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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.05.2017 - 11 S 2493/16 - asyl.net: M25202
https://www.asyl.net/rsdb/M25202
Leitsatz:

§ 71 Abs. 5 S. 2 AsylG, wonach die Abschiebung erst erfolgen darf, wenn das BAMF die Durchführung eines Folgeverfahrens abgelehnt hat, gilt auch für isolierte Wiederaufgreifensanträge, die nur auf ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG gerichtet sind (entgegen VGH Hessen, Beschluss vom 14.12.2006 - 8 Q 2642/06.A - Rn. 9, asyl.net: M9782; VGH Bayern, Beschluss vom 29.11.2011 - 24 CE 05.3107 - Rn. 11, asyl.net: M7736).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: nationale Abschiebungshindernisse, Beschränkung des Antrags, Asylfolgeantrag, isolierter Wiederaufgreifensantrag, Abschiebung, Analogie,
Normen: AsylG § 71 Abs. 5 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Aus einem eindeutigen Wortlaut einer Norm folgt schon kategorisch nichts für die Frage der Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer Analogiebildung. Wäre der Wortlaut mehrdeutig, könnte dies nach Auslegung auf eine direkte Anwendung der Norm führen. Um eine solche geht es bei einer Analogiebildung indes nicht; sie setzt vielmehr gerade die Notwendigkeit der Überschreitung der Wortlautgrenze voraus (das übersieht der BayVGH, Beschluss vom 29.11.2011 - 24 CE 05.3107 -, juris Rn. 11). Auch das Abstellen auf eine Regelungslücke führt in der Sache regelmäßig nicht weiter (vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, S. 256 f.), weil damit der Maßstab für eine zulässige Analogiebildung nicht scharf gezeichnet wird, was aber vor dem Hintergrund von Gesetzesbindung und Parlamentsvorbehalt erforderlich ist (dazu unten III.). Daher genügt auch der bloße Verweis auf unterschiedliche Antragsvoraussetzungen und Rechtsfolgen von Folgeanträgen und Wiederaufgreifensanträge nicht. Wären deren Antragsvoraussetzungen und Rechtsfolgen identisch, stellte sich die Frage nach einer analogen Anwendung ebenfalls nicht. [...]

Eine Analogiebildung ist jedoch geboten, wenn eine Wertungsgleichheit von geregeltem und ungeregeltem Sachverhalt festzustellen ist, die auf einer bloß unvollkommenen Umsetzung einer Wertentscheidung des Gesetzgebers beruht (vgl. Reimer, a.a.O., S. 249, 247 ff.). Und so liegt der Fall hier.

a) § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG sieht vor, dass die Abschiebung nach Stellung eines Folgeantrags erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vollzogen werden darf, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden. Das Gesetz stellt damit eine inhaltliche Prüfung durch das alleine für die Prüfung von Folgeanträgen zuständige Bundesamt vor Durchführung einer Abschiebung durch die hierfür zuständige Landesbehörde sicher.

Die Vorschrift erfasst ausdrücklich nur Folgeanträge, die in § 71 Abs. 1 AsylG als erneute Asylanträge (vgl. § 13 Abs. 1 und 2 AsylG) definiert werden. Unzweifelhaft fallen hierunter nach dem Wortlaut der Norm nur solche, die sich auf die in §§ 3 und 4 AsylG aufgeführten verfassungs- bzw. unionsrechtlichen Schutzkonzepte beziehen, nicht aber solche, die auf nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinführen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 14.12.2006 - 8 Q 2642/06.A -, juris Rn. 9; BayVGH, a.a.O.). [...]

Da das Bundesamt aber auch für die Prüfung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ausschließlich zuständig ist, wenn ein Asylantrag bzw. Schutzgesuch gestellt (§ 31 Abs. 3 AsylG) oder insoweit ein Wiederaufgreifen beantragt worden ist - also in Fällen eines im Anschluss an ein Asylverfahren gestellten Wiederaufgreifensantrags -, liegt auch hier die gleiche Problemlage vor, wie in Fällen eines Folgeantrags.

Denn das Problem, dass in einem solchen Fall die Abschiebung durch die zuständige Landesbehörde erfolgen könnte, ohne dass zuvor über das Folgeschutzgesuch durch das Bundesamt entschieden wurde, stellt sich hier in gleicher Weise wie bei einem Folgeantrag. Es liegt daher nahe, dem durch eine Analogiebildung in effektiver Weise zu begegnen.

Folgte man dem nicht, wäre der betroffene Ausländer regelmäßig gezwungen, gerichtlichen Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung an das Bundesamt in der Form zu suchen, dieses zu der Mitteilung an die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde zu verpflichten, dass eine Abschiebung vorläufig bis zum Abschluss des Verfahrens auf Wiederaufgreifen nicht vorgenommen werden darf, sofern die Ausländerbehörde - trotz des Wiederaufgreifensantrags und der ihr nicht zustehenden Prüfungskompetenz insoweit - von der Abschiebung nicht bis zur Entscheidung des Bundesamtes Abstand nimmt (so etwa Hess VGH, a.a.O.). [...]