1. Der Umstand, dass § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG den erfolgreichen Schulbesuch und den Erwerb eines anerkannten Schul- oder Berufsabschlusses alternativ genügen lässt, bedeutet nicht, dass ein erfolgreicher Schulbesuch auch dann vorliegen kann, wenn der Ausländer die Schule ohne einen Abschluss verlassen hat. Der Gesetzgeber will zwei Fallgruppen begünstigen: zum einen diejenigen Ausländer, die zwar "noch" keinen Schul- oder Berufsabschluss haben, die aber mit anerkennenswerten schulischen Leistungen die Schule besuchen, und zum anderen diejenigen Ausländer, die bereits über einen Schul- oder Berufsabschluss verfügen.
2. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Das Ausreisehindernis darf nicht nur für einen überschaubaren Zeitraum bestehen, sondern muss absehbar dauerhaft sein.
3. Allein der langjährige Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet seit früher Kindheit begründet noch kein rechtliches Ausreisehindernis.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
10 Der Umstand, dass § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG den erfolgreichen Schulbesuch und den Erwerb eines anerkannten Schul- oder Berufsabschlusses alternativ genügen lässt, bedeutet entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht, dass ein erfolgreicher Schulbesuch auch dann vorliegen kann, wenn der Ausländer die Schule ohne einen Abschluss verlassen hat. Zwar wird bei der ersten Alternative des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ein Schulabschluss nicht als Erfolgsmerkmal verlangt. Vielmehr genügt es, wenn der Schulbesuch den Betroffenen "weitergebracht" hat, was anhand von Schulzeugnissen oder durch eine Stellungnahme der besuchten Schule belegt werden kann (Fränkel, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 25a RdNr. 6). Die erste Alternative des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG betrifft aber nur diejenigen Ausländer, die noch die Schule besuchen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wort "seit", sondern auch aus den Gesetzesmaterialien. In der Begründung zur Beschlussempfehlung und zum Bericht des Innenausschusses vom 16.03.2011 (BR-Drs. 17/5093, S. 15) heißt es, dass der Geduldete seit sechs Jahren erfolgreich eine Schule besuchen oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben haben muss. Als Kriterien für einen erfolgreichen Schulbesuch werden die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs sowie die Versetzung in die nächste Klassenstufe benannt. In der Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/4097, S. 42) heißt es, durch die Neufassung werde nur noch auf einen vierjährigen Voraufenthalt (§ 25a Absatz 1 Nummer 1) und den erfolgreichen in der Regel vierjährigen Schulbesuch oder den anerkannten Schul- oder Berufsabschluss (§ 25a Absatz 1 Nummer 2) als anerkennenswerte Integrationsleistung abgestellt. Kriterien für einen erfolgreichen Schulbesuch seien – wie bisher – die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs sowie die Versetzung in die nächste Klassenstufe. Damit könnten auch Jugendliche von dieser Regelung profitieren, die noch keinen Schul- oder Berufsabschluss erworben haben, aber gleichwohl bereits anerkennenswerte Integrationsleistungen unter Beweis gestellt haben. An diesen Formulierungen wird deutlich, dass der Gesetzgeber zwei Fallgruppen begünstigen will: zum einen diejenigen Ausländer, die zwar "noch" keinen Schul- oder Berufsabschluss haben, die aber mit anerkennenswerten schulischen Leistungen die Schule besuchen, und zum anderen diejenigen Ausländer, die bereits über einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss verfügen. [...]
23 [...] Die Antragsteller können sich voraussichtlich auch nicht auf ein rechtliches Ausreisehindernis berufen. Eine solches dürfte sich nicht allein aus dem langjährigen Aufenthalt des Antragstellers zu 1 im Bundesgebiet herleiten lassen.
24 Rechtliche Ausreisehindernisse können sich zwar aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Völkervertragsrecht – etwa aus Art. 8 EMRK – in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 – BVerwG 1 C 14.05 –, juris, RdNr. 17). Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
25 Der Schutz auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe aller sonstigen (außerhalb der Kernfamilie bestehenden) familiären, persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts dieser zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 8 Abs. 2 EMRK kommt insbesondere bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Ob eine solche Fallgestaltung vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen aber auch von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab. Das Ausmaß der "Verwurzelung" bzw. die für den Ausländer mit einer "Entwurzelung" verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen. Von erheblichem Gewicht sind dabei die Dauer des Aufenthalts, wo der Ausländer die Schulzeit verbracht hat und geprägt wurde, sowie der Schulabschluss und die Deutschkenntnisse, die er erworben hat. Von Bedeutung ist auch die Legitimität des bisherigen Aufenthalts. Was die berufliche Verwurzelung in Deutschland betrifft, ist zu prüfen, ob der Ausländer berufstätig und dadurch in der Lage ist, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie dauerhaft zu sichern, und ob er über längere Zeit öffentliche Sozialleistungen bezogen hat. Ferner ist von Bedeutung, ob der Betreffende eine Berufsausbildung absolviert hat und ihn diese Ausbildung gegebenenfalls für eine Berufstätigkeit qualifiziert, die nur oder bevorzugt in Deutschland ausgeübt werden kann. Bei der sozialen Integration ist das Ausmaß sozialer Bindungen bzw. Kontakte des Ausländers außerhalb der Kernfamilie von Belang. Auch strafrechtliche Verurteilungen sind in die Betrachtung einzustellen. Alle diese Umstände sind im Wege einer Gesamtbewertung zu gewichten (st. Rechtsprechung d. Senats, vgl. Urt. 07.12.2016 – 2 L 18/15 – juris, RdNr. 60, m.w.N.). [...]