VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Urteil vom 06.01.2017 - 5 A 4666/15 As SN - asyl.net: M25509
https://www.asyl.net/rsdb/M25509
Leitsatz:

(Krankheitsbedingtes) Abschiebungsverbot wegen dialysepflichtiger Niereninsuffizienz; die wenigen vorhandenen Dialyseplätze in Ghana reichen bei weitem nicht aus.

Schlagwörter: Ghana, Dialyse, medizinische Versorgung, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, GG Art. 16a Abs. 2, AufenthG § 29a Abs. 1, AsylVfG § 4, AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, Urt. 17.10.2006, a.a.O., S. 36 f. mit weiteren Nachweisen).

Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Nicht erforderlich ist nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG aber, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (so auch schon vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016: BVerwG, Beschl. v. 24.5.2006 - BVerwG 1 B 118.05 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2ff AufenthG Nr. 16; OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. August 2016 - 8 ME 87/16 - juris). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - BVerwG 1 C 1.02 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG aber auch dann vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.

Als Prognosemaßstab für den Eintritt der drohenden Gefahren gilt grundsätzlich der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.9.2010 - BVerwG 10 C 11.09 -, juris, Rn. 14 mit weiteren Nachweisen). Nur wenn eine allgemeine Gefahr von Verfassungs wegen ein Abschiebungsverbot begründen soll, ist bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - BVerwG 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12, 28 f. mit weiteren Nachweisen). Hieran gemessen ist im Fall des Klägers das Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben bei einer Rückkehr nach Ghana zu bejahen.

Der Kläger leidet seit mehreren Jahren unter anderem an einer Niereninsuffizienz. Im Mai 2015 wurde eine chronische Niereninsuffizienz im (schwersten) Stadium 5 festgestellt. Er befindet sich seit März 2016 in einer dauerhaften Dialysebehandlung, der Kläger muss sich dreimal die Woche einer Blutwäsche unterziehen. Das maximale Intervall zwischen zwei Behandlungen darf drei Tage betragen; die Dialyse ist lebenslang notwendig, wenn nicht eine Nierentransplantation erfolgt. Daneben erhält der Kläger eine komplexe medikamentöse Behandlung wegen diverser weiterer (Folge-) Erkrankungen (vgl. Atteste des Krankenhauses v. 12.10.2016; v. 06.12.2016; v. 28.12.2016 der Innere Medizin, v, 13.05.2016 sowie den drei Berichten der Nephrologischen Praxis ..., Fachärzte für Innere Medizin/Nephrologie v. 27.06.2016 und zweimal vom 04.01.2017).

Nach dem vom Auswärtigen Amt erstellten Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG (Stand: 12. Februar 2016), dort S. 21, besteht zwar in Ghana jedenfalls im Universitätsklinikum Korle- Bu in Accra die Möglichkeit einer Dialysebehandlung an 18 Dialysemaschinen (vgl. www.ghanaweb.com/GhanaHomePage/features/Battling "Battling Chronic Kidney Disease in Ghana" vom 13.10.2013). Weitere vier Dialysegeräte dürften sich nach einer Spende der D.Med Healthcare Group auch im Polizeikrankenhaus Accra und dem Peace and Love Krankenhaus in Kumasi finden (vgl. www.dmeadhealthcare. com/de/2015/05/462.php), jedoch ist zweifelhaft, ob ein Platz an einem der Geräte erlangt werden kann und ob sie von entsprechend qualifiziertem Personal bedient werden können (vgl. auch "Behandlungsmöglichkeiten für Dialyse-Patienten", Accord Anfragebeantrwortung vom 02.08.2005). Nach dem Artikel 2013 sind die nephrologischen Abteilungen (im Vergleich zu der Darstellung für das Jahr 2005) weiterhin an Kliniken überlastet und die Wartelisten lang. Die eingesetzten Apparate sind überlastet, so dass sie oft Störungen aufweisen. Auch sind die Kosten für die Dialysebehandlung nur schwer zu realisieren. Die von jedem Patienten zu tragenden Kosten betragen im Jahr 2013 je Sitzung bis zu 100,-. Es ist nicht klar, ob insoweit die staatliche Krankenversicherung eintritt, wobei die Aufnahme in die staatliche Krankenversicherung einen Vorlauf von mehren Monaten erforderlich macht. Nach dem dargestellten Maßstab kann folglich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben des Klägers bei einer Rückkehr nach Ghana nur ausgeschlossen werden, wenn gewährleistet ist, dass er dort die erforderliche Dialyse und die begleitende medikamentöse Behandlung tatsächlich erlangen wird. An dieser erforderlichen Gewährleistung fehlt es derzeit. Das Gericht kann nicht erkennen, dass der Kläger in Ghana ohne Unterbrechung seine derzeit lebenserhaltende Dialysebehandlung fortsetzen kann.

Fehlt es schon an der grundlegenden Gewährleistung der erforderlichen Dialysebehandlung kann das Gericht dahinstehen lassen, für welche zeitliche Dauer diese Gewährleistung geben müsste, um eine erhebliche konkrete Gefahr abzuwenden. Es sei nur klarstellend darauf hingewiesen, dass sich die Gewährleistung zur Vermeidung des zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nicht nur auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Abschiebevorgang beschränken darf (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.7.2003 - 10 A 10168/03 NVwZ Beilage 2004, 11, 13). Wie dargestellt, muss ausgeschlossen sein, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung "alsbald" nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.2006, a.a.O., S. 36 mit weiteren Nachweisen). Dies setzt zuvor nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.4.2012 - A 11 S 3392/11 -, juris Rn. 19; Bayerischer VGH, Urt. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30394 -, juris Rn. 30). Andererseits ist mit dem Begriff "alsbald" aber auch kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.1998 - BVerwG 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973, 974). Dies ist im Fall des Klägers anzunehmen, da er ohne Unterbrechung behandelt werden muss. [...]