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VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Beschluss vom 30.10.2017 - 4 L 576/17 - asyl.net: M25668
https://www.asyl.net/rsdb/M25668
Leitsatz:

Auch ein Ausländer, der bei einem noch nicht abgeschlossenen Asylverfahren erneut wieder in die Bundes­republik einreist und dessen Aufenthaltsgestattung sowie ihm gegenüber vor seiner Ausreise verhängte räumliche Beschränkungen erloschen sind, ist nach § 15a Abs. 1 AufenthG (neu) zu verteilen. In diesem Fall kann die Ausländerbehörde den Ausländer gemäß § 15a Abs. 2 Satz 2 AufenthG auffordern, sich zu der für die Verteilung zuständigen Behörde zu begeben.

Eine Haushaltsgemeinschaft zwischen Ehegatten oder Eltern und ihren minderjährigen Kindern ist nur zu berücksichtigen, wenn der Ausländer deren Bestehen vor der Entscheidung der Ausländerbehörde nachweist. Ein erst später insbesondere erst im gerichtlichen Verfahren erbrachter Nachweis ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Ausländerbehörde ohne Belang.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltsgestattung, Familieneinheit, Zuweisung, Verteilungsverfahren, freiwillige Ausreise, unerlaubte Einreise,
Normen: AufenthG § 15a Abs. 2 S. 1, AufenthG § 14 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 55 Abs. 1, AsylG § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, GFK Art. 31 Abs. 1, AufenthG § 95 Abs. 5, AufenthG § 51 Abs. 6,
Auszüge:

[...]

Rechtliche Grundlage für die angegriffene Aufforderung ist vorliegend § 15a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach die Ausländerbehörde einen Ausländer verpflichten kann, sich zu der Behörde zu begeben, die die Verteilung veranlasst. Wann eine Verteilung des Ausländers nach dieser Norm zu veranlassen ist, ist dabei in § 15a Abs. 1 AufenthG geregelt. Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG werden unerlaubt eingereiste Ausländer, die weder um Asyl nachsuchen noch unmittelbar nach der Feststellung der unerlaubten Einreise in Abschiebungshaft genommen und aus der Haft abgeschoben oder zurückgeschoben werden können, vor der Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Länder verteilt. So liegt der Fall aber hier. Der Antragsteller ist unerlaubt eingereist. Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet u.a. dann unerlaubt, wenn er den erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Dass der Antragsteller bei seiner Einreise Inhaber eines Visums oder eines sonstigen Rechts war, welches ihm die legale Einreise in das Bundesgebiet ermöglicht hätte, trägt der Antragsteller nicht vor und ist auch nicht ersichtlich.

Soweit der Antragsteller auf sein noch nicht abgeschlossenes Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland verweist, so vermag dies eine legale Einreise nicht zu begründen. Dies ergibt sich daraus, dass dem Antragsteller aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens - über die Asylklage des Antragstellers (VG 5 K 951/14.A) ist noch nicht entschieden - kein Recht mehr erwächst, sich – vorübergehend - im Bundesgebiet aufzuhalten. Das mit der Durchführung eines Asylverfahrens grundsätzlich verbundene und in Form einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG ausgestaltete Recht, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, ist nämlich erloschen. Mit Bescheid vom 11. Juni 2014 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt, dass dem Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht (Ziffer 1 des Bescheidtenors); gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist die Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden (Ziffer 2). Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG ist damit die Aufenthaltsgestattung erloschen. Soweit dann das Bundesamt mit weiterem Bescheid vom 11. Mai 2015 die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheides vom 11. Juni 2014 wieder aufgehoben hat, hat es zugleich den Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche zu verlassen, und ihm widrigenfalls die Abschiebung nach Ungarn angedroht. Auch dies führte - sofern eine Aufenthaltsgestattung wegen der Aufhebung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 11. Juni 2014 wieder aufgelebt sein könnte - zu einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung. Denn nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG erlischt die Aufenthaltsgestattung auch dann, wenn eine nach dem Asylgesetz oder nach § 60 Abs. 9 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Dies ist aber in Bezug auf die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 11. Mai 2015 der Fall gewesen, da die Klage gegen eine Entscheidung nach dem Asylgesetz nur - neben den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des Widerrufs oder der Rücknahme von asylrechtlichen Entscheidungen - in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung hat, was vorliegend nicht greift, weil dem Antragsteller nicht eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach § 38 Abs. 1 AsylG, sondern eine Ausreisefrist von einer Woche auf der Grundlage von § 36 Abs. 1 AsylG gesetzt worden ist. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Eilverfahren des Antragstellers in Bezug auf die vom Bundesamt getroffene Entscheidung keinen Erfolg hatte; mit Beschluss vom 19. September 2014 (VG 5 L 178/14.A) hat der Einzelrichter der 5. Kammer den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 11. Juni 2014 abgelehnt.

Begründet damit das noch nicht abgeschlossene Klageverfahren gegen den Asylbescheid des Bundesamtes für sich genommen kein Recht des Antragstellers, sich im Bundesgebiet – vorübergehend - aufzuhalten und sich nach einer Ausreise wieder in das Bundesgebiet zu begeben, so folgt - entgegen der Ansicht des Antragstellers - auch aus Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention nichts anderes. Aus dieser Norm ergibt sich lediglich, dass die vertragschließenden Staaten wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen dürfen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Artikel 1 GFK bedroht waren und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Art. 31 Abs. 1 GFK soll mithin lediglich dazu führen, dass der Flüchtling unter den dort genannten Bedingungen auch bei einer unrechtmäßigen Einreise straffrei bleibt. Diese völkerrechtliche Pflicht ist vom deutschen Gesetzgeber durch Schaffung des persönlichen Strafaufhebungsgrunds in § 95 Abs. 5 AufenthG, der auf Art. 31 Abs. 1 GFK verweist, auch umgesetzt worden (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 08. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11 - juris). Dass die Einreise und der Aufenthalt selbst als rechtmäßig anzusehen sind, fordert Art. 31 GFK hingegen gerade nicht.

Einer Verteilung steht auch nicht entgegen, dass gegenüber dem Antragsteller vor dessen Ausreise räumliche Beschränkungen verhängt worden sind, die derzeit eine Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Antragsgegners begründen könnten und deshalb eine (erneute) Verteilung des Antragstellers entbehrlich machen würden. Etwaige räumliche Beschränkungen sind nach dem Kenntnisstand des Eilverfahrens nämlich erloschen. Gemäß § 51 Abs. 6 AufenthG bleiben räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach dem Aufenthaltsgesetz auch nach Wegfall der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) grundsätzlich solange in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachkommt. Letzteres ist nach derzeitigem Kenntnisstand aber der Fall. Der Antragsteller ist am 10. Februar 2017 aus dem Bundesgebiet nach Ungarn ausgereist und hat sich – aktenkundig - dort bis zum 30. August 2017, mithin über 6 Monate aufgehalten. Er ist damit seiner Ausreisepflicht nachgekommen; Anhaltspunkte, dass der Antragsteller zu einem früheren Zeitpunkt wieder eingereist ist und die Ausreise nach Ungarn nur zum Schein und mit der Absicht, alsbald wieder zurück zu kehren, erfolgt ist, fehlen (vgl. zur nicht erfolgten Erfüllung der Ausreisepflicht bei lediglich kurzfristigem Aufenthalt ohne eine Verlegung des dauernden Aufenthalts ins Ausland: BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 1990 -1 B 80.89-, juris).

Auch die Regelung des § 61 Abs. 1a AufenthG steht entgegen der Ansicht des Antragstellers einer Verteilung
des Antragstellers nach § 15a AufenthG nicht entgegen. § 61 Abs. 1a AufenthG greift, wie sich aus dessen Satz 1 ergibt, nur in den Fällen des § 60a Abs. 2a AufenthG. Hiernach gilt: Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Dass aber ein solcher Fall des § 60a Abs. 2a AufenthG in der Person des Antragstellers nicht vorgelegen hat, liegt auf der Hand.

Soweit der Antragsteller schließlich meint, die Vorschrift des § 15a AufenthG sei dann nicht anwendbar, wenn eine Wiedereinreise erfolge und das Asylverfahren noch anhängig und nicht abgeschlossen sei, so trifft dies im vorliegenden Fall nicht zu. Zwar ist dem Antragsteller insoweit zuzustimmen, dass die Unterbringung und Verteilung von Ausländern, die einen Asylantrag gestellt haben, grundsätzlich nach dem in §§ 44 ff. AsylG normierten Regelungsregime erfolgt. Hiernach erfolgt eine Bestimmung des räumlichen Aufenthaltsbereichs eines Ausländers, der einen Asylantrag gestellt hat, zunächst nach der für den Ausländer zuständigen Aufnahmeeinrichtung (§ 46 AsylG), woran sich grundsätzlich die Verpflichtung des Asylbewerbers knüpft, in der für die Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (vgl. § 47 AsylG). Erst, wenn die Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, endet, erfolgt eine landesinterne Verteilung des Asylbewerbers (§ 50 Abs. 1 AsylG) bzw. auf Antrag des Asylbewerbers eine länderübergreifende Verteilung (§ 51 AsylG). Diesem Regime unterfällt der Antragsteller aber spätestens seit dem Zeitpunkt nicht mehr, nachdem etwaige räumliche Beschränkungen und damit auch etwaige im Asylverfahren getroffene Verteilungsentscheidungen durch seine Ausreise nach Ungarn erloschen sind. Dadurch, dass der Antragsteller auch keinen erneuten Asylantrag gestellt hat, ist er auch nicht als Asylbewerber erneut zu verteilen, da es insoweit schon an einer Aufnahmeeinrichtung i.S.d. § 46 AsylG fehlt, bei der sich der Antragsteller zu melden hätte (vgl. § 22 Abs. 1 AsylG). [...]