VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 14.02.2018 - 4 A 6160/17 - asyl.net: M26018
https://www.asyl.net/rsdb/M26018
Leitsatz:

1. Wegen irreführender Rechtsbehelfsbelehrung, die Klage sei in deutscher Sprache abzufassen, gilt die Jahresfrist für die Erhebung der Klage.

2. Die stattgebende Entscheidung im Eilverfahren führt zur Unwirksamkeit der Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist verpflichtet, das Asylverfahren fortzuführen, § 37 AsylG.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Unzulässigkeit, Rechtsmittelbelehrung, Klagefrist, Bulgarien, Drittstaatenregelung, internationaler Schutz in EU-Staat, Fortführung des Verfahrens, Abschiebungsverbot, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 37, VwGO § 43, VwGO § 58 Abs. 2, AsylG § 37 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Feststellungsantrag ist statthaft gemäß § 43 Abs. 1 VwGO. Ferner ist die Feststellungsklage nicht wegen des Vorrangs einer Anfechtungsklage unzulässig, § 43 Abs. 2 VwGO. Denn die mit einer Anfechtungsklage erreichbare Aufhebung der Regelungen, auf die sich der Feststellungsantrag bezieht, scheidet aus, nachdem diese - wie nachfolgend ausgeführt wird - bereits kraft Gesetzes unwirksam geworden sind. Die Kläger haben weiterhin auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Denn die Beklagte hat auf den gerichtlichen Hinweis vom 04.01.2018 auf die Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG sowie die Aufforderung, dem Gericht mitzuteilen, ob der streitgegenständliche Bescheid zur Klarstellung aufgehoben und der Rechtsstreit für erledigt erklärt wird, erwidert, dass die Voraussetzungen von § 37 AsylG nicht vorlägen und an dem Bescheid festgehalten werde.

Bei der Umstellung der Klage von der Anfechtung des Bescheides vom 17.03.2017 auf die Feststellung seiner Unwirksamkeit nach § 37 AsylG handelt es sich um eine Klageänderung und nicht (nur) um eine teilweise Klagerücknahme, weil die Negativfeststellung ausnahmsweise nicht bereits als Minus in dem Anfechtungsantrag enthalten war. Das neue Feststellungsbegehren bezieht sich vielmehr auf die erst im Laufe des Prozesses eingetretenen, zusätzlichen Voraussetzungen von § 37 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG und geht somit zum Teil über den Prüfungsumfang der ursprünglichen Anfechtungsklage hinaus.

Die Klageänderung von der Anfechtung des Bescheides zur Feststellung der Rechtsfolgen von § 37 AsylG ist gemäß § 91 VwGO zulässig, denn das Gericht hält sie für sachdienlich. Insbesondere ist aus Sicht der Kläger nicht ausreichend, den Rechtsstreit für erledigt zu erklären, da auch im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung das Gericht lediglich feststellen könnte, dass der Rechtsstreit sich erledigt hat, ohne dass dem Rechtsschutzbegehren der Kläger gedient und Rechtssicherheit hinsichtlich der Unwirksamkeit des zuvor angegriffenen Bescheides geschaffen worden wäre. Insoweit dient die Klageänderung auch der Prozesswirtschaftlichkeit.

Die Klage ist aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung, die durch den Hinweis, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, irreführend ist, nicht verfristet, da damit die Jahresfrist gilt, § 58 Abs. 2 VwGO (vgl. statt vieler Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2017 - A 9 S 333/17 -, juris).

Die Klage ist auch begründet. Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist unwirksam und das Bundesamt hat das Verfahren fortzuführen, § 37 Abs. 1 AsylG.

Nach dieser Vorschrift werden die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und die Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn mit Beschluss vom 01.09.2017 (4 B 6161/17) hat das erkennende Gericht die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid angeordnet.

Auf die Gründe, aus denen die stattgebende Entscheidung im Eilverfahren ergangen ist, kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 37 Abs. 1 AsylG nicht an. Die Regelung ordnet vielmehr die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit des Antrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und die Abschiebungsandrohung für den Fall einer stattgebenden Entscheidung im Eilverfahren an ohne jegliche Differenzierung danach, aus welchen Gründen dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprochen wird. Auch aus den Materialien zum Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (BGBl. 2016 Teil I Nr. 39; Gesetzentwurf BT-Drucksache 18/8615 - 31.05.2016) lässt sich kein abweichender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Vielmehr legen diese Materialien nahe, dass es sich bei der Neuregelung des § 37 AsylG lediglich um eine redaktionelle Anpassung an die Neuregelung des § 29 AsylG handelte, indem schlicht der Begriff "unbeachtlich" durch "unzulässig" ersetzt wurde, vermutlich unter versehentlicher Außerachtlassung der inhaltlichen Neugestaltung des § 29 AsylG. Die jetzige Regelung des § 37 Abs. 1 AsylG ist daher durchaus sehr ungewöhnlich und möglicherweise waren die Folgen so durch den Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt oder vorhergesehen. Angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift einerseits und des Fehlens jeglicher konkreter Anhaltspunkte für einen davon abweichenden bestimmbaren Willen des Gesetzgebers scheidet eine Auslegung entgegen dem Wortlaut der Bestimmung, etwa durch teleologische Reduktion, zur Überzeugung des Gerichts allerdings aus. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 37 Abs. 1 AsylG je nachdem, ob der Erfolg des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO auf tatsächlichen Zweifeln an einer Schutzgewährung im Drittstaat beruhte oder auf systemischen Mängeln des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen im Drittstaat oder "nur" auf Verstößen gegen die Anforderungen der Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU, verbietet sich zudem auch deshalb, weil die rechtlichen Folgen von systemischen Mängeln im Drittstaat und/oder Verstößen gegen die Anforderungen der Art. 20 ff Richtlinie 2011/95/EU für die Zulässigkeit eines Asylantrags in der Bundesrepublik sowohl auf nationaler Ebene als auch auf europarechtlicher Ebene nicht abschließend geklärt sind. (VG Köln, Urteil vom 17. August 2017 - 20 K 2037117.A -, Rn. 22ff, juris, m.w.N.). [...]