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Zitieren als:
BVerwG, Entscheidung vom 16.11.2015 - 1 A 4.15 - asyl.net: M25444
https://www.asyl.net/rsdb/M25444
Leitsatz:

Vereinsverbot wegen Völkerverständigungswidrigkeit:

Ein Verein richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG, wenn er eine Stiftung, die integraler Teil der Hisbollah ist, über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang finanziell unterstützt, ihm die Zugehörigkeit der unterstützten Stiftung zur Hisbollah bekannt ist und er sich mit der Hisbollah einschließlich der von dieser vertretenen, das Existenzrecht Israels negierenden Einstellung und deren bewaffneten Kampf identifiziert.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Vereinsverbot, Hisbollah, Anhörung, Auflösung, einheitliches Netzwerk, Hisbollah, Inländerverein, Israel, Libanon, Religionsfreiheit, Religionsgemeinschaft, Syrien, Vereinsverbot, Völkerverständigungswidrigkeit.
Normen: GG Art. 4 Abs. 1 und 2, GG Art. 9 Abs. 2, GG Art. 26 Abs. 1, GG Art. 140, VereinsG § 3 Abs. 1, VereinsG § 14 Abs. 1 Satz 2, VwVfG § 28 Abs. 1 Satz 1, EMRK Art. 11
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage für das Verbot und die Auflösung des Klägers ist § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz - VereinsG -) vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) i.V.m. Art. 9 Abs. 2 GG. Danach darf ein Verein erst dann als verboten behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, dass seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder dass er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Die Verbotsverfügung ist auf dieser Grundlage in formell (a) und materiell (b) rechtmäßiger Weise ergangen. [...]

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Urteile vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 = juris Rn. 18; vom 24. Februar 2010 - 6 A 7.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 53 Rn. 44 und vom 18. April 2012 - 6 A 2.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 56 Rn. 13 ff.) richtet sich eine Vereinigung dann objektiv gegen den Gedanken der Völkerverständigung, wenn ihre Tätigkeit oder ihr Zweck geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung zu beeinträchtigen. Das Verbot, sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu richten, beschränkt sich nicht auf eine vereinsrechtliche Konkretisierung des Verbots nach Art. 26 Abs. 1 GG. Denn der Gedanke der Völkerverständigung reicht weiter als das friedliche Zusammenleben der Völker. Ein Verein richtet sich vielmehr auch dann gegen den Gedanken der Völkerverständigung, wenn sein Zweck oder seine Tätigkeit der friedlichen Überwindung der Interessengegensätze von Völkern zuwiderläuft. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineingetragen und insbesondere zur Tötung von Menschen aufgefordert wird (BVerwG, Gerichtsbescheid vom 8. August 2005 - 6 A 1.04 - juris Rn. 26 und Urteil vom 25. Januar 2006 - 6 A 6.05 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 44 Rn. 15). In einem solchen Fall ist es für die Erfüllung des objektiven Verbotstatbestandes nicht erforderlich, dass der Verein selbst Gewalt ausübt. Der objektive Tatbestand kann auch dann erfüllt sein, wenn ein Verein eine Gruppierung unterstützt, die ihrerseits durch Ausübung von Gewalt das friedliche Miteinander der Völker beeinträchtigt (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 = juris Rn. 18) bzw. das Existenzrecht eines Staates vor dem Hintergrund eines Konflikts zwischen zwei Völkern in der Weise verneint, dass er zu dessen gewaltsamer Beseitigung aufruft (BVerwG, Gerichtsbescheid vom 8. August 2005 - 6 A 1.04 - juris Rn. 26) und hierdurch mittelbar zu der gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichteten Zwecksetzung oder Tätigkeit beiträgt.

Die Erfüllung des Verbotstatbestandes setzt nicht voraus, dass die Unterstützungsleistung unmittelbar den militärischen oder terroristischen Teilen einer Gewalt ausübenden Organisation zugutekommt (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 = juris Rn. 60). Der objektive Verbotstatbestand kann vielmehr auch dann erfüllt sein, wenn die deren Sozialvereinen zugewandten Gelder zweckentsprechend für soziale Zwecke eingesetzt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der soziale Flügel der betroffenen Organisation nicht von dem militärischen (terroristischen) und politischen Bereich der Organisation getrennt werden kann, so dass sich eine Unterstützung der der Organisation zuzuordnenden sozialen Einrichtungen angesichts des Charakters der Organisation als einheitliches Netzwerk auch als Unterstützung ihres militärischen Handelns darstellt. In diesem Fall kann die humanitäre Zwecksetzung der Hilfeleistung nicht isoliert betrachtet werden. Das soziale Engagement ist der betroffenen Organisation zuzurechnen, da es einen Beitrag zur Akzeptanz der Organisation in der Bevölkerung leistet, was wiederum die Rekrutierung von Aktivisten erleichtert, die sich an gewalttätigen Handlungen beteiligen (BVerwG, Urteile vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 = juris Rn. 37 und vom 18. April 2012 - 6 A 2.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 56 Rn. 14). Hinzu kommt, dass die finanziellen Zuwendungen an Sozialvereine die Organisation finanziell entlasten und die so eingesparten Mittel auch dem militärischen Sektor zugutekommen können. Aufgrund dieser Akzeptanz- und Entlastungsvorteile genügt es, wenn die dem Sozialverein zugewandten Gelder zweckentsprechend für soziale Zwecke eingesetzt werden, ohne dass es auf den Nachweis ankommt, ob diese sozialen Zwecken zur Verfügung gestellten Mittel abgezweigt und unmittelbar für militärische Zwecke verwendet worden sind. Findet eine solche Unterstützung über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang statt, liegt darin eine schwerwiegende, ernste und nachhaltige Beeinträchtigung des Gedankens der Völkerverständigung (BVerwG, Urteil vom 18. April 2012 - 6 A 2.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 56 Rn. 14). Von dem Verbotsgrund sind nicht nur die friedlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu fremden Völkern, sondern auch der Frieden zwischen fremden Völkern erfasst. Der Verbotstatbestand ist nur erfüllt, wenn der Zweck oder die Tätigkeit des Vereins geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen. Eine aggressiv-kämpferische Vorgehensweise ist daneben und zusätzlich nicht erforderlich (Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 3 VereinsG Rn. 96). Die Völkerverständigungswidrigkeit muss aber, um ein Verbot rechtfertigen zu können, den Charakter des Vereins prägen (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 54). [...]

aaa) Die Hisbollah ("Partei Gottes", auch: Hizb Allah, Hezbollah, Hizbullah) ist als völkerverständigungswidrige Organisation anzusehen, weil sie das Existenzrecht des Staates Israel offen in Frage stellt und zu dessen gewaltsamer Beseitigung aufruft. {...]

Selbst wenn der Kläger als eine Religionsgemeinschaft (oder Weltanschauungsgemeinschaft) anzusehen wäre, würde dies die Anwendung der Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG nicht ausschließen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 25. Januar 2006 - 6 A 6.05 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 44 Rn. 12 und vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 31) finden die Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG auch auf die verfassungsrechtlich geschützten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Anwendung. Der schwerwiegende Eingriff des Verbots einer religiösen Vereinigung ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn er bei der Abwägung mit den Verfassungsgütern, die mit dem Verbot geschützt werden sollen, nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unerlässlich ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2003 - 1 BvR 536/03 - NJW 2004, 47; BVerwG, Urteile vom 25. Januar 2006 - 6 A 6.05 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 44 Rn. 12 und vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.14 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 31 Rn. 31).

Auch wenn bei der Bewertung von Zweck und Tätigkeiten des Klägers der Schutz berücksichtigt wird, den die religiöse Vereinigungsfreiheit verleiht, erfüllt der Kläger den Verbotstatbestand des Art. 9 Abs. 2 GG. Denn die Beeinträchtigung des Gedankens der Völkerverständigung erweist sich hier als so gewichtig, dass auch mit Blick auf den besonderen Rang der religiösen und weltanschaulichen Vereinigungsfreiheit die jeweilige Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft verboten werden kann.

bb) Der Kläger hat auch die subjektiven Voraussetzungen des Verbotstatbestandes des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG erfüllt. Ihm waren die Umstände bekannt, die wegen seiner finanziellen Zuwendungen an die Shahid Stiftung den Vorwurf der Unterstützung der Hisbollah begründen (aaa). Er hat sich zudem mit der Hisbollah und der von dieser propagierten Negierung des Existenzrechts Israels sowie mit den von ihr ausgehenden Gewalttaten identifiziert (bbb). [...]

Ist hiernach eine Identifikation des Klägers mit der Hisbollah und ihren völkerverständigungswidrigen Zielen durch tragfähige Indizien hinreichend belegt, kann offenbleiben, ob bzw. in welchem Umfang an dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Erfordernis festzuhalten ist, dass ein objektiv gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtetes Verhalten auch von einem entsprechenden Willen der Vereinigung und einer Identifikation mit den entsprechenden Zielen getragen wird, das Wissen hierum mithin nicht ausreicht. Zumindest gegen eine Überspannung der als Korrektiv auch zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entwickelten subjektiven Voraussetzungen des Verbotstatbestandes (BVerwG, Urteil vom 18. April 2012 - 6 A 2.10 - Buchholz 402.25 VereinsG Nr. 56 Rn. 14) spricht die gefahrenabwehrrechtliche Grundausrichtung der Vereinsverbots. Zudem entstünde in Fällen der bewussten Unterstützung einer objektiv erkennbar völkerverständigungswidrigen Organisation wegen Feststellungs- und Nachweisproblemen dann eine Schutzlücke, wenn maßgeblich auf die (innere) Identifizierung gerade mit deren zur Völkerverständigungswidrigkeit führenden Handlungen und Zielen abgestellt und für die Identifikation mehr als ein bedingter Unterstützungsvorsatz gefordert würde (zur Kritik vgl. Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 3 VereinsG Rn. 114 f.). [...]