1. § 39 Nr. 1 AufenthV ist im Wege teleologischer Reduktion einschränkend dahin auszulegen, dass er diejenigen Fälle nicht erfasst, in denen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis anstelle der dem Aufenthaltszweck gemäßen Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, weil es für Letztere an der Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum, § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, fehlt.
2. Die Aktualität eines vom Ausländer - hier nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG - verwirklichten Ausweisungstatbestandes ist im Rahmen der Anspruchsprüfung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG regelmäßig nicht zu prüfen, weil sich hieraus lediglich eine für die Anspruchsprüfung unerhebliche Atypik hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ergeben kann, entgegen VGH Mannheim, Urteil vom 19. April 2017 - 11 S 1967/16 -, juris.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
18 aa) Der Kläger ist von der Erfüllung der Visumpflicht nicht nach § 39 Nr. 1 AufenthV befreit. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.
19 Das trifft dem Wortlaut nach auf den Kläger zu, da die Beklagte seine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, wie die "Vorläufige Bescheinigung" vom 23. Mai 2017 zeigt, am selben Tage verlängert hat. Anderenfalls gälte die rückwirkend zum 26. Mai 2014 erteilte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG fort, weil der Kläger die Verlängerung am 25. November 2014, dem letzten Tag der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis, hat beantragen wollen, auch wenn der Antrag an diesem Tage nicht entgegengenommen oder bearbeitet werden konnte. Das ergibt sich aus der dem Kläger am 25. November 2014 erteilten Bescheinigung.
20 Bei der humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG handelt es sich um eine "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne von § 39 Nr. 1 AufenthV (VG Aachen, Urteil vom 10. Februar 2010 - 8 K 2258/08 -, juris, Rzn. 24 f.). Diesen humanitären Aufenthaltstitel hat der Kläger jedoch nur "stellvertretend" für den an sich "passenden" Aufenthaltstitel zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erhalten, der nach Auffassung der Beklagten (unter anderem) wegen der Nichterfüllung der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht hat erteilt werden können. Würde gleichwohl die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zur Anwendbarkeit des § 39 Nr. 1 AufenthV führen, so wäre das Visumerfordernis für die dem Zweck des Familiennachzugs entsprechende Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG entwertet. Der Kläger selbst weist darauf hin, dass eine juristische Sekunde nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG vermittels der Vorschrift des § 39 Nr. 1 AufenthV die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für den eigentlich begehrten Aufenthaltstitel zum Familiennachzug nicht mehr relevant wäre. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hätte also zur Folge, dass das Visumerfordernis für die eigentlich dem Aufenthaltszweck des Familiennachzugs entsprechende Aufenthaltserlaubnis gegenstandslos würde. Das gebietet nach Auffassung der Kammer, § 39 Nr. 1 AufenthV im Wege teleologischer Reduktion einschränkend dahin auszulegen, dass er diejenigen Fälle nicht erfasst, in denen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis anstelle der dem Aufenthaltszweck gemäßen Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, weil es für Letztere an der Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fehlt (so bereits Beschluss der Kammer vom 3. Dezember 2013 - VG 8 K 485/12 -; Urteile des Einzelrichters vom 10. September 2015 - VG 8 K 2841/14 - und vom 12. Januar 2016 - VG 8 K 2622/14 -, jew. rkr., n.v.; zur vergleichbaren einschränkenden Auslegung von § 39 Nr. 5 AufenthV s. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2008 - OVG 2 S 4.08 -; Beschluss vom 10. Januar 2012 - OVG 11 S 6.12 -, jew. juris). [...]