1.) Ein Ausweisungsinteresse ist verbraucht, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Allein die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist für sich genommen, d.h. ohne Berücksichtigung der näheren Umstände der Erteilung, nicht geeignet, einen solchen Vertrauenstatbestand zu begründen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 39).
2.) Eine serienmäßige Begehung von Straftaten gegen das Eigentum (§ 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) liegt bei zwei Diebstahlsdelikten nicht vor.
3.) Die aufgrund vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe nach § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB eintretende Führungsaufsicht führt nicht zwangsläufig zur ordnungsrechtlichen Prognose einer hohen Wiederholungsgefahr.
(Amtliche Leitsätze)
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Ein Ausweisungsinteresse ist verbraucht, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Allein die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist für sich genommen, d.h. ohne Berücksichtigung der näheren Umstände der Erteilung, nicht geeignet, einen solchen Vertrauenstatbestand zu begründen.
Das Bundverwaltungsgericht hat seine Rechtsprechung zum früheren Ausländerrecht, wonach Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegen gehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind bzw. die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 21; siehe etwa auch Urteil vom 16.11.1999 - 1 C 11.99 -, juris Rn. 20), auf das seit 1. Januar 2016 geltende Ausweisungsrecht übertragen (BVerwG, Ur-teil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 39). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten; zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (vgl. näher BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, Rn. 39; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris Rn. 49; OVG Bremen, Beschluss vom 10.11.2017 - 1 LA 259/15 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 19.01.2017 - 18 A 2540/16 -, juris Rn. 4). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. [...]
b) Das Aufenthaltsgesetz definiert nicht, wann eine serienmäßige Begehung von Straftaten vorliegt. Mit "Serie" wird sprachlich allgemein eine bestimmte Anzahl zueinanderpassender Dinge umschrieben, die eine zusammenhängende Folge, ein Ganzes, bilden; "Serie" wird aber auch im Sinne einer auffälligen (zufälligen) Reihung gebraucht (siehe Brockhaus, Enzyklopädie). Die Gesetzesbegründung konkretisiert den Begriff nicht näher. Im Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern heißt es zu § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG lediglich, auch serielle Straftaten gegen das Eigentum, die zu einer entsprechenden Verurteilung führen, rechtfertigen das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse (BT-Drs. 18/7537 vom 16.02.2016, S. 8). Für § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG, der die serienmäßige Begehung von Straftaten gegen das Eigentum bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu seiner Freiheits- oder Jugendstrafe unabhängig von einem Mindeststrafmaß als schwerwiegendes Ausweisungsinteresse qualifiziert, ergibt sich aus der Begründung des Gesetzes nichts Weiteres.
Die in der Norm zum Ausdruck kommende Verknüpfung zwischen der serienmäßigen Begehung und der entsprechenden Verurteilung könnte für ein strafrechtliches Verständnis der seriellen Straftat sprechen (vgl. Bauer/Beichel-Benedetti, Das neue Ausweisungsrecht, NVwZ 2016, 416, 417). Die Normen der Eigentumskriminalität nach §§ 242 ff. StGB kennen einen solchen Tatbestand nicht. Die serienmäßige Tatbegehung ist aber ein Aspekt der Strafzumessung, der nicht nur bei Eigentumsdelikten gilt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Vielzahl von Taten räumlich, zeitlich oder sonst besonders eng verschränkt sind; für ihre Annahme bedarf es besonderer Feststellungen im Strafurteil (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 25.09.2012 - 1 StR 407/12 -, juris Rn. 51; Fischer, StGB, 63. Aufl., 2016, Vor § 52 Rn. 55 ff.; Rissing-van Saan, in: Laufhütte, u.a., StGB, Leipziger Kommentar, 12. Aufl, 2007, Vorb. zu §§ 52 ff., Rn. 69 ff.). Dass es sich im vorliegenden Fall um eine serienmäßige Tat handelt, kann dem Urteil des Amtsgerichts jedoch nicht entnommen werden.
Fasst man die serienmäßige Begehung entsprechend bereits früher geltender Regelungen im Ausweisungsrecht (§ 48 Abs. 2 AuslG 1990 und § 56 Abs. 2 Satz 3 AufenthG a.F.) als einen eigenständigen öffentlich-rechtlich Begriff auf, der nicht identisch mit dem strafrechtlichen Begriff der "Serienstraftat" sein muss (Funke-Kaiser, Fragen des novellierten Aufenthaltsrechts, in: Dokumentation, 18. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, 2016, S. 221, 244), führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. [...]
4.) Unter Heranziehung und Würdigung aller für und gegen den Kläger sprechenden Umstände ist der Senat daher der Auffassung, dass die Gefahr, der Kläger werde in die in der Vergangenheit praktizierte Art und Weise der Eigentums- und Vermögenskriminalität erneut begehen, zwar nicht gänzlich zu verneinen, die Wahrscheinlichkeit hierfür aber auch nicht mehr hoch ist. Dieser Einschätzung steht die ausweislich der Auskunft aus dem Zentralregister noch bis 12. Oktober 2018 bestehende Führungsaufsicht nicht entgegen.
Der Führungsaufsicht kraft Gesetzes im Fall der vollständigen Verbüßung einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren liegt der Gedanke zugrunde, dass ein längerer Strafvollzug zum einen generell Eingliederungsschwierigkeiten befürchten lässt (Resozialisierungsfunktion), zum anderen auf ein Gefährdungspotential bei gleichzeitig negativer Legalprognose (Kontroll- und Sicherungsfunktion) hindeutet (Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, StGB, 29. Aufl., 2014, § 68f Rn. 3). Der Führungsaufsicht nach § 68f Abs. 1 StGB ist immanent, dass die Strafkammer keine positive Sozialprognose nach § 68f Abs. 2 StGB getroffen hat. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die durch § 68f Abs. 2 StGB ermöglichte Anordnung des Entfallens der Maßregel Ausnahmecharakter hat und nur in Betracht kommt, wenn konkrete Tatsachen für eine günstige Prognose vorliegen, die eine höhere als die zur Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB genügende Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit verlangt. Diese Erwartung muss sich zwar nicht zur Gewissheit verdichten, erforderlich ist aber eine entsprechende hohe Wahrscheinlichkeit, wobei Zweifel zu Lasten des Verurteilten gehen (OLG Hamm, Beschlüsse vom 06.12.2016 - III-5 Ws 303/16 -, juris Rn. 15 und vom 03.04.2012 - III-1 Ws 166/12 -, juris Rn. 3 m.w.N.).
§ 68f Abs. 2 StGB erfordert nach übereinstimmender Auffassung in der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur bei der prognostischen Beurteilung künftiger Straffreiheit daher mehr als § 57 Abs. 1 StGB voraussetzt (näher Fischer, StGB, 63. Aufl., 2016, § 68f. Rn. 9; Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, StGB, 29. Aufl., 2014, § 68f Rn. 9 ff. - jew. m.w.N.). Der Konkretisierungsgrad muss höher sein als bei einer Zweidrittel-Entscheidung; die Gründe, die für eine künftige Straffreiheit des Verurteilten sprechen, müssen sich derart verdichtet haben, dass sich der Ermessensspielraum des Gerichts auf nahezu Null reduziert (Rueber, jurisPR-StrafR 18/2013 Anm. 3).
Abgesehen davon, dass die Prognose nach § 68f Abs. 2 StGB und die ordnungsrechtliche Prognose der Wiederholungsgefahr unterschiedliche Voraussetzungen und Zwecke haben, liegt die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hier mehr als zwei Jahre zurück. Die heutige Sachlage, insbesondere die den Kläger im Sinne eines straffreien Lebens motivierende und stabilisierende enge Beziehung zu seinem Sohn, hat in die damalige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keinen Eingang finden können. Die nach der Verbüßung der Haft weiter eingetretenen positiven Änderungen beim Kläger sind nach Überzeugung des Senats nicht das Resultat des - nach § 145a StGB strafbewährten - Legalbewährungsdrucks der Führungsaufsicht, sondern primär das Ergebnis eines reflektierenden Prozesses, den der Kläger durchlaufen hat und durchläuft. Dies kommt auch in der aktuellen Einschätzung der Bewährungshelferin vom November 2017 zum Ausdruck, wonach der Kläger "sein Verhalten sehr gut reflektieren könne und auch ohne sie klar käme". [...]