OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 05.09.2017 - 13 LA 129/17 - asyl.net: M25816
https://www.asyl.net/rsdb/M25816
Leitsatz:

Ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG besteht auch dann nicht, wenn im Hinblick auf die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen eines atypischen Sachverhalts ein Ausnahmefall vorliegt.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: deutsches Kind, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, offensichtlich unbegründet, Täuschung über Identität, Sperrwirkung, atypischer Ausnahmefall, Ausweisungsinteresse, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen,
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 10 Abs. 3 Satz 3, AufenthG § 54,
Auszüge:

[...]

17 Nach diesen Maßgaben steht auch dem Kläger ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zu. Er dürfte zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erfüllen, wonach die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen i s t, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Es mangelt aber an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Nach den mit dem Zulassungsvorbringen nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts besteht aufgrund der zurückliegenden, über Jahre auch gegenüber der Ausländerbehörde in aufenthaltsrechtlichen Verfahren erfolgten Identitätstäuschung ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG. Unabhängig davon, ob tatsächlich der vom Kläger geltend gemachte Ausnahmefall vorliegt, der schon auf Tatbestandsseite ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordert, fehlt es danach an einem gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG. Denn die regelhaften allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach der vom Gesetzgeber aufgestellten Regel ist eine Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich nicht zu erteilen. Weder die Möglichkeit noch die Anforderungen an das Vorliegen eines ungeschriebenen Ausnahmefalls sind vom Gesetzgeber selbst in abstrakt-genereller, abschließender Weise bestimmt worden. Das Vorliegen eines Ausnahmefalls kann vielmehr nur anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles beurteilt und festgestellt werden, was die Annahme eines sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden und damit gesetzlichen Anspruchs ausschließt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014 - BVerwG 1 C 15.14 -, NVwZ-RR 2015, 313, 315 (zu § 5 Abs. 2 AufenthG); Beschl. v. 16.2.2012 - BVerwG 1 B 22.11 -, juris Rn. 4; Urt. v. 16.12.2008, a.a.O., S. 390; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 15.9.2007 - 11 S 837/06 -, juris Rn. 39; krit. GK-AufenthG, § 10 Rn. 60.23 und 60.12 f. (Stand: Juli 2014)).

18 Auf das tatsächliche Vorliegen eines Ausnahmefalls, der schon auf Tatbestandsseite ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordert, kommt es danach entscheidungserheblich nicht mehr an. Das hierauf bezogene Zulassungsvorbringen ist mithin von vorneherein nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen (vgl. zum Maßstab der Ergebnisrichtigkeit: BVerwG, Beschl. v. 1.2.1990 - BVerwG 7 B 19.90 -, Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.5.2016 - 8 LA 40/16 -, juris Rn. 22). Der Senat weist daher nur kurz darauf hin, dass ein solcher Ausnahmefall hier auch tatsächlich nicht vorliegt (vgl. zu den Anforderungen an das Vorliegen eines Ausnahmefalls: BVerwG, Urt. v. 13.6.2013 - BVerwG 10 C 16.12 -, NVwZ 2013, 1493, 1494 m.w.N.). Der Kläger schildert vielmehr eine typische Situation, in der ein Ausländer, der in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren die zuständigen Behörden zunächst über seine Identität getäuscht hat, dessen Asylantrag deshalb als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden und bei dem zugleich ein Ausweisungsinteresse entstanden ist, nachträglich die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen erfüllt. Auch sich aus Verfassungs- oder Völkervertragsrecht ergebende Schutzwirkungen gebieten keine abweichende Betrachtung, da diesen über eine Aussetzung der Abschiebung hinreichend Rechnung getragen werden kann und nach den Einlassungen der Beklagten auch Rechnung getragen wird. [...]