VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 30.11.2017 - 6 K 4680/16.A - asyl.net: M25759
https://www.asyl.net/rsdb/M25759
Leitsatz:

Abschiebungsverbot wegen fehlender Existenzmöglichkeit für einen minderjährigen Afghanen, der sein ganzes Leben im Iran verbracht und noch keinen Beruf erlernt hat und keine Unterstützung durch Familienangehörige erwarten kann.

Schlagwörter: Afghanistan, Iran, Hazara, minderjährig, Existenzgrundlage, Existenzminimum, erhebliche individuelle Gefahr, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Unter diesen Umständen ist nicht davon auszugehen,, dass dem Kläger ein menschenwürdiges Dasein in Afghanistan möglich wäre. Insbesondere würde es ihm aller Voraussicht nach nicht gelingen, seinen notwendigen Lebensunterhalt zu erwirtschaften.

Denn der Kläger hat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet und ist daher minderjährig. Ferner ist er mit den Lebensverhältnissen in Afghanistan kaum vertraut, da er sein Heimatland bereits im ersten Lebensjahr mit seinen Eltern verlassen und sein Leben seither - mit Ausnahme eines ca. zweimonatigen Aufenthalts bei Verwandten in Mazar-i-Sharif im Jahr 2015 - im Iran verbracht hat. Hinzu kommt, dass er noch keinen Beruf erlernt hat, den er in Afghanistan ausüben und mit dem er seinen Lebensunterhalt zeitnah eigenständig sicherstellen könnte.

Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass der Kläger zumindest übergangsweise auf finanzielle oder sonstige Unterstützung von Verwandten in Afghanistan zurückgreifen könnte, um sich dort eine Existenz aufzubauen. [...]

Schließlich könnte der Kläger voraussichtlich auch nicht mit nennenswerten finanziellen Zuwendungen seiner im Iran lebenden Familienangehörigen rechnen. [...]

Die aller Voraussicht nach prekäre finanzielle Lage des Klägers würde die ohnehin in erheblichem Maße bestehenden Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser sowie beim Zugang, zu medizinischer Grundversorgung verschärfen.

Bei den geschilderten Verhältnissen liegt somit ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung "zwingend" sind. Für den Kläger besteht die ernsthafte Gefahr, dass ihm die zur Befriedigung seiner elementaren Bedürfnisse erforderlichen finanziellen Mittel fehlen würden. Da keine Aussicht auf Verbesserung der Lage besteht, ist davon auszugehen, dass der Kläger Gefahr liefe, einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, die einen Mangel an Respekt für seine Würde offenbart (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 21. November 2014 - 13a B 14.30234 -, a.a.O., Rn. 27, unter Verweis auf Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09 (M.S.S. ./. Belgien und Griechenland) -, juris).

Ist nach alldem die Beklagte,verpflichtet, beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan festzustellen, so ist auch die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Ziffer 5 des angefochtenen Bescheides rechtswidrig und dementsprechend aufzuheben. [...]