OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.03.2017 - 3 L 178/15 - asyl.net: M25726
https://www.asyl.net/rsdb/M25726
Leitsatz:

1. Ein Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, mit dem der Asylantrag wegen der Flüchtlings­anerkennung in einem anderen Mitgliedstaat als unzulässig abgelehnt wird, kann auf der Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in der seit dem 6. August 2016 geltenden Fassung aufrechterhalten werden [unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 24.08.2016 - 13 A 63/16.A - asyl.net: M24899].

2. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG findet jedenfalls auf vor Ablauf des 20. Juli 2015 ergangene Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamtes keine Anwendung.

3. Trifft das Bundesamt im Fall unzulässiger Asylanträge keine Feststellung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG  und gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt eine zielstaatsbezogene Prüfung von Abschiebungsverboten durch das Bundesamt erfolgt ist, besteht für das Gericht keine Pflicht, selbst festzustellen, ob hinsichtlich des Abschiebezielstaats (hier: Bulgarien) ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG gegeben ist.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: internationaler Schutz in EU-Staat, Bulgarien, nationales Abschiebungsverbot, Unzulässigkeit, Rechtsgrundlage, Prüfungskompetenz,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 34, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, AsylG § 31 Abs. 3 S. 1.
Auszüge:

[...]

30 Dass das Bundesamt den angefochtenen Bescheid nicht auf diese Vorschrift gestützt hat, ist unerheblich. Auch kann offen bleiben, ob und auf welcher gesetzlichen Grundlage die Behörde nach altem Recht ermächtigt war, den Asylantrag eines anerkannten Flüchtlings als unzulässig abzulehnen. Jedenfalls kann der Bescheid im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auf der Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aufrechterhalten werden (ebenso OVG NRW, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -, juris m.w.N.). [...]

56 Es bestand schon vor Einführung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der neuen Fassung die Verpflichtung des Bundesamtes, im Hinblick auf § 34a AsylG a.F. zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und zusätzlich auch Duldungsgründe inzident zu prüfen (Pietzsch, a.a.O., § 34a AsylG Rn. 14 ff.), selbst wenn hierzu im Tenor noch keine gesonderten Feststellungen zu treffen waren. Mit der Neuregelung in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG hat der Gesetzgeber nunmehr allerdings positiv festgeschrieben, dass das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden hat. Denn § 31 AsylG behandelt ausweislich der amtlichen Überschrift die „Entscheidung des Bundesamtes über Asylanträge“, weshalb sich auch der in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG geregelte Handlungsauftrag zuallererst an das Bundesamt richtet. Davon kann nach Satz 2 der Vorschrift nur abgesehen werden, wenn der Ausländer (durch das Bundesamt) als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

57 Mit Blick auf die hiermit einhergehende stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens ist der Senat im vorliegenden Fall nicht gehalten, selbst festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gegeben sind (ebenso im Ergebnis Saarl. OVG, Urteile vom 10. Januar 2017, a.a.O., vom 16. November 2016, a.a.O. sowie vom 25. Oktober 2016, a.a.O.). Vielmehr hat zunächst das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden und hierbei die tatsächlichen Verhältnisse für international Schutzberechtigte in Bulgarien in den Blick zu nehmen. Zwar sollen nach der im Asylverfahren geltenden Konzentrations-und Beschleunigungsmaxime alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden (BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, juris Rn. 10; Beschluss vom 10. Oktober 2011 - 10 B 24.11 -, juris Rn. 4). Anderes gilt allerdings dann, wenn die mit besonderem Sachverstand ausgestattete Behörde mit der Sache noch nicht befasst gewesen war, obwohl dies - wie hier - von Gesetzes wegen zwingend vorgesehen ist. In diesen Fällen muss die Behörde entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) erst Gelegenheit erhalten, eine nach Aufklärung des Sachverhaltes abschließende und dann der gerichtlichen Kontrolle unterliegende Sachentscheidung zu treffen (vgl. Saarl. OVG, Urteil vom 25. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 34). Einer zentralen Behörde mit sachverständigem Personal ist es auch am ehesten möglich, Behauptungen der Asylsuchenden über Vorgänge und Verhältnisse im Ausland zu überprüfen und aufzuklären (BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1981, a.a.O., Rn. 66). [...]