Flüchtlingsanerkennung aufgrund von Konversion zum Christentum, da Konvertiten in Afghanistan Verfolgung ausgesetzt sind. Eine inländische Fluchtalternative besteht auch in der Anonymität von Großstädten nicht.
(Leitsätze der Redaktion)
[…]
Den Klägern steht im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG aufgrund einer drohenden Verfolgung wegen der Religionszugehörigkeit der Kläger zu. Denn nach Überzeugung des Gerichts droht ihnen wegen der glaubhaft vorgetragenen Konversion zum Christentum und dem zuvor erfolgten Abfall vom muslimischen Glauben, der in Afghanistan als Apostasie verstanden wird, im Falle einer Einreise oder Abschiebung nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dort Verfolgung jedenfalls durch nichtstaatliche Akteure. […]
Der ernsthafte Übertritt vom islamischen zum christlichen Glauben führt bei Rückkehr nach Afghanistan zu Verfolgung. Nach der Überzeugung des Gerichts sind zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Ein dauerhafter und nachhaltiger staatlicher Verfolgungsschutz ist derzeit nicht gegeben. Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion. Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften ist das Recht eingeräumt, ihren Glauben auszuüben und ihre Bräuche zu pflegen. Das so grundsätzlich gewährte Recht auf freie Religionsausübung umfasst jedoch nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren und schützt nicht die freie Religionswahl. Konversion wird als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen, das mit dem Tod bestraft werden könnte (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29. Juli 2016, S. 152 ff. m.w.N.). Aus Angst vor Diskriminierung, Verfolgung, Verhaftung und Tod bekennen sich Christen nicht öffentlich zu ihrem Glauben und versammeln sich nicht offen, um zu beten. Konvertiten drohen Gefahren häufig auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, da der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird. Aus diesen Gründen sind in Afghanistan Konvertiten gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an christlichen Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten. Sie können ihren Glauben außerhalb des häuslichen Bereichs nicht einmal im familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 - UNHCR-Richtlinien - , S. 57 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016, S. 11).
Das Gericht ist aufgrund des Gesamteindrucks, den die Kläger durch ihre Angaben im Verwaltungsverfahren und insbesondere in der mündlichen Verhandlung gemacht haben, davon überzeugt, dass sich die Kläger ernsthaft dem Christentum zugewandt haben und ihr religiöser Einstellungswandel nicht auf bloßen Opportunitätsgründen beruht. In diesem Zusammenhang sind zunächst der relativ niedrige Bildungsstand - die Kläger zu 1. und 2. sind Analphabeten - und die Herkunft der Kläger zu berücksichtigen, weshalb keine übersteigerten Anforderungen an die Wiedergabe lediglich erlernten Glaubenswissens gestellt werden können. Wesentlich ist vorliegend eine weit fortgeschrittene Integration der Kläger in Deutschland und insbesondere in ihrer kirchlichen Gemeinde. Die Kläger haben zudem in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und schlüssig dargestellt, wie sich ihr Glaubenswechsel vollzogen hat. Insbesondere der Kläger zu 1. gab authentisch wieder, wie er bereits im Iran durch einen Arbeitskollegen Kontakt zum Christentum erlangt hat. Er legte hierbei auch dar, dass er bereits in Afghanistan und im Iran nicht mehr regelmäßig die Moschee besucht und die muslimische Glaubensausübung mehr und mehr als Zwang empfunden habe. Die Kläger machten keine übertriebenen Angaben bezüglich ihrer in Deutschland erfolgten Hinwendung zum Christentum und konnten auf Fragen des Gerichts in Ansehung ihres Bildungsstandes plausibel antworten. Auch die Angaben zu den Treffen mit ihrem Pfarrer in ihrer Heimatgemeinde, bei denen über Glaubensfragen gesprochen wird, wirkten lebensnah und überzeugend.
Das Gericht ist vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass die Kläger in Afghanistan kaum die Möglichkeit hätten, den neu gewonnen Glauben zu vertiefen und aktiv zu praktizieren. Es bestünde ein erhebliches Risiko, dass sie bei einschlägigen Nachfragen aus der Nachbarschaft zugleich ihre Abkehr vom Islam und die Annahme des christlichen Glaubens verraten. Auch in der Anonymität der Großstadt Kabul wären sie so Nachstellungen und Verfolgung ausgesetzt. Zudem wären sie ansonsten zu unzumutbaren Ausweichhandlungen genötigt, um Repressionen zu entkommen.
Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG steht nicht entgegen, dass die Taufe der Kläger erst nach der Ausreise in Deutschland erfolgt ist, da ein glaubhafter Religionswechsel vorliegt. Die von den Klägern selbst geschaffene Gefährdungslage ist danach gem. § 28 Abs. 1a AsylG uneingeschränkt zu berücksichtigen. [...]