Es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass selbst besonders Schutzbedürftigen (hier einer alleinerziehenden Mutter mit Kleinkind), denen in Rumänien internationaler Schutz gewährt wurde (also Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz) im Falle einer Überstellung nach Rumänien auf nicht absehbare Zeit Obdachlosigkeit droht und auch sonst kein gesicherter Zugang zu weiteren existenzsichernden Leistungen gewährt wird.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
b) Gemessen daran bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 10. Februar 2017 unter Ziffer 3 enthaltenen Abschiebungsandrohung, mit der der Antragstellerin für den Fall, dass sie die einwöchige Ausreisefrist nicht einhält, die Abschiebung nach Rumänien angedroht wird. Denn es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass für die Antragstellerin in Bezug auf Rumänien ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II, S. 685) - Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Art. 3 EMRK bestimmt, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ist eine Person auch dann ausgesetzt, wenn sie über einen längeren Zeitraum obdachlos und ohne Zugang zu jeder Versorgung ist, wenn also - mit anderen Worten - ihr wirtschaftliches Existenzminimum nicht gewährleistet ist, und staatliche Stellen, die Abhilfe schaffen könnten, es unterlassen, in irgendeiner Weise Abhilfe zu schaffen, obwohl sie die Notlage hätten erkennen müssen. [...]
Aufgrund der Unterlagen, die dem Gericht zur Situation von Personen, denen in Rumänien internationaler Schutz, d.h. Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) gewährt wurde, vorliegen, sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Antragstellerin, der in Rumänien ausweislich des Schreibens des dortigen Innenministeriums vom 26. August 2016 subsidiärer Schutz gewährt wurde und die als Mutter eines wenige Wochen alten Kindes besonders schutzbedürftig ist, im Falle ihrer Überstellung nach Rumänien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, über einen längeren Zeitraum von nicht absehbarer Dauer in Obdachlosigkeit und ohne gesicherten Zugang zu weiteren die menschliche Existenz sichernden Leistungen, insbesondere Nahrung, zu leben und die rumänischen Behörden es unterlassen, Abhilfe zu schaffen, obwohl sie die Notlage erkennen müssten und zur Abhilfe in der Lage wären. [...]
Die Antragstellerin wird im Falle ihrer Überstellung nach Rumänien zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf staatliche Hilfe angewiesen sein. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass sie über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt, um in Rumänien selbst für sich und ihr Kind für ihren unabdingbaren Lebensunterhalt, insbesondere Unterkunft und Nahrung, zu sorgen, liegen nicht vor. Einer Arbeit zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts wird die Antragstellerin vorerst schon wegen ihres neugeborenen Kindes nicht nachgehen können, zumal nicht ersichtlich ist, dass sie in Rumänien über Möglichkeiten verfügt, ihr Kind betreuen zu lassen. Darüber hinaus ist es für anerkannte Schutzberechtigte in Rumänien aufgrund eines Mangels geeigneter Arbeitsmöglichkeiten, mangelnder Sprachkenntnisse und fehlender Befähigungsnachweise häufig nicht möglich, Arbeit zu finden, obwohl ihnen hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt Inländergleichbehandlung gewährt wird. [...]
Damit ist entscheidend, ob die Antragstellerin (und ihr Kind) von dritter Seite ausreichend versorgt werden, um ihr Existenzminimum zu gewährleisten. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen erhalten sowohl Flüchtlinge als auch subsidiär Schutzberechtigte in Rumänien eine Unterstützung i.H.v. 540,- Lei im Monat, dies entspricht etwa 120,- € (vgl. Martina, Flüchtlinge in Rumänien?, 2016, www.evang.ro/ fluechtlinge-in-rumaenien/ (abgerufen am 28. Juli 2017); News Deeply, Refugees Relocated by E.U. Struggle to Get by in Romania, 1. Dezember 2016, www.newsdeeply.com/refugees/articles/2016/12/01/refugees-relocated-by-e-u-struggle-to-get-by-in-romania (abgerufen am 28. Juli 2017).
Dieser Betrag soll über dem Satz für rumänische Sozialhilfeempfänger, die allerdings auf die Unterstützung ihrer Familie zurückgreifen können, liegen (vgl. Mihai, Rumänien: Flüchtlinge im Land der Auswanderer?, Februar 2016, library.fes.de/pdf-files/id-moe/12332.pdf, S. 2 (abgerufen am 28. Juli 2017)).
Der anerkannten Schutzberechtigten monatlich zur Verfügung gestellte Betrag beträgt etwas mehr als ein Drittel des staatlich garantierten Mindestlohns, der seit dem 1. Februar 2017 bei 320,- €/Monat liegt (vgl. en.wikipedia.org/wiki/Minimum_wage_in_Romania (abgerufen am 28. Juli 2017) -, und etwas weniger als ein Viertel des durchschnittlichen Monatseinkommen in Rumänien i.H.v. etwa 520,- €/Monat (vgl. en.wikipedia.org/wiki/List_of_European_countries_by_average_wage (abgerufen am 28. Juli 2017)).
Voraussetzung für die Gewährung der staatlichen Unterstützung für anerkannte Schutzberechtigte ist, dass die betreffende Person an obligatorischen Integrationskursen teilnimmt. Die Bezugsdauer beträgt neun Monate, eine Verlängerung um drei Monate ist möglich. Aus dem monatlich zur Verfügung gestellten Betrag müssen alle Ausgaben, einschließlich der Kosten für eine Unterkunft, getragen werden. Wohnt ein Schutzberechtigter weiterhin in einer staatlichen Flüchtlingsunterkunft beträgt die zu entrichtende Miete im Sommer 150,- und im Winter 240,- Lei. Anerkannte Schutzberechtigte können bis zu zwölf Monate in einer staatlichen Flüchtlingsunterkunft wohnen. Ausgenommen sind Minderjährige, Alleinerziehende, Behinderte und Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, diese Personen können dort auf unbestimmte Zeit bleiben (vgl. Martina, Flüchtlinge in Rumänien?, 2016, www.evang.ro/ fluechtlinge-in-rumaenien/ (abgerufen am 28. Juli 2017); News Deeply, Refugees Relocated by E.U. Struggle to Get by in Romania, 1. Dezember 2016, www.newsdeeply.com/refu gees/articles/2016/12/01/refugees-relocated-by-e-u-struggle-to-get-by-in-romania (abgerufen am 28. Juli 2017).
Angesichts der Befristung der Unterstützung für anerkannte Schutzberechtigte sprechen auf Grundlage der dem Gericht vorliegenden Informationen erhebliche Gründe dafür, dass das Existenzminimum der Antragstellerin und ihres Kindes nicht ausreichend gesichert ist, zumal die Antragstellerin schon ein halbes Jahr als subsidiär Schutzberechtigte in Rumänien gelebt hat und aufgrund der Betreuung ihres Kindes bis auf Weiteres nicht in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass Nichtregierungsorganisationen oder Kirchen die Antragstellerin und ihr Kind mit Mitteln für ihren unabdingbar notwendigen Lebensunterhalt unterstützen werden, liegen nicht vor. Zwar gewähren insbesondere der Jesuit Refugee Service in Romania und die Hilfsorganisation AidRom Hilfen für Flüchtlinge (vgl. Martina, Flüchtlinge in Rumänien?, 2016, www.evang.ro/ fluechtlinge-in-rumaenien/ (abgerufen am 28. Juli 2017); VG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2017 - 23 L 293/17.A -, juris Rn. 18).
Jedoch liegen dem Gericht keine belastbaren Erkenntnisse über etwaige Adressaten oder den Umfang etwaiger Hilfen vor, so dass auf Grundlage der vorliegenden Informationen ungewiss ist, ob die Antragstellerin und ihr Kind Unterstützung dieser oder anderer Organisationen erhalten werden. [...]