OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.05.2017 - 2 M 39/17 - asyl.net: M25241
https://www.asyl.net/rsdb/M25241
Leitsatz:

1. Es gibt keine feste zeitliche Obergrenze für die Dauer der studienvorbereitenden Maßnahmen einschließlich Studienkolleg.

2. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lässt nicht die Fiktionswirkung aufleben und die Ausreisepflicht entfallen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: studienvorbereitende Maßnahmen, Studienvorbereitung, Studienkolleg, Fiktionswirkung, Suspensiveffekt, Ausreisepflicht, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Fortgeltungswirkung,
Normen: AufenthG § 16 Abs. 1 S. 5, AufenthG § 84 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 81 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Hiermit kann die Antragsgegnerin nicht durchdringen. Maßgeblich für die Entscheidung über die Verlängerung der dem Antragsteller erteilten Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums ist § 16 Abs. 1 Satz 5 AufenthG. Nach dieser Vorschrift beträgt die Geltungsdauer bei der Ersterteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ein Studium mindestens ein Jahr und soll bei Studium und studienvorbereitenden Maßnahmen zwei Jahre nicht überschreiten; sie kann verlängert werden, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann. § 16 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 AufenthG enthält - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - keine zeitliche Obergrenze für den Aufenthalt eines Ausländers zum Zweck der Studienvorbereitung. Die Vorschrift regelt allein die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis, die  einem Ausländer zum Zweck der Studienvorbereitung und des Studiums erteilt bzw. verlängert werden kann. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Verlängerung einer zum Studium oder zu studienvorbereitenden Maßnahmen erteilten Aufenthaltserlaubnis richten sich hingegen allein nach § 16 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 AufenthG (vgl. OVG NW, Beschl. v. 05.06.2012 - 18 B 1483/11 -, juris RdNr. 2 ff.; Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., § 16 AufenthG RdNr. 18). Demgemäß handelt es sich bei dem in § 16 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 AufenthG genannten Zeitraum von zwei Jahren nicht um eine "Regelfrist" für studienvorbereitende Maßnahmen, die nur bei Vorliegen eines atypischen Sachverhalts, etwa bei Krankheit oder Schwangerschaft, überschritten werden darf (a.A. BayVGH, Beschl. v. 20.07.2007 - 19 CS 07.1363 -, juris RdNr. 21; NdsOVG, Beschl. v. 01.12.2010 - 8 ME 292/10 -, juris RdNr. 7). Für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums kommt es vielmehr gemäß § 16 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 AufenthG allein darauf an, ob der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann. Die hiernach anzustellende Prognose hat sich in erster Linie an den erkennbaren Bemühungen des Ausländers auszurichten, das Ziel seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.01.2012 - 10 CS 11.2487 -, Juris RdNr. 14, OVG BBg, Beschl. v. 12.11.2014 - OVG 3 S 36.14, OVG 3 M 62.14 -, juris RdNr. 8). Im Rahmen dieser Prognoseentscheidung ist davon auszugehen, dass eine überlange Studienvorbereitung in der Regel die Annahme rechtfertigt, der Ausländer werde die studienvorbereitenden Maßnahmen nicht in angemessener Zeit abschließen können. Dabei ist die Ausländerbehörde nicht gehindert, anzunehmen, dass studienvorbereitende Maßnahmen regelmäßig innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren erfolgreich absolviert werden können (vgl. OVG NW, Beschl. v. 05.06.2012 - 18 B 1483/11 -, a.a.O., RdNr. 9; OVG BBg. Beschl. v. 12.11.2014 - OVG 3 S 36.14, OVG 3 M 62.14 -, a.a.O. RdNr. 8). In diesem Sinne können auch die Regelungen in Nr. 16.0.6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - VwV AufenthG - vom 26.10.2009 (GMBl. 2009, S. 877) verstanden werden (vgl. OVG NW, Beschl. v. 05.06.2012 - 18 B 1483/11 -, a.a.O.). [...]

2. Die Antragsgegnerin macht jedoch zu Recht geltend, dass der Beschluss fehlerhaft ist, soweit das Verwaltungsgericht - ohne gesonderte Tenorierung - ausgeführt hat, mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung erlange die durch die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis untergegangene Fiktionswirkung wieder Gültigkeit, so dass der Antragsteller nicht mehr vollziehbar ausreisepflichtig sei. Auch ist dem Antragsteller - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - keine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG auszustellen.

Mit § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG hat der Gesetzgeber die Bedeutung und Reichweite der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendenden Verwaltungsakt einfachgesetzlich dahingehend entschieden, dass nur die Vollstreckung (der gesetzlichen Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG) im engeren Sinne nach Eintritt der aufschiebenden Wirkung unzulässig sein soll. Die Wirksamkeit eines die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendenden Verwaltungsakts wird hingegen nicht berührt. Die zugrunde liegende Ausreiseverpflichtung bleibt bestehen (vgl. Beschl. d. Senats v. 07.03.2006 - 2 M 130/06 -, juris RdNr. 5; Samel, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 84 AufenthG RdNr. 22). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hat nicht zur Folge, dass die mit der Versagung beendete Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG wieder auflebt (vgl. OVG BBg, Beschl. v. 24.06.2008 - OVG 2 S 36.08 -, Juris RdNr. 4). Die behördliche Ablehnung ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der nach der Konzeption des Gesetzgebers unbeschadet einer gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ausländers beendet (vgl. Beschl. d. Senats v. 22.01.2007 - 2 M 318/06 -, juris RdNr. 4; Samel, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O.). Diese Konzeption wird bekräftigt durch § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG; danach tritt eine Unterbrechung der Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts (nur dann) nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Folge der vom Gericht angeordneten aufschiebenden Wirkung ist lediglich der Ausschluss der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Ausländers (§§ 50, 58 Abs. 2 Satz 2, 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), der dazu führt, dass er - solange er sich im Bundesgebiet befindet - einstweilen so zu behandeln ist, als gelte sein Aufenthaltstitel als fortbestehend (vgl. Beschl. d. Senats v. 22.01.2007 - 2 M 318/06 -, a.a.O.). Demgemäß ist dem Ausländer gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG lediglich eine Bescheinigung darüber auszustellen, dass sein Aufenthaltstitel als fortbestehen gilt ("Fortgeltungsbescheinigung"), die nicht mit der Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG zu verwechseln ist (vgl. Samel, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 84 AufenthG RdNr. 25). [...]