OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 14.02.2018 - 2 B 21/18 - asyl.net: M26041
https://www.asyl.net/rsdb/M26041
Leitsatz:

[Zur Ausweisung bei Drogensucht und wiederholter Straffälligkeit:]

1. Bei einer sich über viele Jahre erstreckenden Straffälligkeit und mehreren erfolglosen Suchttherapien ist von einer erheblichen Rückfallgefahr auszugehen.

2. Ob die Drogensucht oder eine psychische Erkrankung aktuell für die von dem Ausländer ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestimmend ist, ist für die Rechtmäßigkeit der Ausweisung ohne Bedeutung.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Straftat, Wiederholungsgefahr, Ausweisung, gegenwärtige Gefahr der öffentlichen Ordnung, Drogenabhängigkeit, Suizidgefahr, Abschiebung,
Normen: AufenthG § 53 Abs. 2, AufenthG § 54, AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1a, GG Art. 6, EMRK Art. 8, AufenthG § 55 Abs. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Das Vorbringen des Antragstellers, er leide nicht nur unter einer Suchtmittelabhängigkeit, sondern an einer komplexen psychiatrischen Störung, ändert nichts daran, dass von dem von ihm zu erwartenden Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Soweit in der ärztlichen Stellungnahme der Fachklinik E... vom ...2018 ausgeführt ist, ursächlich für den Abbruch der ambulant betreuten Suchtnachsorge in einer Wohngemeinschaft sei "nicht seine Suchterkrankung, sondern seine selbstunsicher-dependent-abhängigen Charakterzüge mit vorherrschender Angst in der neuen Umgebung nicht zu Recht zu kommen und zu vereinsamen" gewesen, belegt dies erneut, dass die von ihm ausgehende Gefahr fortbesteht. Die in dem Zusammenhang aufgestellte Behauptung des Antragstellers, sein (strafrechtliches) Verhalten sei nicht auf seine Suchterkrankung, sondern auf seine psychische Erkrankung zurückzuführen, wird durch die erwähnte Stellungnahme nicht belegt. Welche der Krankheiten aktuell für die weiterhin von dem Antragsteller ausgehende schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestimmend ist, ist letztlich ohne Bedeutung. Die von dem Verhalten des Antragstellers ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird im Übrigen, soweit die psychiatrische Erkrankung eine erfolgreiche Suchtmitteltherapie behindert, eher noch verstärkt. Dass nach wie vor eine erhebliche Rückfallgefahr besteht, zeigt auch der in der Sofortvollzugsanordnung vom 10.1.2018 erwähnte Umstand, dass gegen den Antragsteller erneut ein Ermittlungsverfahren – wegen der Entwendung von Parfums im Wert von 204,98 EUR am ...2017 – eingeleitet wurde. Der Antragsteller kann sich in dem Zusammenhang, da es im Rahmen der Ausweisung um die Prognose seines künftigen Verhaltens geht, nicht mit Erfolg auf die Unschuldsvermutung berufen.

Die Ausweisung des Antragstellers stellt sich auch ansonsten in jeder Hinsicht (vgl. § 53 Abs. 2 AufenthG, Art. 6 GG, Art. 8 EMRK) als verhältnismäßig dar. Dem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse des Antragstellers nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG steht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG gegenüber. Bei der vorzunehmenden Abwägung der entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass die von dem Antragsteller ausgehende Gefahr weiterer Straftaten von höherem Gewicht und seine Ausweisung damit unerlässlich ist. Dem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Antragsteller ist es nicht gelungen, sich in die deutschen Lebensverhältnisse wirtschaftlich und sozial zu integrieren. Im Hinblick auf die familiäre Bindung zu seiner mittlerweile zwölfjährigen Tochter war schon in der Vergangenheit aufgrund der Inhaftierungen und seinen Aufenthalten in Entzugskliniken kein kontinuierlicher Umgang möglich, so dass eine (erneute) zeitlich begrenzte räumliche Trennung im Hinblick auf die Rechte des Antragstellers aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig erscheint. Auch unter Berücksichtigung der von ihm befürchteten Heranziehung zum Wehrdienst spricht nichts mit Gewicht gegen die Annahme, dass ihm ein Leben in der Türkei zumutbar wäre.

Soweit der Antragsteller unter Bezugnahme auf die ärztliche Bescheinigung der Klinik S... vom ...2017 geltend macht, er sei suizidgefährdet, wird darin unterstellt, dass dem Antragsteller in der Türkei eine Haftstrafe wegen Wehrdienstverweigerung droht. Dies lässt die dort bestehende Möglichkeit, sich vom Wehrdienst freizukaufen, unberücksichtigt. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sogar eine bestehende Suizidgefahr einer Abschiebung nicht zwangsläufig entgegensteht.(Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, 241) Vielmehr darf eine Abschiebung auch in einem solchen Fall – aber nur dann - erfolgen, wenn durch entsprechende Sicherungsvorkehrungen gewährleistet ist, dass sich diese Gefahr während des Abschiebungsvorgangs nicht realisieren kann. Daher hat der Antragsgegner die nach der ständigen Senatsrechtsprechung(Vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 19.2.2015 - 2 B 400/14 -, vom 14.9.2010 - 2 B 210/10 -, NVwZ-RR 2011, 38 LS, und vom 22.10.2009 - 2 B 445/09 -, NVwZ-RR 2010, 290 LS) bei einer Suizidgefährdung erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, also die Überprüfung der Reisefähigkeit durch einen Arzt, eine ärztliche Begleitung während der Abschiebung, die Mitgabe eines Vorrats von erforderlichen Medikamenten und die Inempfangnahme des Kranken am Flughafen des Zielstaates durch einen Arzt sicherzustellen, der über die eventuell erforderliche weitere Behandlung entscheidet. Dass der Antragsgegner die erwähnten Schutzmaßnahmen nicht ergreifen wird, ist - auch mit Blick auf die darauf abzielende Erklärung in der Antragserwiderung vom 1.2.2018 - nicht ersichtlich. Soweit in der erwähnten Stellungnahme der Fachklinik E... ausgeführt ist, es stehe zu befürchten, dass das "komplexe Störungsbild aus Suchterkrankung und komorbiden psychiatrischen Störungen" nicht adäquat im Ausland weiterbehandelt werden könne, handelt es sich um eine bloße Spekulation. Dem steht die Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entgegen, wonach psychiatrische Erkrankungen in der Türkei - auch in Fachkliniken – grundsätzlich behandelbar sind.(Vgl. den Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2017) vom 19.2.2017, S. 27 f.). [...]