LG Lüneburg

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Zitieren als:
LG Lüneburg, Beschluss vom 24.08.2017 - 4 T 28/17 - asyl.net: M25755
https://www.asyl.net/rsdb/M25755
Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Haftanordnung:

1. Mit dem Haftantrag ist die Ausländerakte vorzulegen. Die Vorlage der Ausländerakte ist nicht nur für eine Entscheidung in der Hauptsache erforderlich, sondern auch beim Erlass einer einstweiligen Anordnung.

2. Bei fehlender Ausländerakte hätte die vorläufige Abschiebungshaft allenfalls für den Zeitraum angeordnet werden dürfen, der voraussichtlich erforderlich gewesen wäre, um die Akte vorzulegen und die betroffene Person erneut anzuhören.

3. Wenn die Personalien der betroffenen Person bekannt sind, Passpapiere vorhanden sind und täglich Flüge ins Zielland der Abschiebung (hier Albanien) durchgeführt werden, ist eine mehrwöchige Haftdauer ohne weitere Begründung nicht nachvollziehbar.

(Leitsätze des Einsenders)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Ausländerakte, Haftantrag, Haftdauer, einstweilige Anordnung, rechtliches Gehör, Beschleunigungsgebot, Albanien, Durchführbarkeit, Abschiebung,
Normen: FamFG § 417, FamFG § 417 Abs. 1, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4, FamFG § 427, FamFG § 427 Abs. 1 S. 1, GG Art. 103 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die Anordnung der Sicherungshaft In dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Uelzen konnte in dieser Form nicht ergehen, weil in dem verfahrenseinleitenden Antrag eine einstweilige Anordnung nach § 427 FamFG beantragt worden ist, aber nicht aufgezeigt worden ist, inwieweit ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestand (§ 427 Absatz 1 Satz 1 FamFG). […]

Eine derartige Verfahrenssituation ist vorliegend aber nicht erkennbar. Eine vorläufige Entscheidung ist hier nach der Anhörung des Betroffenen vielmehr unzulässig gewesen, da diese nur dann ergehen darf, wenn feststeht, dass über die Freiheitsentziehung in der Hauptsache nicht rechtzeitig entschieden werden kann (vgl. vgl. auch LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 17.12.2015, Az. 18 T 1191/15). Dass hier Voraussetzungen bzw. Informationen hinsichtlich der Hauptsacheentscheidung gefehlt hätten, ist indes nicht ersichtlich.

Soweit das Amtsgericht Uelzen den Erlass einer einstweiligen Anordnung damit begründet hat, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die Ausländerakte nicht vorgelegen hat, vermag dies vorliegend den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zu begründen. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligte ihren Sitz ebenfalls in Uelzen hat und kein Grund erkennbar ist, warum dem Gericht die Ausländerakte nicht unmittelbar mit dem Haftantrag zur Verfügung gestellt worden ist. Gegebenenfalls hätte auf die entsprechende Aufforderung des Amtsgerichts die Ausländerakte von dem Beteiligten kurzfristig zur Verfügung gestellt werden müssen. Dass dies nicht möglich gewesen wäre, zumal ein Mitarbeiter der Beteiligten auch beim Anhörungstermin anwesend gewesen ist, ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht aus den Gerichtsakten. Es sind ferner keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Ausländerakte am 23. Dezember 2016 dem Beteiligten selbst nicht vorgelegen haben könnte.

Wenn aber eine Dringlichkeit nicht besteht und der für eine Hauptsacheentscheidung erforderliche Sachverhalt feststeht oder rechtzeitig hätte festgestellt werden können, darf eine einstweilige Anordnung nicht erlassen werden, zumal der Rechtsschutz des Betroffenen im Eilverfahren mangels Eröffnung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 3 Nr. 3, Absatz 4 FamFG) eingeschränkt ist (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 11.06.2013, Az. 5 T 199/13).

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass das Amtsgericht Uelzen auch dann, wenn die Ausländerakte tatsächlich nicht am 23. Dezember 2016 hätte vorgelegt werden können, im Wege einer einstweiligen Anordnung Sicherungshaft nicht bis zum 19. Januar 2017 hätte anordnen dürfen. Dies beruht auf dem Umstand, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund einer noch nicht vollständig festgestellten Tatsachengrundlage ergeht und somit den in Art. 103 Abs. 1 GG gewährten Anspruch auf rechtliches Gehör verkürzt, weil er zu einem im Haftantrag nicht mitgeteilten Umstand nicht angehört werden kann. Eine solche Gehörsverkürzung ist nach dem Gesetz soweit - aber eben auch nur solange - möglich, wie aller Voraussicht nach ein vorläufiges Regelungsbedürfnis besteht, d.h. für den Zeitraum, den es wahrscheinlich dauern wird, eine Ermittlung aller im Haftantrag anzugebenden Tatsachen bei gebotener zügiger Bearbeitung abzuschließen und den Betroffenen sodann auf der Grundlage eines vollständigen Haftantrags erneut dem Haftrichter vorzuführen. (vgl. LG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 18.03.2013, Az. 15 T 11/13; LG Saarbrücken, Beschluss vom 11.06.2013, Az. 5 T 199/13). Die danach erforderliche Dauer der im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebten Sicherungshaft hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab. Da vorliegend die Anordnung einer einstweiligen Anordnung mit der fehlenden Ausländerakte begründet wurde, hätte Sicherungshaft allenfalls für den Zeitraum anberaumt werden dürfen, der voraussichtlich erforderlich gewesen wäre, um die Ausländerakte herbeizuschaffen und den Betroffenen erneut anzuhören.

Die Kammer nimmt dieses Verfahren ferner zum Anlass, um die Beteiligte ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ein zulässiger Haftantrag zwingend auch Darlegungen zu der notwendigen Haftdauer enthalten muss (vgl. BGH, Beschluss vom 10.05.2012, Az. V ZB 246/11). [...] Diesen Anforderungen wird der Haftantrag vom 23. Dezember 2016 nicht gerecht, da dort nicht näher ausgeführt wird, warum eine Sicherungshaft von knapp vier Wochen erforderlich sein soll, um den Betroffenen abzuschieben. [...] Ein Grund, warum ein früherer Flug nicht möglich gewesen sein soll, wird nicht genannt. Dies ist insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Personalien des Betroffenen bekannt gewesen sind, die Passpapiere vorhanden waren und tagtäglich Flüge nach Albanien durchgeführt werden, nicht nachvollziehbar. [...]