VG München

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Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 08.01.2018 - M 3 E 17.5029 - Asylmagazin 5/2018, S. 169 f. - asyl.net: M25878
https://www.asyl.net/rsdb/M25878
Leitsatz:

Vorläufiger Zugang zur Regelschule für Kinder aus Transitzentrum:

1. Schulpflichtige Kinder einer Familie aus dem Kosovo, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die nach ursprünglicher Verteilung auf den Landkreis und Besuch von Regelschulen später verpflichtet wurden, in das Transitzentrum Manching/Ingolstadt zu ziehen, haben Anspruch auf Besuch einer Regelschule.

2. Die im Transitzentrum angebotenen Übergangsklassen sind zumindest bei einem nicht ganz kurzfristigen Aufenthalt in Deutschland nicht geeignet, den Besuch einer Regelschule zu ersetzen.

3. Da das BAMF im Fall der Familie kein beschleunigtes Asylverfahren nach § 30a AsylG durchgeführt hat, sind die Betroffenen nicht verpflichtet in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und daher sind die Kinder nicht besonderen dort eingerichteten Klassen zuzuweisen.

4. Auch die Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, dürfte wohl zu beenden sein, da die Abschiebung nicht kurzfristig möglich erscheint (§ 30a Abs. 3 S. 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 AsylG).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Schulbesuch, Kindeswohl, Transitzentrum, Erstaufnahmeeinrichtung, Schulpflicht, besondere Aufnahmeeinrichtung, Regelschule, beschleunigte Verfahren, Aufnahmeeinrichtung, Bildung, Übergangsklasse,
Normen: AsylG § 30a, BayEUG Art. 36 Abs. 3 S. 6, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 12 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 2, GG Art. 7 Abs. 1, AGMR Art. 26, UN-KRK Art. 28, UN-KRK Art. 29, UN-KRK Art. 3 Abs. 1, GR-Charta Art. 14, RL 2013/33/EU Art. 14 Abs. 1, BayEUG Art. 36 Abs. 3 S. 3, DVAsyl § 4 Abs. 2 Nr. 1, AsylG § 30a Abs. 5, AsylG § 47 Abs. 1a, AsylG § 29a,
Auszüge:

[...]

Aufgrund der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage dürfte sich die Verweisung der Antragsteller in die Übergangsklasse des BayTMI [Bayerisches Transitzentrum Manching-Ingolstadt] als rechtswidrig erweisen; die Antragsteller haben einen Anspruch auf Teilnahme am regulären Schulunterricht an der zuständigen ...-Schule glaubhaft gemacht.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist Art. 36 Abs. 3 BayEUG. Danach stellt die Schule für jeden aus dem Ausland zugezogenen Schulpflichtigen fest, in welche Jahrgangsstufe der Pflichtschule er einzuweisen ist. Es gilt derjenige Teil der Schulpflicht als zurückgelegt, der dem durch die Einweisung bestimmten Zeitpunkt regelmäßig vorausgeht. Die Schülerinnen und Schüler sind in der Pflichtschule grundsätzlich in die Jahrgangsstufe einzuweisen, in die Schulpflichtige gleichen Alters, die seit Beginn ihrer Schulpflicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, regelmäßig eingestuft sind (Art. 36 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 BayEUG), Aufgrund der von den Antragstellern vorgelegten Jahreszeugnisse des vorangegangenen Schuljahres 2016/2017 vom 28. Juli 2017 haben diese das Klassenziel in der Jahrgangsstufe 5 bzw. der Jahrgangsstufe 7 erreicht und rücken jeweils in die nächste Jahrgangsstufe vor. Gründe, warum sie nicht die Regelklassen in ihrer zuständigen Sprengelschule besuchen sollten, sind nicht erkennbar. Aus den Jahreszeugnissen der Antragsteller ergibt sich eindeutig, dass bei ihnen kein Fall des Art. 36 Abs. 3 Satz 5 BayEUG vorliegt, da ihre Kenntnisse der deutschen Sprache offensichtlich ausreichen, um dem Unterricht mit durchschnittlich befriedigendem Erfolg folgen zu können. Ein Grund, sie wegen ungenügender Deutschkenntnisse besonderen Klassen oder Unterrichtsgruppen zuzuweisen, ist daher nicht erkennbar.

Es liegt auch kein Fall des Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG vor. Danach werden Schulpflichtige, die nach dem Asylgesetz verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen, zur Erfüllung der Schulpflicht besonderen dort eingerichteten Klassen und Unterrichtsgruppen zugewiesen. Die Antragsteller sind nach dem Asylgesetz nicht verpflichtet, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen. Sie mögen zwar verpflichtet sein, aufgrund ihrer asylrechtlichen Stellung in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, nicht jedoch in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG.

§ 30a AsylG regelt, wie sich bereits aus der Überschrift ergibt, das sogenannte beschleunigte Verfahren, das das Bundesamt, wenn die Voraussetzungen des § 30a Abs. 1 AsylG vorliegen, durchführen kann. Macht das Bundesamt davon Gebrauch, so entscheidet es innerhalb einer Woche ab Stellung des Asylantrags (§ 30a Abs. 2 Satz 1 AsylG). Ausländer, deren Asylanträge im beschleunigten Verfahren nach dieser Vorschrift bearbeitet werden, sind verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag in der für ihre Aufnahme zuständigen besonderen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 30a Abs. 3 Satz 1 AsylG). Das Asylverfahren der Antragsteller wurde allerdings nicht im beschleunigten Verfahren gemäß § 30a AsylG durchgeführt, so dass sie auch nicht verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen.

Sinn des § 30a AsylG und des dort geregelten beschleunigten Asylverfahrens ist es, Personen, bei denen offensichtlich kein Asylgrund vorliegt, und die deshalb möglichst schnell in ihre Heimatländer zurückgeführt werden sollen, in besonderen Aufnahmeeinrichtungen zusammenzufassen und deren Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik Deutschland möglichst kurz zu halten. Insbesondere dieser Sinn bildet auch den Hintergrund der vom Antragsgegner zitierten Begründung der Regelung des Art. 36 Abs. 6 BayEUG, wonach die Art und Weise, wie die schulische Bildung in den besonderen Aufnahmeeinrichtungen erfolgt, an die dortigen besonderen Anforderungen angepasst werden soll. "Diese besonderen Anforderungen resultieren zum einen aus den organisatorischen Rahmenbedingungen der Einrichtungen mit einer großen Vielzahl von Bewohnern. V.a. aber stellen die Diversität, Herkunft und Bleibeperspektive der schulpflichtigen Kinder vor spezielle Herausforderungen: Die jungen Menschen kommen aus unterschiedlichen Ländern anderer Kulturkreise, sie weisen sehr unterschiedliche (oftmals geringe) schulische Vorbildung auf und sprechen weitgehend nicht Deutsch. Das erfordert unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Rahmenbedingungen besondere, auf die Bedürfnisse in den besonderen Aufnahmeeinrichtungen abgestellte Bildungsangebote." Auch aus dieser Begründung wird deutlich, dass das Bildungsangebot, das Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG bereit stellt, für einen Personenkreis gedacht ist, der erst kurz in Deutschland ist und dessen Aufenthalt hier auch möglichst kurz gestaltet werden soll.

Dies alles ist bei den Antragstellern nicht gegeben. Die Antragsteller halten sich seit Ende 2013 in der Bundesrepublik auf, haben schon umfangreiche Zeiten im bayerischen Regelschulsystem zurückgelegt und haben ausreichende Deutschkenntnisse, um dem Unterricht in einer Regelklasse der zu folgen. In ihrem Fall wurde nicht nur kein beschleunigtes Verfahren gemäß § 30a AsylG durchgeführt, bei ihnen liegt wohl auch ein Fall des § 30a Abs. 3 Satz 3 AsylG i.V.m. § 49 Abs. 1 AsylG vor. Danach ist die Verpflichtung, in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, zu beenden, wenn eine Abschiebungsandrohung vollziehbar und die Abschiebung kurzfristig nicht möglich ist. Diese Voraussetzungen liegen bei den Antragstellern wohl vor. Auch deshalb sind sie nach dem Asylgesetz nicht verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen. [...]