VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 23.06.2017 - 7 A 3963/15 - asyl.net: M26026
https://www.asyl.net/rsdb/M26026
Leitsatz:

Eine Verfolgung durch die FARC droht nach dem Friedensabkommen zwischen FARC und der kolumbianischen Regierung im November 2016 nicht mehr.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Kolumbien, FARC, Friedensvertrag, Flüchtlingsanerkennung, Änderung der Sachlage, nichtstaatliche Verfolgung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b, AsylG §3c, AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

Die Kläger haben zwar - nach Ansicht des Gerichts - glaubhaft vorgetragen von der FARC - einem nichtstaatlichen Akteur, von dem Verfolgung ausgehen kann, § 3c Nr. 3 AsylG - bedroht worden zu sein und auch Gewalt erfahren zu haben. Jedoch hat sich die politische Lage in Kolumbien seit der Ausreise der Kläger mittlerweile dahingehend geändert, dass Kolumbiens Regierung mit der Rebellengruppe FARC im November 2016 einen Friedensvertrag geschlossen hat. Die Verhandlungen mit der FARC auf Kuba dauerten vier Jahre. Die Bevölkerung stimmte im Rahmen eines nicht bindenden Volksreferendums am 02.10.2016 zuvor zwar mit knapper Mehrheit gegen den Vertrag. Dieser ist jedoch vom kolumbianischen Kongress mittlerweile angenommen worden (vgl. Zeit Online vom 01.12.2016, abrufbar unter www.zeit.de/politik/deutschland/2016-12/kolumbien-kongress-friedensvertrag-farc-abstimmung und Spiegel Online vom 29.12.2016, abrufbar unter www.spiegel.de/politik/ausland/kolumbiens-parlament-stimmt-fuer-farc-amnestie-a-1127852.html). Die zentralen Punkte des neuen Friedensabkommens beinhalten, dass das Vermögen der FARC offengelegt werden muss und zur Entschädigung der Opfer herangezogen werden soll. Der ehemaligen FARC wird künftig politische Teilhabe durch den Erhalt von Sitzen im Senat und der Abgeordnetenkammer garantiert. Vereinbart wurde zudem ein endgültiger Waffenstillstand; die ehemaligen Kämpfer der FARC sollen ihre Waffen niederlegen und den Vereinten Nationen übergeben. Sie erhalten für zwei Jahre eine monatliche Basisrente und eine Einmalzahlung und werden von den staatlichen Sicherheitskräften beschützt. Eingesetzt wird auch eine Übergangsjustiz, die Verfahren gegen die FARC-Rebellen durchführen soll (Amnesty Report 2017, Kolumbien - juris). Rund zwei Monate nach der Einigung auf einen Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der Rebellengruppe FARC sind nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) inzwischen etwa die 6.900 verbliebenen Guerillas in sogenannten Entwaffnungszonen angekommen. In den 26 Entwaffnungszonen, die überall im ganzen Land verstreut sind, sollen die einstigen Guerillakämpfer nicht nur vollständig entwaffnet, sondern künftig auch ihr neues ziviles Leben vorbereitet werden (Zeit.de 21.06.2017 abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-06/farc-rebellen-waffenuebergabe-vereinte-nationen-friedensmission). Bei einer offiziellen Zeremonie in La Elvira im Norden Kolumbiens lieferten die Kämpfer rund 2.000 Waffen ab (Zeit.de 21.06.2017 abrufbar unter www.zeit.de/politik/ausland/2017-06/farc-rebellen-waffenuebergabe-vereinte-nationen-friedensmission). Zwar prägt in der Realität der Terror immer noch den Alltag. Jedoch geht dieser Terror nicht mehr von der FARC aus (so der Bericht von Spiegel Online vom 13. Januar 2017, abrufbar unter www.spiegel.de/politik/ausland/kolumbien-frank-walter-steinmeier-sucht-den-frieden-a-1129663-druck.html). Die FARC ist hierarchisch organisiert (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 1. Februar 2017, - 3 A 1560/17, v.n.b.), so dass von den oberen Ebenen dieser Gruppierung aller Voraussicht nach kein Befehl mehr an die nachgeordneten Milizen gegeben werden wird, weiterhin Privatpersonen zu erpressen oder zu entführen. Das Gericht geht davon aus, dass sich die Strukturen der FARC - bedingt durch den Wegfall der gesamten oberen Führungsebene und der nachgeordneten Ebenen - aufgelöst haben.

Aufgrund dieser Entwicklung geht daher das Gericht auch davon aus, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Kolumbien nicht erneut von der FARC bedroht werden würden. Dies gilt auch unter Beachtung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Denn die aktuelle Entwicklung des Friedensprozesses (siehe oben) stellt einen stichhaltigen Grund dar, der gegen eine erneute Bedrohung spricht.

Es kann dahingestellt bleiben, ob stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass den Kläger bei einer Rückkehr nach Cali, Pradera oder Palmira Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG) drohen. Denn das Gericht kann nicht ausschließen, dass die Kläger in Cali, Pradera oder Palmira von ehemaligen Mitgliedern der FARC erkannt und - soweit diese den Abschluss des Friedensabkommens nicht akzeptieren - bedroht werden bzw. ihnen Gewalt zugefügt wird. Dies mag insbesondere für abgespaltene Gruppen der vormaligen FARC gelten, denen schlicht eine berufliche Perspektive fehlt und die (noch) keine staatlichen Leistungen nach Maßgabe des Friedensabkommens erhalten. Diese Umstände könnten dazu führen, dass sie weiterhin in krimineller Weise von vermeintlich wohlhabenden Personen wie den Klägern Geldleistungen fordern. Die konkrete Beurteilung dieser Umstände kann jedoch dahinstehen. Denn zum einen sind die von der FARC abgespaltenen Gruppen wohl bereits keine Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG. Zum anderen besteht nach Einschätzung des Gerichts zumindest eine innerstaatliche Fluchtalternative. Gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2). Vorliegend steht den Klägern die Hauptstadt Bogota oder auch andere größere Städte, wie Medellin, Cartagena, Santa Marta als innerstaatliche Schutzalternative im Sinne von § 3e AsylG zur Verfügung. Denn es kann nach Einschätzung des Gerichts davon ausgegangen werden, dass die möglicherweise verbleibenden ehemalige Mitglieder der FARC aufgrund der Einstellung der Aktivitäten der FARC sowie aufgrund der daraus resultierenden Demobilisierungs- und Entwaffnungsphase keine Möglichkeiten mehr haben, die vor dem Friedensabschluss zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC bestehenden Strukturen zu nutzen, um Vorverfolgte in ganz Kolumbien zu finden. So dass die Kläger in größeren Städten Schutz finden können. Dies kann den Klägern auch zugemutet werden. Schließlich sind die Kläger zu 1) und zu 2) Akademiker und können mit Unterstützung der in Kolumbien verbliebenen (Groß-) Familie rechnen. Dass die Kläger bereits mehrfach erfolglos versucht haben, durch Umzüge dem Zugriff der FARC zu entgehen, kann nicht zu einer anderen Einschätzung des Gerichts führen, weil die bislang unternommen Umzüge nur innerhalb des gleichen Landesteils stattfanden. [...]