[Keine Umgehung von § 37 AsylG durch Verlängerung der Ausreisefrist auf 30 Tage:]
1. In den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist § 38 AsylG nicht anwendbar.
2. Für einen Eilantrag besteht auch in den Fällen, in denen § 37 AsylG durch Festsetzung einer längeren Ausreisefrist umgangen werden soll, ein Rechtsschutzbedürfnis.
3. Die Regelung des § 37 AsylG vermittelt im Falle einer stattgebenden Eilentscheidung des Gerichts einen Anspruch auf Fortführung des Asylverfahrens im Bundesgebiet. Einer erneuten Ablehnung des Asylantrages als unzulässig steht die Regelung des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG entgegen.
4. Für eine teleologische Reduzierung des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG auf Fälle, in denen die Entscheidung über die Unzulässigkeit aufgehoben ist, besteht kein Raum (abweichend VG Lüneburg - Beschluss vom 13. Dezember 2016 - 8 A 175/16).
(Amtliche Leitsätze)
Anmerkung:
[...]
7 Der Antrag ist auch statthaft und nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
8 Zwar kommt der Klage durch die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides festgesetzte Frist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens praktisch aufschiebende Wirkung im Sinne des § 75 Abs. 1 AsylG zu, da die Antragstellerinnen bis zum Ablauf der Frist nicht abgeschoben werden können und damit ihr vorrangiges Rechtsschutzziel bereits erreicht haben. Gleichwohl geht das Rechtsschutzziel der Anordnung der aufschiebenden Wirkung über den bloßen Abschiebeschutz hinaus, weil die Unzulässigkeitsentscheidung und die Abschiebungsandrohung bereits nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG unwirksam werden und das Bundesamt das Asylverfahren fortzuführen hat, wenn das Gericht einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht.
9 Damit erschöpft sich das Begehren nicht in einem Abschiebungsschutz, sondern richtet sich auf Fortführung des Asylverfahrens als gesetzliche Folge einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung. Diese weitergehenden Rechtsfolgen dürfen den Antragstellerinnen nicht durch Umgehung der gesetzlichen Regelungen genommen werden.
10 Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist für eine "teleologische Reduzierung" des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG kein Raum. [...]
12 Schon der eindeutige Wortlaut des § 37 AsylG spricht gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts Lüneburg. Eine verkürzte Anwendung der Norm allein für den Fall, dass neben der Abschiebungsandrohung auch die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit aufgehoben wird, ist schon deshalb verfehlt, weil das Gericht im Eilverfahren die Entscheidung nicht "aufheben", sondern allenfalls deren Vollzug vorläufig stoppen kann. Die Auslegung negiert schlicht den Anwendungsbereich der Norm und den gesetzgeberischen Willen, das Verfahren zu verkürzen.
13 Die Gesetzeshistorie belegt, dass die Verknüpfung einer stattgebenden Entscheidung im Eilverfahren mit der materiell-rechtlichen Folge der Unwirksamkeit bereits nach § 10 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG 1982 galt. Danach wurde die Abschiebungsandrohung der Ausländerbehörde unwirksam, wenn dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprochen wurde. Der Asylantrag war in diesem Fall unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten, um in der Sache zu entscheiden (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 2. Februar 1988 – 2 BvR 702/84, 2 BvR 1106/84 –, juris, Rn. 37). Diese Systematik gilt auch nach der geltenden Rechtslage, ohne dass es einer besonderen Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrages durch das Gericht bedarf.
14 Da in den Fällen, in denen das Gericht Anträgen nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht, die Unzulässigkeitsentscheidung und die Abschiebungsandrohung kraft Gesetzes unwirksam werden, bedarf es keiner Aufhebung durch das Gericht im Hauptsacheverfahren. Ein unwirksamer Bescheid kann nämlich nicht vom Gericht aufgehoben werden. Eine Klage auf Aufhebung wäre unzulässig, weil es im Falle einer zuvor ergangenen stattgebenden Eilentscheidung am Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage fehlt. Vielmehr erledigt sich das Klagebegehren im Fall einer stattgebenden Eilentscheidung des Gerichts (Marx, a.a.O., Rn. 2).
15 Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG hat das Bundesamt in diesem Fall das Asylverfahren fortzuführen. Für eine Fortführung des Asylverfahrens nach einer Schutzgewährung in einem anderen Staat besteht durchaus dann Raum, wenn dieser Schutz praktisch wertlos ist, weil eine Rückkehr in diesen Staat wegen entsprechender Abschiebungshindernisse nicht zumutbar ist. Es spricht einiges dafür, dass § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG dem Selbsteintrittsrecht in Dublin-Verfahren entspricht, weil ein Asylbewerber nicht einerseits auf einen Schutzstatus in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union verwiesen werden kann, in den er andererseits aber nicht abgeschoben werden darf. Dafür spricht auch § 37 Abs. 3 AsylG, nach dem die Regelung des Absatzes 1 nicht gilt, wenn eine Abschiebung in einen anderen in der Androhung bezeichneten Staat vollziehbar ist.
16 Die abschließende Klärung dieser Rechtsfrage muss allerdings dem insoweit auf Fortsetzung des Asylverfahrens umzustellenden Klageverfahren vorbehalten bleiben.
17 Der Antrag ist auch begründet.
18 Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Die angefochtene Abschiebungsandrohung ist offenkundig rechtswidrig. Rechtsgrundlage ist § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Danach ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist anzudrohen. Diese Frist beträgt nach § 36 Abs. 1 AsylG in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine Woche und nicht 30 Tage nach unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. § 38 AsylG ist nicht anwendbar. Die von der Antragsgegnerin bewusst vorgenommene Umgehung des Asylgesetzes, um die Wirkungen des § 37 AsylG zu vermeiden, begegnet erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken.
19 Die fehlerhafte Frist kann auch nicht losgelöst von der Abschiebungsandrohung getrennt aufgehoben werden, denn eine dann fortbestehende "fristlose" Abschiebungsandrohung lässt keinerlei Raum, die Abschiebung durch freiwillige Rückkehr zu vermeiden.
20 Folglich spricht alles dafür, dass die rechtswidrige Abschiebungsandrohung im Hauptsacheverfahren aufzuheben ist. Sie verletzt die Antragstellerinnen auch in ihren Rechten, obwohl die von der Antragsgegnerin gesetzte Frist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss günstiger erscheint (a.A. VG Berlin, 23. Kammer, Beschluss vom 1. Dezember 2017 – VG 23 L 767.17 A –; vgl. auch VG Bayreuth, Beschluss vom 29. September 2017 – B 3 K 17.32644 –, juris, Rn. 30). Denn die rechtswidrige Abschiebungsandrohung verletzt die Antragstellerinnen in ihrem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung ist eine Abschiebung überhaupt nicht, auch nicht 30 Tage nach Ablauf der unanfechtbaren Entscheidung, möglich. Daher kommt es für die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung auch nicht darauf an, ob die Antragsgegnerin nach Aufhebung des Bescheides eine neue rechtmäßige Androhung erlassen könnte.
21 Auf die Frage, ob der Abschiebung nach Litauen im vorliegenden Fall Abschiebungsverbote entgegenstehen, kommt es wegen der fehlerhaften Abschiebungsandrohung nicht an.
22 Vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass die Antragsgegnerin aufgrund dieser Entscheidung nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG verpflichtet ist, das Asylverfahren in der Sache fortzuführen und nicht berechtigt ist, den Antrag erneut nach § 29 Abs. 1 Nummer 2 AsylG als unzulässig abzulehnen. [...]