OVG Niedersachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 05.12.2017 - 13 ME 181/17 - asyl.net: M25730
https://www.asyl.net/rsdb/M25730
Leitsatz:

Örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde bei unerlaubter Wiedereinreise nach Abschiebung:

Die Neubegründung eines gewöhnlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort setzt nicht voraus, dass der Ausländer eine Legalisierungsmöglichkeit seines Aufenthalts besitzt. Vielmehr können wiederholte Duldungen der für diesen Ort zuständigen Ausländerbehörde einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Dies ist auch möglich, solange noch eine Wiedereinreisesperre nach § 11 AufenthG noch fortbesteht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: gewöhnlicher Aufenthalt, Duldung, Wiedereinreisesperre, örtliche Zuständigkeit,
Normen: AufenthG § 61, AufenthG § 51 Abs. 6,
Auszüge:

[...]
Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 23.2.1993, a.a.O., Rn. 27) für die (Neu-)Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts, wie die Beschwerde zutreffend ausführt, lediglich erforderlich, dass erstens der Ausländer seinen Willen, sich dauerhaft dort aufzuhalten, innerlich bildet und äußerlich manifestiert, und dass zweitens er die ausländerrechtliche Möglichkeit für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt dort hat. Die Beschwerdebegründung legt hinreichend dar, dass beides hier erfüllt ist.

Die Manifestation eines gebildeten Daueraufenthaltswillens durch den Antragsteller ist gegeben. Er ist seit seiner Wiedereinreise im Oktober 2016 tatsächlich in Bremen wohnhaft und auch gemeldet; seit März 2017 lebt er dort in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Sohn F., der sich berechtigterweise in Bremen aufhält und dem die Beigeladene unter dem 27. November 2017 eine bis zum 26. November 2019 befristete Einbürgerungszusicherung für den Fall erteilt hat, dass dieser den Verlust der kosovarischen Staatsangehörigkeit nachweist.

Dem Antragsteller ist durch die Beigeladene auch die Möglichkeit zum dauernden Aufenthalt eingeräumt worden. Diese "Daueraufenthaltsmöglichkeit" setzt keine förmliche Zustimmung der Ausländerbehörde voraus; ebenso wenig ist erheblich, ob ein und welcher (unbefristete oder befristete) Aufenthaltstitel dem Ausländer erteilt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.1993, a.a.O., Rn. 28 f.). Es kommt mithin nicht allein auf eine Möglichkeit dauerhafter Legalisierung des Aufenthalts an; vielmehr können bereits wiederholt erteilte Duldungen, die als zeitweise Aussetzung der Abschiebung eines Ausländers (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) kein Recht zum Aufenthalt verleihen, einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, wenn die dortige Ausländerbehörde für absehbare Zeit keine Möglichkeit sieht, den Aufenthalt des Ausländers zu beenden, oder längere Zeit davon Abstand nimmt, von einer vorhandenen rechtlichen Möglichkeit zur zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung Gebrauch zu machen bzw. auf deren Ergreifung hinzuwirken (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.1993, a.a.O.; Urt. v. 26.4.2016, a.a.O., Rn. 13, sowie v. 19.10.2011 - BVerwG 5 C 28.10 -, BVerwGE 141, 94, juris Rn. 11).

Vor diesem Hintergrund ist die Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) BremVwVfG genannten Umstände zur etwaigen Begründung eines (neuen) gewöhnlichen Aufenthalts in Bremen entgegen der vom Verwaltungsgericht Oldenburg im angefochtenen Beschluss sowie im darin in Bezug genommenen Beschluss vom 22. Juni 2017 - 11 B 4610/17 - und vom Antragsgegner in dessen Erwiderung zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichts Bayreuth (vgl. Beschl. v. 25.2.2014 - B 4 K 12.846 -, juris Rn. 38) hier nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Antragsteller noch (jedenfalls) bis zum 9. Juni 2018 ein aus der Ausweisung resultierendes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu gewärtigen hat und ihm bis zu diesem Zeitpunkt wegen der Sperrwirkung kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf. Die Prämisse des Verwaltungsgerichts Bayreuth, ein abgeschobener (bzw. ausgewiesener), illegal zum Daueraufenthalt zurückgekehrter Ausländer könne seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erst begründen, wenn die Sperrwirkung der Abschiebung (bzw. Ausweisung) aufgehoben worden und er nach kurzfristiger Rückkehr in sein Heimatland und (nachgeholter) Durchführung des Visumsverfahrens erneut eingereist sei (a.a.O.), erweist sich als zu weitgehend. Sie vermengt unzutreffend (rechtliche) Voraussetzungen einer späteren Legalisierung des Aufenthalts im Gefolge einer Wiedereinreise nach Ausweisung und/oder Abschiebung durch eine bestimmte Ausländerbehörde mit der Frage nach den tatsächlichen Voraussetzungen der Begründung einer bloßen ausländerbehördlichen Zuständigkeit bei einer derartigen Wiedereinreise, die sich nicht allein als formelle Anspruchsvoraussetzung einer Legalisierung darstellt, sondern an der sich auch entscheidet, welche Behörde zu etwaigen den Ausländer betreffenden belastenden ausländerbehördlichen Maßnahmen - etwa solche, die auf eine Aufenthaltsbeendigung abzielen (§§ 58 ff., AufenthG) - ermächtigt sein kann. Damit gerät sie mit den oben zitierten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch. Der Senat vermag ihr daher nicht zu folgen. [...]