen mit subsidiärem Schutzstatus Anwendung finden, da dieser Status gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erst zu gewähren ist, nachdem festgestellt wurde, dass der Antragsteller die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt.

32 Dieser Auslegung von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 604/2013 kann aber nicht gefolgt werden.

33 Sie liefe nämlich auf die Annahme hinaus, dass der Unionsgesetzgeber in dieser Bestimmung den Begriff "Antrag" in mehreren unterschiedlichen Bedeutungen verwendet hat, denn die in ihr enthaltene Bezugnahme darauf, dass der Betroffene "in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat", betrifft insbesondere im Hinblick auf Art. 1 und Art. 20 Abs. 1 der Verordnung zwangsläufig die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz.

34 Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki, C-84/12, EU:C:2013:862, Rn. 34).

35 Hierzu ist festzustellen, dass nach Art. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 604/2013 der Ausdruck "Antragsteller" einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen bezeichnet, "der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde".

36 Ferner enthält die Verordnung zwar keine unmittelbare Definition des Begriffs "Antrag", doch wird in ihrem Art. 2 Buchst. b der Begriff "Antrag auf internationalen Schutz" definiert. In den Vorschriften der Verordnung werden darüber hinaus die Begriffe "Antrag" und "Antrag auf internationalen Schutz" generell in untrennbarer Weise verwendet, ohne dass, anders als in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1), je auf einen "Asylantrag" Bezug genommen würde. [...]

39 Nach Auffassung des Unionsgesetzgebers ist demnach sicherzustellen, dass der Antrag auf internationalen Schutz eines Drittstaatsangehörigen wie des Klägers des Ausgangsverfahrens durch eine Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 33 der Richtlinie und nicht durch eine Überstellungsentscheidung ohne Prüfung gemäß Art. 26 der Verordnung abgelehnt wird, was eine Reihe von Konsequenzen insbesondere für die gegen die Ablehnungsentscheidung gegebenen Rechtsbehelfe hat.

40 Dadurch kann die Verwirklichung der im fünften Erwägungsgrund der Verordnung genannten Ziele, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und die zügige Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden, nicht beeinträchtigt werden, da ein Drittstaatsangehöriger wie der Kläger des Ausgangsverfahrens bereits internationalen Schutz genießt.

41 Demzufolge ergibt sich aus Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 in Verbindung mit ihrem Art. 18 Abs. 1 Buchst. d, dass ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen der in dieser Verordnung festgelegten Verfahren nicht wirksam um Wiederaufnahme eines Drittstaatsangehörigen wie des Klägers des Ausgangsverfahrens ersuchen kann, der im erstgenannten Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem ihm durch den letztgenannten Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt wurde.

42 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die unmittelbar oder mittelbar die Fristen für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs regelnden Vorschriften und Grundsätze der Verordnung Nr. 604/2013 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem ihm durch einen anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt wurde, nicht anwendbar sind. [...]