VG Greifswald

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Zitieren als:
VG Greifswald, Beschluss vom 23.08.2017 - 3 B 1650/17 As HGW - asyl.net: M25464
https://www.asyl.net/rsdb/M25464
Leitsatz:

1. Das schwedische Asyl- und Aufnahmesystem weist keine systemischen Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 [Dublin III-Verordnung] auf.

2. Die Nichtübersendung einer Kopie der Asylakte führt jedenfalls in Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Asylgesetz (AsylG) nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des Bescheides, da § 36 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht anwendbar ist.

3. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 [AufenthG] in Bezug auf Schweden liegt nicht allein auf Grund der gemutmaßten Weiterschiebung nach Afghanistan vor. Ein solches Abschiebungsverbot kann allenfalls dann angenommen werden, wenn der Antragsteller auch im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt wäre.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Schweden, Afghanistan, Kettenabschiebung, Dublinverfahren, systemische Mängel, Abschiebungsandrohung, Refoulement,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Bst. a, AsylG § 36 ABs. 2 Satz 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

10 Der Zuständigkeit Schwedens steht auch nicht die Unmöglichkeit der Überstellung dorthin im Sinne Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO entgegen. Nach dieser Norm ist die Überstellung unmöglich, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) mit sich bringen. Es gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Es obliegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den nationalen Gerichten, einen Asylbewerber nicht an den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass die Antragsteller tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 -, juris Erwägungsgrund 106 ff.). Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO).

11 Es bestehen nach Auffassung des Gerichts unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse keine Anhaltspunkte dafür, dass in Schweden die Mindestanforderungen an ein Asylverfahren nach den europäischen Asylrichtlinien sowie nach der EMRK, der GR-Charta und der GFK nicht eingehalten werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Schweden Willens und in der Lage ist, Asylsuchenden entsprechend dem Dubliner Übereinkommen Schutz zu gewähren. In Schweden steht Asylbewerbern generell ein Zugang und Anspruch auf die notwendige medizinische Versorgung zu (vgl. AIDA, Country Report: Sweden, Dezember 2015, S.45). Es findet unter Hinzuziehung eines Dolmetschers eine persönliche Anhörung vor der zuständigen Asylbehörde statt und dem Antragsteller stehen zwei Rechtsmittel zur Verfügung, mit denen die Entscheidung überprüft werden kann. Dafür können die Antragsteller kostenfreie Rechtsberatung erhalten. Dass in der tatsächlichen Gewährleistung dieses Anspruchs systemische Schwachstellen bestehen, ist nicht erkennbar. Das schwedische Asylsystem weist keine systemischen Schwachstellen auf (s.a. VG Greifswald, Urt. v. 02.11.2016 - 3 A 1678/16 As HGW - juris Rn. 19; VG Potsdam, Beschl. v. 14.10.2016 - 6 L 899/16.A - juris).

12 Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht ferner nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin - so der Antragsteller - keine Ermessenserwägungen hinsichtlich ihre Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 3 Dublin III-VO angestellt habe. Dies liegt insofern bereits neben der Sache, als dass eine solche Vorschrift nicht existiert. Soweit es um das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO geht, hat die Antragsgegnerin auf Seite 5 ihres Bescheides sehr wohl ausgeführt, dass keine außergewöhnlichen humanitären Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts vorlägen. [...]