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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 29.05.2017 - 33 K 235.17.A - asyl.net: M25302
https://www.asyl.net/rsdb/M25302
Leitsatz:

Erfolglose Aufstockungsklage eines Eritreers:

Bei Entziehung vom Nationaldienst droht zwar unmenschliche Behandlung, jedoch knüpft sie nicht an einen asylrelevanten Verfolgungsgrund - wie etwa Zuschreibung einer regierungskritischen Gesinnung - an.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, Flüchtlingsanerkennung, Eritrea, Nationaldienst, Militärdienst, Verfolgungsgrund, Asylrelevanz,Flüchtlingseigenschaft, Wehrdienstverweigerung, politische Verfolgung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

Zwar droht dem Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art 3 EMRK (dazu 2.), diese erfolgt jedoch nicht "wegen" eines Verfolgungsgrundes i.S.d. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG (dazu 3.). [...]

Die dem Kläger drohende Einziehung zum militärischen Teil des Nationaldienstes ist als unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu bewerten (aa.), knüpft jedoch nicht an einen Verfolgungsgrund an (bb.).

aa. Der eritreische Nationaldienst sieht nach der Nationaldienst-Proklamation von 1995 (Nationaldienst-Proklamation) eine Dienstpflicht von 18 Monaten vor, die sich aus einer sechsmonatigen militärischen Ausbildung und einem sich an diese anschließenden zwölfmonatigen aktiven Dienst im Militär oder in zivilen Entwicklungsarbeiten zusammensetzt. Unter Berufung auf das angespannte Verhältnis zu Äthiopien hat die eritreische Regierung die Dienstpflicht im Jahr 2002 auf unbestimmte Zelt verlängert, so dass sie tatsächlich im Durchschnitt fünf bis zehn Jahre, häufig auch länger dauert (Schweizer Staatssekretariat für Migration [SEM], Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 10. August 2016, S. 45 f. m.w.N.; European Asylum Support Office [EASO], EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 40 m.w.N.). Dabei verdienen die Dienstpflichtigen monatlich 500 Nakfa, was etwa 30 EUR entspricht und zum Lebensunterhalt nicht genügt (SEM, a.a.O., S. 52 f. m.w.N:). Den Berichten über die Behandlung der Wehrpflichtigen in Eritrea zufolge sind die Bedingungen, unter denen die militärische Ausbildung erfolgt und gerade der militärische Teil des Nationaldienstes abzuleisten ist, nicht nur überaus hart, sondern die Wehrpflichtigen sind darüber hinaus auch regelmäßigen Misshandlungen ausgesetzt. Dabei stellt Eritrea hinsichtlich der Quellenlage eine große Herausforderung dar. Aufgrund der fast lückenlosen Unterdrückung freier Informationsmöglichkeiten innerhalb Eritreas durch Militär, Polizei und Sicherheitsdienste ist es außerordentlich schwierig, menschenrechtsrelevante Informationen zu erhalten und auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen (vgl. Auswärtiges Amt [AA], Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, 21. November 2016; S. 2). Den Berichten der Kommission des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Menschenrechte in Eritrea (UN-Kommission), die beide auf im Ausland zugänglichen Informationen, insbesondere auf Aussagen von 550 vernommenen Flüchtlingen oder Migranten aus Eritrea beruhen (vgl. AA, a.a.O., S. 6), zufolge, ist im eritreischen Militär die willkürliche Folter von Wehrpflichtigen üblich und weit verbreitet. Wehrpflichtige werden regelmäßig in brutaler und erniedrigender Weise - häufig vor anderen Wehrpflichtigen - bestraft; so werden sie beispielsweise im Ausbildungslager in Sawa geschlagen und sodann in der sog. "Helikopter-Position" an Händen und Füßen gefesselt in der Sonne liegen gelassen (UN-Kommission, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Erirea, 5. Juni 2015, A/HRC/29/CRP 1 [Report 2015], S. 304 f. Abs. 1077 ff.; vgl. auch UN-Kommission, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8. Juni 2016, A/HRC/32/CRP 1 [Report 2016], S. 20 ff. Abs. 80 ff.).

bb. Jedoch knüpft die Einziehung zum Nationaldienst nicht an einen Verfolgungsgrund an. Von der Einziehung zum Nationaldienst sind praktisch alle erwachsenen eritreischen Staatsbürger gleichermaßen ohne Ansehung ihrer Persönlichkeitsmerkmale betroffen (VG München, Urteil vom 20. Dezember 2016 - M 12 K 16.32942 – juris Rn. 25 m.w.N.). Nach der Nationaldienst-Proklamation sind grundsätzlich alle eritreischen Staatsangehörigen - gleich welchen Geschlechts - im Alter von 18 bis 50 Jahren dienstpflichtig (vgl. EASO, a.a.O., S. 33), überdies werden einigen Berichten zufolge in der Praxis auch Minderjährige (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen, Auskunft vom 21. Januar 2016, S. 2 ff.; EASO, a.a.O., S. 36 f.) und Männer bis zu 57 Jahren (vgl. Norwegisches Zentrum für Herkunftslandinformationen, Report Eritrea: National Service, 20. Mai 2016, S. 10 Fn. 15) als dienstpflichtig behandelt.

b) Darüber hinaus drohte dem Kläger vor seiner Flucht aus Eritrea wegen Dienstverweigerung eine Inhaftierung, die zwar ebenfalls eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK darstellt (aa.), aber nicht an einen Verfolgungsgrund anknüpft (bb.).

aa. Der Kläger musste damit rechnen, wegen Dienstverweigerung inhaftiert zu werden, weil er als den Behörden bekannter Schulabbrecher im nationaldienstpflichtigen Alter vom Militär an seinem Wohnort mehrmals gezielt aufgesucht und schließlich festgenommen wurde. Den aktuellen Berichten zufolge werden im Inland aufgegriffene Dienstverweigerer außergerichtlich und willkürlich mit einigen Monaten oder Jahren Haft bestraft und sodann in die militärische Ausbildung überführt (SEM, a.a.O., S. 23 f. m.w.N.).

Eine Inhaftierung in Eritrea ist überdies als unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK zu bewerten und somit nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG auch als Verfolgungshandlung irn Sinne des § 3 Abs. 1 Nr.1 AsylG. Die Haftbedingungen in eritreischen Gefängnissen werden insbesondere wegen massiver Überbelegung, unzureichender medizinischer Behandlung und schlechter Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln als unmenschlich hart und lebensbedrohlich beschrieben (AA, a.a.O., S. 15; Amnesty international [Al), Just Deserters, August 2016, S. 48; UN-Kommission, a.a.O., 5. Juni 2015, S. 247 ff., 272 f. Abs. 886 ff., 963 f.; vgl. auch VG Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016, K 2273/16.A, juris, Rn, 39 m.w.N.). Insbesondere gibt es Berichte über unterirdische Gefängnisse sowie als Gefängniszellen verwendete Schiffscontainer, die aufgrund des Klimas in Eritrea tagsüber extrem heiß und nachts extrem kalt werden und über eine minimale Frischluftzufuhr verfügen (UN-Kommission, Report 2015, S. 250 f. Abs. 894 f.; AI, a.a.O., S. 47 ff.). Folter und Misshandlungen sollen während der Inhaftierung weit verbreitet sein; berichtet wird u.a. von Schlägen mit - teilweise mit Nägeln versehenen - Stöcken und dem Festbinden von Häftlingen in gekrümmter Haltung (AA, a.a.O., S. 16; AI, Eritrea - 20 Years of Independence, but still no Freedom, Mai 2013, S 27; US Department of State, Eritrea 2013 Human Rights Report, S. 3 f.; UN-Kommission, Report 2015, S. 247 ff., 272 Abs. 961 sowie S. 281 ff. Abs. 1006 ff.; vgl. auch VG Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016, 7 K 2273/16.A. -, juris, Rn. 39).

Eine drohende Bestrafung wegen Desertion bzw. Dienstverweigerung ist auch nicht von vornherein zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft ungeeignet. Insbesondere lässt sich aus § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht der Schluss ziehen, dass die Bestrafung für (Militär-)Dienstverweigerung nur unter den dort genannten Voraussetzungen eine Verfolgungshandlung sein kann (so aber VG Potsdam, Urteil vom 17. Februar 2016, VG 6 K 1995/15.A -, juris, Rn. 17, dagegen zutreffend VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2016 - 4 A.1646/16 -, juris, Rn. 32 f.; im Ergebnis auch VG München, Urteil vom 20. Dezember 2016 - M 12 K 16.32942 -, juris, Rn. 26). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG können unter anderem die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG gelten. Bereits aus dem Wortlaut "können [...] unter anderem" folgt, dass die in § 3a Abs. 2 Nr. 1-6 AsylG genannten Handlungen lediglich als Regelbeispiele für Verfolgungshandlungen benannt und nicht abschließend aufgezählt werden (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 3a Rn. 22, Rn. 35 ff.). Dieses Ergebnis wird auch auch eine systematische Auslegung bestätigt, da § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG als weiteres Regelbeispiel für eine Verfolgungshandlung eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung nennt.

bb. Eine hiernach drohende Bestrafung wegen Dienstverweigerung erfolgt jedoch nicht wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrundes, insbesondere nicht wegen der politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe .. [...]

Gemessen hieran knüpft die Deserteuren und Dienstverweigerern in Eritrea drohende Bestrafung nach der Überzeugung der Kammer anhand der Erkenntnislage in dem nach § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht an einer ihm von den eritreischen Behörden zugeschriebenen politischen Gegnerschaft oder einem anderen flüchtlingsschutzrelevanten Merkmal an (so auch VG München, Urteil vom 10. Januar 2017 - M 12 K 16.33229 -, juris; Rn. 26; VG Düsseldorf, Urteil vom 16. März 2017 – 6 K 12164/16.A - juris Rn. 59 f., jeweils m.w.N.; dagegen VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2016, 4 A 1646/16 -, juris, Rn. 35 f.; VG Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 7 K 2273/16.A -, juris Rn; 46 f.; jeweils m.w.N.; vgl. auch UK Upper Tribunal, MST and Others [national service - risk categories] Eritrea CG [2016] UKUT 00443 [lAC], 7. Oktober 2016; S. 4 und S. 155, Rn. 430).

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass dem Nationaldienst, der als "Schule der Nation" verstanden wird (vgl. EASO, a.a.O. S 32), im Staat Eritrea eine besondere ideologische und politische Bedeutung zukommt. So baut die gesamte Volkswirtschaft Eritreas auf dem Nationaldienst auf (vgl. AA, a.a.O., S. 9) und er dient darüber hinaus auch dazu, Kontrolle über die eritreische Bevölkerung auszuüben (UN-Kommission, Report 2016, S. 58 Abs. 234). Einem aktuellen Bericht zufolge soll die eritreische Regierung in einem Einzelfall Hilfszahlungen der Europäischen Union in Höhe von 227 Millionen US-Dollar zur Demobilisierung einer Gruppe seit langem dienender Wehrpflichtiger abgelehnt haben (vgl. AI, a.a.O., S. 7). Hieraus folgt aber nicht, dass der Staat Eritrea Dienstverweigerern und Deserteuren stets eine gegnerische politische Gesinnung zuschreibt. Zwar berichtet die UN-Kommission, dass Festnahmen - etwa aufgrund von Desertion oder Ausreise - häufig mit dem Vorwurf verräterischen Verhaltens begründet werden (UN-Kommission, Report 2016, S. 59 Abs. 240; Report 2015, S. 114 Abs. 431), dabei ist aber zu beachten, dass die Berichte der UN-Kommission einen Zeitraum von 25 Jahren abdecken, ohne dabei Entwicklungen aufzuzeigen, da die zugrundeliegenden Zeugenaussagen keiner bestimmten Zeit zugeordnet werden (vgl. AA, a.a.O., S. 6). Überdies bezieht sich die UN-Kommission in ihren Berichten hauptsächlich auf die Fälle von Eritreern, die in den Jahren 2002 bis 2008 zurückgeführt wurden (vgl. UN-Kommission, Report 2015, S. 114 ff. Abs. 427 ff.; S. 300 Abs. 1070). Die UN-Kommission berichtet ferner von zwei aktuellen Fällen, in denen Rückkehrer nicht bestraft wurden. Im Jahr 2014 seien sieben ältere Männer - im Gegensatz zu den jüngeren Männern - freigelassen worden und auch eine weitere Gruppe rückgeführter Eritreer, die die Zahlung einer 2 %-Steuer belegen konnten, sei nicht verhaftet oder eingezogen worden (vgl. UN-Kommission, Report 2015, S. 115 f. Abs. 436).

Gerade die dem letztgenannten Fall zugrundeliegende Möglichkeit der Erlangung des sog. "Diaspora-Status" zeigt, dass Dienstverweigerer und Deserteure ungeachtet der ideologischen Bedeutung des Nationaldienstes nicht notwendig als "Verräter" behandelt und bestraft werden. Nach aktuellen Erkenntnissen können illegal ausgereiste Eritreer, die sich drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, gegen die Zahlung einer sog. "Aufbau-" oder "Diasporasteuer" und Unterzeichnung eines sog. Reueformulars jedenfalls zu Besuchszwecken relativ problemlos nach Eritrea ein- und wieder ausreisen, ohne mit einer Bestrafung rechnen zu müssen. Dies soll auch gelten, wenn diese den Nationaldienst verweigert. haben oder aus diesem desertiert sind (vgl. etwa AA, a.a.O., S. 17; SEM, a.a.O. S. 32 ff. m.w.N.; EASO a.a.O., S. 49 m.w.N.). Dabei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass die Berichte hierüber zum Teil auf Interviews mit Rückkehrern beruhen, die von Mitarbeitern eritreischer Behörden begleitet und übersetzt wurden (vgl. SEM, a.a.O., S. 34; UK Home Office, Report of a Home Office Fact Finding Mission, Eritrea: Illegal exit and national service, Contucted 7-20 February 2016, Oktober 2016, S. 8, 107-114, 117, 214-220, 228-24). Allerdings bestätigen die vom SEM und dem UK Home Office im Rahmen dieser "Fact-Finding-Missionen" mit internationalen Beobachtern in Eritrea geführten Gespräche, dass tatsächlich zahlreiche Eritreer von der Rückkehrmöglichkeit Gebrauch machen (vgl. SEM, a.a.O., S. 35 f.; UK Home Office, a.a.O., S. 101). Auch das AA berichtet von entsprechenden Erfahrungen deutscher Behörden mit anerkannten Asylbewerbern aus Eritrea, die trotz ihrer behaupteten politischen Verfolgung besuchsweise nach Eritrea gereist sind (AA, a.a.O., S. 17). Da davon auszugehen ist, dass sich Verhaftungen trotz Zahlung der "Diaspora-Steuer" bei im Ausland lebenden Eritreern schnell herumsprechen würden, sieht die Kammer in dem tatsächlichen Gebrauchmachen von dieser Möglichkeit ein starkes Indiz dafür, dass zumindest zu Besuchszwecken eingereiste Eritreer, die zuvor im dienstpflichtigen Alter das Land illegal verlassen haben, tatsächlich nicht bestraft werden. Außerdem ist die Flucht vor dem Nationaldienst in Eritrea zu einem Massenphänomen geworden, was nach der Auffassung der Kammer ebenfalls dagegen spricht, dass die eritreische Regierung Deserteure und Dienstverweigerer allgemein als politische Gegner behandelt. Nach dem Bericht der UN-Kommission – unter Berufung auf Eurostat – haben im Jahr 2015 insgesamt 47.025 Eritreer in Europa Asyl beantragt und die Gesamtzahl der Flüchtlinge aus Eritrea lag im Juni 2015 bei 444.091, was etwa 12 % der Bevölkerung des Landes entspricht (vgl. UN-Kommission, Report 2016, S. 18 Abs. 68). AI berichtet, dass 90 % der Flüchtlinge das Land im Alter zwischen 18 und 24 Jahren verlassen, wobei der Fluchtgrund überwiegend der eritreische Nationaldienst sei (AI, a.a.O., S. 6).

Überdies lässt auch die Strafpraxis nicht erkennen, dass der Staat Eritrea Dienstverweigerern oder Deserteuren eine gegnerische politische Gesinnung zuschreibt und sie gerade im Hinblick darauf "als Verräter" besonders bestraft. Es ist nicht ersichtlich, dass die Bestrafung von Dienstverweigerern oder Deserteuren im Allgemeinen in Eritrea härter ausfällt, als die Bestrafung anderer Straftäter. Wenngleich keine Informationen zur allgemeinen Strafverfolgungspraxis vorliegen (vgl. AA, a.a.O., S. 11) bleiben die derzeit verhängten Haftstrafen für Desertion und Dienstverweigerung von regelmäßig einigen Monaten bis zu zwei Jahren offenbar deutlich hinter den gesetzlichen Höchststrafen in Eritrea zurück. Die derzeit gültige gesetzliche Regelung in Art. 219 des eritreischen Strafgesetzbuchs von 1991 sieht für die Dienstverweigerung während Kriegszeiten bis zu fünf Jahre Haft vor (vgl. SEM, a.a.O., S. 22), während das neue - in der Praxis aber nicht angewandte - Strafgesetzbuch für die Dienstverweigerung eine Haftstrafe von ein bis drei Jahren, im besonders schweren Fall - "during time of emergency involving the armed forces of Eritrea, general mobilization, or war" - sogar von sieben bis zehn Jahren vorsieht (SEM, a.a.O., S. 17 f.). Überdies knüpfen beide Regelungen nicht an eine bestimmte politische Haltung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale an, sondern nur an den Umstand, dass sich die Befroffenen dem Nationaldienst entzogen haben. Eine an eine vermeintliche politische Gegnerschaft anknüpfende härtere Bestrafung von Deserteuren und Dienstverweigerern folgt auch nicht aus der willkürlichen und außergerichtlichen Inhaftierung, da in Eritrea willkürliche Festnahmen ohne Haftbefehle und Angabe von Gründen üblich sind (vgl. AA, a.a.O., S. 11; UN-Kommission, Report 2015, S. 221 Abs. 792), mithin weite Teile der Bevölkerung gleichermaßen treffen (vgl. VG Augsburg, a.a.O., juris, Rn: 26 f.). Ferner spricht gerade auch die große Bandbreite bei der Dauer der willkürlich festgesetzten Haftstrafen gegen eine gezielte Verfolgung von Deserteuren und Dienstverweigerern als politische Gegner (vgl. auch VG München, a.a,O., juris, Rn. 27). Ferner lassen auch die unmenschlichen Haftbedingungen nicht auf eine - im Verhältnis zu anderen Straftätern in Eritrea - außergewöhnlich harte Bestrafung schließen. Die UN-Kommission beschreibt die Bedingungen in allen Gefängnissen in Eritrea als extrem hart. Zwar sollen in besonders schlimmen Haftanstalten häufig gerade solche Personen untergebracht werden, deren Vergehen die eritreischen Behörden als besonders schwer ansehen, hierzu sollen aber auch unpolitische Straftaten wie beispielsweise Schmuggel oder illegale Geldwechselgeschäfte gehören (vgl. UN-Kommission, Report 2015, S. 248 Abs. 890). […]