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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 13.07.2017 - V ZB 69/17 - asyl.net: M25533
https://www.asyl.net/rsdb/M25533
Leitsatz:

[Der Sofortvollzug kann sich sowohl aus Tenor als auch aus Begründung ergeben; die Anhörung durch einen Richter, der später nicht (mit-)entscheidet ist zulässig:]

FamFG § 422 Abs. 2: Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit gemäß § 422 Abs. 2 FamFG muss sich eindeutig und unmissverständlich aus dem Haftanordnungsbeschluss ergeben. Hierfür ist es unerheblich, ob die Anordnung im Tenor enthalten ist oder ob sie sich den Gründen des Beschlusses entnehmen lässt.

FamFG § 68 Abs. 3 Satz 1, § 420 Abs. 1 Satz 1: Eine Übertragung der Anhörung des Betroffenen gemäß § 420 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auf ein Mitglied des Beschwerdegerichts scheidet aus, wenn es auf die Glaubwürdigkeit des Betroffenen und nicht nur auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage ankommt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Anhörung, Glaubwürdigkeit, sofortige Wirksamkeit, Richter, Haftanordnung, Haftbeschluss,
Normen: FamFG § 422 Abs. 2, FamFG § 422 Abs. 1, FamFG § 422, FamFG § 420 Abs. 1 S. 1, FamFG § 68 Abs. 3, FamFG § 26, FamFG § 29, FamFG § 30, FamFG § 30 Abs. 1, FamFG § 30 Abs. 2, ZPO § 375, ZPO § 451, ZPO § 375 Abs. 1a,
Auszüge:

[...]

5 2. Ohne Erfolg rügt der Betroffene, dass die Haft rechtswidrig gewesen sei, weil das Amtsgericht im Tenor des Haftanordnungsbeschlusses vom 3. Dezember 2015 nicht die sofortige Wirksamkeit der Haftanordnung gemäß § 422 Abs. 2 FamFG angeordnet habe und diese deshalb erst mit Rechtskraft wirksam geworden wäre (§ 422 Abs. 1 FamFG). Richtig ist zwar, dass sich die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit eindeutig und unmissverständlich aus dem Haftanordnungsbeschluss ergeben muss (vgl. MüKoFamFG/Wendtland, 2. Aufl., § 422 Rn. 3; Prütting/Helms/Jennissen, FamFG, 3. Aufl., § 422 Rn. 5; Keidel/Budde, FamFG, 19. Aufl., § 422, Rn. 4, die jeweils eine "ausdrückliche" Anordnung verlangen). Entgegen einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung (vgl. Grotkopp in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl., § 422 Rn. 3) ist es hierfür aber unerheblich, ob die Anordnung im Tenor enthalten ist oder ob sie sich den Gründen des Beschlusses entnehmen lässt. Diese können zur Auslegung des Tenors herangezogen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 141/10, InfAuslR 2011, 30 Rn. 6). Hier bestehen an der Anordnung gemäß § 422 Abs. 2 FamFG keine Zweifel, weil es in den Gründen des Beschlusses des Amtsgerichts heißt, die "Anordnung der sofortigen Wirksamkeit gem. § 422 FamFG (sei) erforderlich, da sonst der Zweck der Maßnahme nicht erreicht würde." [...]

9 aa) Das Beschwerdegericht durfte die Anhörung auf ein Mitglied der Kammer als beauftragten Richter übertragen.

10 (1) Nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist die Anhörung des Betroffenen Aufgabe des "Gerichts". Wie diese Aufgabe innerhalb eines aus mehreren Richtern zusammengesetzten Spruchkörpers wahrzunehmen ist, bestimmt sich nach den Vorschriften über die Sachaufklärung (§ 26 FamFG) und hier nach den Vorschriften über die Beweisaufnahme in den §§ 29, 30 FamFG. Danach erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise in geeigneter Form, wozu auch die Befassung eines Mitgliedes des Spruchkörpers als beauftragter Richter gehört. Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Anhörung des Betroffenen als Fall einer im Sinne von § 30 Abs. 2 FamFG vorgeschriebenen förmlichen Beweisaufnahme ansieht. Eine förmliche Beweisaufnahme hätte gemäß § 30 Abs. 1 FamFG nach den Regeln der Zivilprozessordnung stattzufinden. Diese erlauben sowohl die Vernehmung von Zeugen als auch die Vernehmung von Parteien durch den beauftragten Richter (§ 375 ZPO und § 451 i.V.m. § 375 ZPO). Voraussetzung ist allerdings (vgl. § 375 Abs. 1a ZPO), dass dies zur Vereinfachung der Verhandlung zweckmäßig erscheint und dass von vornherein anzunehmen ist, dass das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß gewürdigt werden kann (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 127/10, NVwZ 2010, 1318 Rn. 13 f.). Eine Übertragung der Anhörung des Betroffenen gemäß § 420 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auf ein Mitglied des Beschwerdegerichts ist hiernach nicht zulässig, wenn es auf Glaubwürdigkeit des Betroffenen, d.h. auf seine Persönlichkeit, und nicht nur auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage ankommt (vgl. zu dieser Unterscheidung BGH, Urteil vom 13. März 1991 - IV ZR 74/90, NJW 1991, 3284). Eine sachgerechte Würdigung ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Anhörung scheidet in derartigen Fällen von vornherein aus (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 375 Rn. 1; PG/Trautwein, ZPO, 8. Aufl., § 375 Rn. 4; BeckOK ZPO/Scheuch, 24. Ed. Stand 1. März 2017, ZPO § 375 Rn. 2). [...]

12 bb) Das Beschwerdegericht war auch nicht gehalten, die Anhörung in der Spruchbesetzung zu wiederholen. Zu einer solchen Wiederholung besteht zwar Veranlassung, wenn sich die im Zeitpunkt der Übertragung der Anhörung auf den Berichterstatter gestellte Prognose, dass auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Anhörung eine sachgerechte Würdigung des Beweisergebnisses möglich sein werde, beim Abfassen der Entscheidung im Nachhinein als unzutreffend herausstellt (vgl. BeckOK ZPO/Scheuch, 24. Ed. 1. März 2017, ZPO § 375 Rn. 2; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 14. Aufl., § 375 Rn. 2). Dies ist hier aber nicht der Fall. [...]