Kein Selbsteintritt durch (ausführliche) Anhörung der antragstellenden Person zu ihrem Verfolgungsschicksal:
Die Anhörung zu den Fluchtgründen kann routinemäßig im Anschluss an die Befragung zu Herkunft und Reiseweg erfolgen und stellt - auch bei mehrstündigen Befragungen - noch keine konkludente Erklärung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts dar.
(Leitsätze der Redaktion)
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b) Das Bundesamt hat - entgegen der Meinung der Antragsteller - zum Zeitpunkt des Übernahmeersuchens an Frankreich auch nicht bereits sein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO ausgeübt, indem es die Antragsteller zu ihren Asylgründen angehört hat. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin III-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Ein Selbsteintritt setzt ein behördliches Verhalten voraus, dass den Entschluss verdeutlicht, das Asylverfahren abweichend vom Regelfallsystem des Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO in eigener Verantwortung durchzuführen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. März 2010 - 15 ZB 10.30005, juris Rn. 3). Ein solches Verhalten liegt hier nicht vor. Das Bundesamt hat mit der Durchführung der Anhörung nach § 25 AsylG am 5. September 2016 noch nicht konkludent sein Selbsteintrittsrecht ausgeübt. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Ausübung des Selbsteintrittsrechts auch konkludent aus den Umständen ergeben kann. Maßgeblich ist jedoch stets, dass das Bundesamt seine Entschließungen in einer verlässlichen Art und Weise nach außen erkennbar werden lässt. Zu beachten ist zudem, dass der Selbsteintritt keine dem Asylbewerber gegenüber abzugebende Erklärung und das "Verhalten" des Bundesamts folglich auch nicht aus dessen Horizont heraus zu beurteilen ist. Insofern handelt es sich bei einem Selbsteintritt - entgegen der Meinung der Antragsteller - gerade nicht um eine öffentlich rechtliche Willenserklärung, für die die Auslegungsregeln von empfangsbedürftigen Willenserklärungen gelten. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Antragsteller davon ausgegangen sind, dass die Erörterung ihrer Fluchtgründe inhaltliche Relevanz für das Asylverfahren hat. Aus dem gleichen Grund bringt auch eine, trotz der erheblichen Dauer der Anhörung letztlich routinemäßige, sich an die Befragung zu Herkunft und Modalitäten der Einreise sowie die Erforschung des Reisewegs unmittelbar anschließende Anhörung der Antragsteller zu ihrem Verfolgungsschicksal für sich genommen regelmäßig noch nicht hinreichend zum Ausdruck, dass das Bundesamt bereits den Entschluss gefasst hat, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Die Anhörung zum Verfolgungsschicksal hatte letztlich nur informatorischen Charakter. Es sprechen bereits Gründe der Verfahrensökonomie dafür, eine umfassende Anhörung auch bei möglicher Überstellung in einen anderen EU-Mitgliedstaat durchzuführen. Denn dann müsste für den Fall, dass sich die Überstellung nicht realisieren lassen sollte, keine zweite Anhörung durchgeführt werden. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass sich anlässlich der Anhörung zum Verfolgungsschicksal Gesichtspunkte herausstellen, die zu einem späteren Selbsteintritt führen könnten. Aus diesem Grund schadet es auch nicht, dass das Bundesamt zunächst eine Anhörung nach § 25 AsylG durchgeführt hat, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige EU-Mitgliedsstaat sein könnte. Denn allein die Durchführung der Anhörung stellt noch keine Entscheidung des Bundesamtes dar. Sie dient vielmehr dazu, eine verbindliche Entscheidung über einen möglichen Selbsteintritt oder über die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates der EU vorzubereiten.
Auch das weitere Verhalten des Bundesamts bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht hat. Vielmehr hat das Bundesamt nach der Anhörung gemäß § 25 AsylG mit den Antragstellern am 28. November 2016 eine sog. Dublin-Anhörung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Dublin III-VO durchgeführt (Erst- und Zweitbefragung) . Anschließend hat das Bundesamt Frankreich um Übernahme des Asylverfahrens gebeten. Unerheblich ist, dass das Übernahmeersuchen nicht unmittelbar nach der Anhörung erfolgte. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich dabei um die nächsten Bearbeitungsschritte des Bundesamts handelte. Bereits dadurch hat das Bundesamt zum Ausdruck gebracht, dass es von seinem Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch gemacht hat und auch keinen Gebrauch machen will. [...]