LG Aachen

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Zitieren als:
LG Aachen, Beschluss vom 18.07.2017 - 15 T 15/16 - asyl.net: M25819
https://www.asyl.net/rsdb/M25819
Leitsatz:

Fehlen im Haftantrag ausreichende Angaben dazu, ob und warum eine Sicherheitsbegleitung während der Abschiebung notwendig ist, weshalb die Abschiebung nicht mit einer gewissen Vorlaufzeit durchgeführt werden kann, ist die Anordnung der Haft unverhältnismäßig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Haftdauer, Sicherheitsbegleitung, Haftgründe, Fluchtgefahr, Verhältnismäßigkeit, Haftantrag, Begründungserfordernis, Heilung, Heilung von Formfehlern
Normen: AufenthG § 2 Abs. 14, AufenthG § 62 Abs. 3 Nr. 2, AufenthG § 62 Abs. 3 Nr. 4, AufenthG § 62 Abs. 3 Nr. 5,
Auszüge:

[…]

Nach § 62 Abs. 3 Nr. 2, 4, 5 AufenthG ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn er nach Ablauf der Ausreisefrist seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, wenn er sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat oder wenn im Einzelfall Gründe nach § 2 Abs. 14 AufenthG vorliegen, auf deren Basis der begründete Verdacht vorliegt, dass er sich der Abschiebung durch Flucht entziehen will. Ein zulässiger Haftantrag der zuständigen Behörde muss dabei nach § 417 Abs. 2 Nr. 3-5 FamFG auch tatsächliche Angaben zur Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, zu deren notwendiger Dauer unter Berücksichtigung der erforderlichen Schritte und der hierfür anzusetzenden Zeiträume, zur Ausreisepflicht des Betroffenen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung enthalten (dazu BGH, Beschluss vom 16.06.2016 - V ZB 12/15; BGH, Beschluss vom 15.10.2015 - V ZB 82/14). Zwar dürfen die diesbezüglichen Ausführungen der Behörde durchaus knapp gehaltenen sein; jedoch müssen die für die rechtliche Prüfung des Falles wesentlichen Punkte angesprochen werden (BGH, Beschluss vom 30.03.2017 - V ZB 128/16; BGH, Beschluss vom 18.06.2016 - V ZB 12/15; BGH, Beschluss vom 15.01.2015 - V ZB 165/13; Beschluss vom 16.07.2014 - V ZB 80/13; Wendtland, in: Münchner Kommentar FamFG, 2. Auflage 2013, § 417 Rn. 5).

b) Diesen Anforderungen genügt bereits der Haftantrag der Ausländerbehörde vom 06.10.2016 im Hinblick auf die erforderliche Haftdauer nicht. Darin heißt es bezüglich der Frage, wann tatsächlich eine Abschiebung erfolgen könne, lediglich, es sei noch zu prüfen, ob eine Sicherheitsbegleitung erforderlich sei oder nicht, weil dies noch nicht vollständig eingeschätzt werden könne; sollte eine solche Sicherheitsbegleitung notwendig sein, könne die Abschiebung am 29.11.2018 oder am 30.11.2016 stattfinden. Schon diese Angaben enthalten keine konkreten Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Abschiebung mit Sicherheitsbegleitung. Die einzigen Gesichtspunkte, die aus der Vergangenheit dafür angeführt wurden, waren das frühere Untertauchen des Betroffenen ohne eine irgendwie feststellbare Gewaltbereitschaft oder Gewaltanwendung und die offenbare Inhaftierung In Belgien, über deren Hintergründe allerdings keine Angaben gemacht wurden. Dies ist jedoch für die Begründung einer verhältnismäßigen, also auf das tatsächlich Notwendige beschränkten Freiheitsentziehung nicht ausreichend, insbesondere wenn in den Blick genommen wird, dass die damit begründete Haft fast zwei Monate dauern sollte.

c) Auch die nachträglichen Angaben der Behörde während des Verlaufs des Beschwerdeverfahrens können nicht zu einer anderen Bewertung führen.

(1) Das gilt zum einen für die Ausführungen im Schreiben vom 09.11.2016, in dem es heißt, der Betroffene habe bei einer Befragung am 20.10.2016 angegeben, er wolle nicht nach Georgien abgeschoben werden. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass Personen, die sich bisher der Rückkehr in ihr Heimatland etwa durch Untertauchen entzogen haben, nicht dorthin zurückkehren wollen. Dass und warum diese Ausgangslage zugleich die Annahme rechtfertigen soll, die betroffene Person werde sich einer nunmehr tatsächlich durchzuführenden und organisierten Abschiebungsmaßnahme in einer Weise widersetzen, dass konkret Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen, wird aus der Angabe der Behörde nicht klar. Und auch die weitere Verschärfung der scheinbaren Rechtfertigung einer Abschiebung mit Sicherheitsbeamten im Schriftsatz vom 24.11.2016, in welchem dem Betroffenen nunmehr sogar Gewaltbereitschaft unterstellt wird, kann die tatsächliche Erforderlichkeit von Sicherheitsvorkehrungen nicht begründen. Es fehlt insoweit an jeglicher Konkretisierung für diese Annahme. Nach wie vor werden tatsächliche Anhaltspunkte für ein Gewaltpotenzial des Betroffenen nicht erläutert.

(2) Diese Gesichtspunkte können im Ergebnis aber auch offenbleiben. Denn die Heilung ursprünglicher Fehler aufgrund späterer Ergänzungen kommt ohnehin nur in Betracht, wenn der Betroffene dann ebenfalls im Beschwerdeverfahren nochmals persönlich angehört wird (BGH, Beschluss vom 12.10.2016 - V ZB 8/15). Dies war vorliegend jedoch nicht möglich, weil es zuvor zur tatsächlichen Abschiebung des Betroffenen gekommen ist.

d) Insgesamt kann damit die Erforderlichkeit der angeordneten Haft im Hinblick auf ihre Dauer und damit die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nicht festgestellt werden. Dabei kann aus Sicht der Kammer offenbleiben, in welcher Situation schon eine nachvollziehbare Begründung für die angenommene Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen während der Abschiebung angenommen werden kann. Im vorliegenden Fall waren diese Voraussetzungen jedoch nicht gegeben, nachdem die Behörde ursprünglich nichts zu einem Sicherheitsrisiko sagen konnte und ein solches dann nur aufgrund der Äußerung des Betroffenen, er wolle nicht abgeschoben werden, und auf der durch nichts konkret belegten Annahme seiner Gewaltbereitschaft angenommen hat. Möglicherweise ist in anderen Fällen die Anordnung einer Abschiebung unter Sicherheitsvorkehrungen schon bei einem vergleichsweise geringen - aber konkret belegten - Risiko möglich. Diese Bewertung muss sich dann aber auch in einer so zügig wie möglich durchgeführt Abschiebung unter Sicherungsbegleitung widerspiegeln. Der vorliegende Fall, in dem es keinen überzeugenden Anhaltspunkt für die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen gab und dies dann zu einer Verzögerung der Abschiebung um mehrere Wochen geführt hat, obwohl nach den Angaben der Behörde im Antrag vom 05.10.2016 eine Abschiebung ohne Begleitung schon "zum nächstmöglichen Zeitpunkt durchgeführt" werden konnte, muss jedenfalls zur Feststellung einer rechtswidrigen Inhaftierung führen. [...]