VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 21.12.2017 - 18 L 4482/17.A - asyl.net: M25856
https://www.asyl.net/rsdb/M25856
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Abschiebungsanordnung nach Rumänien:

1. Das vor dem EuGH anhängige Vorabentscheidungsverfahren aufgrund einer Vorlage des BVerwG zu bereits in anderen EU-Staaten Schutzberechtigten (Beschluss vom 23.03.2017 - 1 C 17.16; 1 C 18.16; 1 C 20.16 - asyl.net: M25082, Asylmagazin 7-8/2017) hat Auswirkungen auf das Hauptsacheverfahren der Ehefrau und Kinder des Antragstellers.

2. Da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens des Antragstellers vom Ausgang des Verfahrens seiner Familie abhängt, weil die Zuständigkeit Deutschlands für ihn nach dem Familienverfahren nach Art. 11 Bst. a Dublin-III-VO gegeben sein könnte, würde die Ablehnung seines Eilantrags ihn in seinen subjektiven Rechten aus der Dublin-VO verletzen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Vorlagebeschluss, Familieneinheit, subsidiärer Schutz, Vorabentscheidungsverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, internationaler Schutz in EU-Staat, Drittstaatenregelung, ausländische Anerkennung, sichere Drittstaaten, internationaler Schutz, unzulässig, Unzulässigkeit, Rückübernahmeabkommen, Rumänien, Aufstockung, Zuständigkeit, Zuständigkeitsübergang, Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Sekundärmigration, Ibrahim, Visum,
Normen: GG Art. 19 Abs. 4 S. 1, RL 2013/32/EU Art. 33, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Bst. a, VO 604/2013 Art. 12 Abs. 2 S. 1, VO 604/2013 Art. 7 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 11 Bst. a, VO 604/2013 Art. 11,
Auszüge:

[...]

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 17.1.2017 - 2 BvR 2013/16 -, Rn. 18) ist mit Blick auf das in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verankerte Gebot des effektiven Rechtsschutzes in die Abwägung des Bleibeinteresses des Antragstellers mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse mit einzubeziehen, ob im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den Europäischen Gerichtshof erforderlich ist. Das gilt umso mehr dann, wenn es bereits eine solche Vorlage gibt.

Hier besteht eine vergleichbare Sachlage, weil es ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof gibt, dessen Beantwortung rechtliche Auswirkungen auf das (unter dem Aktenzeichen 18 K 15280/17.A) anhängige Klageverfahren der Ehefrau und der Kinder des Antragstellers hat, von dem wiederum die Beurteilung abhängt, ob die gegenüber dem Antragsteller ergangene Abschiebungsanordnung rechtmäßig ist.

Das BVerwG, Beschluss vom 23.3.2017 - 1 C 17.16 -, Juris - hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung u.a. der Fragen gerichtet, ob Art. 33 Richtlinie 2013/32/EU (sog. Verfahrensrichtlinie) den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Wahlrecht einräumt, ob sie einen Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit gemäß der Dublin III-VO oder nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU wegen der Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat als unzulässig ablehnen (Vorlagefrage 2), und ob für den Fall, dass diese Frage zu verneinen ist, den Dublin-Regelungen ein – ungeschriebener – Zuständigkeitsübergang auf den um Wiederaufnahme eines Antragstellers ersuchenden Mitgliedstaat zu entnehmen ist, wenn der ersuchte zuständige Mitgliedstaat die fristgerecht beantragte Wiederaufnahme nach den Dublin-Bestimmungen abgelehnt und stattdessen auf ein zwischenstaatliches Rückübernahmeabkommen verwiesen hat.

Vergleichbare Umstände liegen dem Verfahren (18 K 15280/17.A) der Ehefrau und der Kinder des Antragstellers zu Grunde. Rumänien hat das rechtzeitige Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts rechtzeitig mit der Begründung abschlägig beschieden, dass die Dublin III-VO auf die Ehefrau und Kinder des Antragstellers aufgrund des ihnen zuerkannten subsidiären Schutzes nicht (mehr) anwendbar sei, weshalb eine Überstellungsfrist nicht an- und damit auch nicht ablaufen konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.3.2017 - 1 C 17.16 -, Juris Rn.45). [...]

Diese im – wegen der im Bescheid des Bundesamts vom 10.10.2017 lediglich angedrohten (und nicht angeordneten) Abschiebung nach Rumänien gemäß §§ 75 Abs. 1 und 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung entfaltenden – Verfahren (18 K 15280/17.A) der Ehefrau und Kinder des Antragstellers zu prüfenden Fragen, die je nach Beantwortung der Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts durch den Europäischen Gerichtshof das Ergebnis haben können, dass sie einen Anspruch darauf haben, dass (jedenfalls) ihr (Aufstockungs-) Begehren in Deutschland geprüft wird, haben rechtliche Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des den Antragsteller betreffenden Bescheids des Bundesamts vom 11.10.2017, mit dem seine Abschiebung nach Rumänien angeordnet (und nicht lediglich angedroht) worden ist. [...]

Wegen der nach Art. 7 Abs. 1 Dublin III-Verordnung maßgeblichen Rangfolge (und nicht Reihenfolge) der im Kapitel III genannten Kriterien ist aber aufgrund der oben erläuterten, dem Europäischen Gerichtshof unterbreiteten Vorlagefragen nicht auszuschließen, dass Deutschland für den Schutzantrag der Ehefrau und der Kinder des Antragstellers und in diesem Fall gemäß Art. 11 Buchst. a) Dublin III-VO auch für den Antrag des Antragstellers zuständig ist. [...] Nach den obigen Erläuterungen könnte vorliegend, abhängig von der Beantwortung der Vorlagefragen 2 und 5b des genannten Vorabentscheidungsersuchens, Deutschland für die Prüfung des Antrags der Ehefrau und der drei Kinder des Antragstellers und damit des größten Teils der Familie des Antragstellers zuständig sein.

Die Beantwortung der Frage, ob dem Antragsteller ein Recht auf Prüfung seines Schutzantrags durch Deutschland zusteht, kann indes nur im Hauptsacheverfahren erfolgen, weil sie von der Beantwortung komplexer Rechtsfragen und insbesondere der Beantwortung der Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts durch den Europäischen Gerichtshof abhängt, die rechtliche Auswirkungen auf das Hauptsacheverfahren der Ehefrau und der drei Kinder des Antragstellers haben. Letztere Fragen inzident im Eilverfahren des Antragstellers zu beantworten, wäre angesichts der Komplexität der Rechtsfragen nicht zu leisten. Würde hingegen unter Offenlassen dieser Fragen der Antrag des Antragstellers abgelehnt, würde möglicherweise sein eigenständiges subjektives Recht (vgl. EuGH, Urteil vom 7.6.2016 - C-63/15-, juris) aus Art. 11 Buchst. a) Dublin III-VO auf Prüfung seines Schutzantrags in Deutschland (zusammen mit dem Schutzantrag seiner Familie) endgültig vereitelt, wenn er nach Rumänien überstellt, dort sein Antrag (ggf. nur) hinsichtlich des subsidiären Schutzes positiv beschieden und die Vorlage 2 im genannten Vorabentscheidungsersuchen vom Europäischen Gerichtshof bejaht würde: Bei dieser dann durch Ablehnung des vorliegenden Eilantrags verursachten neuen Rechtslage könnte Deutschland einen eventuellen neuen Antrag des Antragstellers in Deutschland gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ablehnen; ggf. käme auch eine Ablehnung als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in Betracht.

Der Vorschrift des Art. 11 Buchst. a) Dublin III-VO ist indes zu entnehmen, dass eine Trennung von Familienmitgliedern, die – wie hier – zumindest in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, vermieden werden soll. Die angestrebte Vermeidung der Trennung von Familienmitgliedern gilt demgemäß auch für die Zeit, in der für sie aus rechtlichen Gründen (hier: wegen der ausstehenden Beantwortung der Vorlagefragen durch den Europäischen Gerichtshof) eine Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (noch) nicht erfolgen kann. [...]