VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Beschluss vom 13.02.2018 - 5 L 712/17.A - asyl.net: M26052
https://www.asyl.net/rsdb/M26052
Leitsatz:

Es spricht Einiges dafür, dass der im gerichtlichen Eilverfahren über § 71a Abs. 4 AsylG anzuwendende Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG keine Anwendung findet, wenn bereits zweifelhaft ist, ob es sich bei dem Asylantrag des Antragsteller um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG handelt (im Ergebnis offen gelassen).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Zweitantrag, Suspensiveffekt, verschärfter Prüfungsmaßstab, erstliche Zweifel,
Normen: AsylLG 71a Abs. 4, AsylG § 34 Abs. 1, AsylG § 36 Abs. 1, AsylLG 71a,
Auszüge:

[...]

4 Unter Berücksichtigung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisse erweist es sich derzeit als offen, ob die auf § 71a Abs. 4 des Asylgesetzes (AsylG) i.V.m. §§ 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG und § 59 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gestützte Abschiebungsandrohung im Hauptsacheverfahren Bestand haben wird. Dies würde tatbestandlich jedenfalls voraussetzen, dass ein Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG vorliegt. Um einen solchen handelt es sich nach dem Wortlaut der Vorschrift nur dann, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Von einem im Sinne des § 71a AsylG erfolglosen Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens kann dabei nur ausgegangen werden, wenn der Asylantrag entweder in der Sache unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig, das heißt ohne die Möglichkeit der Wiedereröffnung des Verfahrens, eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 29 ff.). Der erfolglose Abschluss darf zudem nicht lediglich gemutmaßt werden, sondern ist anhand der entsprechenden Rechtslage des Mitgliedstaates festzustellen (vgl. VG München, Beschluss vom 3. Januar 2017 - M 23 S 16.34080 -, juris Rn. 19 m.w.N.). [...]

8 [...] Ist mithin im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren offen, ob es sich bei dem Asylantrag des Antragstellers tatsächlich um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG handelt oder nicht, so stellt sich auch ein Erfolg der von dem Antragsteller in der Hauptsache erhobenen Klage als offen und nicht etwa als überwiegend wahrscheinlich dar. [...]

11 Geht das Bundesamt von einem Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG aus und lehnt den Asylantrag eines Antragstellers mangels Wiederaufnahmegründen nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ab, findet gemäß § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG indes grundsätzlich ein verschärfter Prüfungsmaßstab Anwendung. Danach darf das Gericht die Aussetzung der Abschiebung im einstweiligen Rechtsschutz nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angefochtene Maßnahme einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 -, juris Rn. 99). Es reicht mithin nicht aus, dass – wie es nach dem oben Gesagten vorliegend der Fall ist – überhaupt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen, die Rechtswidrigkeit der Maßnahme also mindestens genauso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich ist (vgl. Pietzsch, in: BeckOK, AuslR, Stand: 1. August 2017, § 36 AsylG, Rn. 37).

12 In Fällen eines Folgeantrages – nichts anderes gilt für den Zweitantrag – ist die mit der Anwendung des Maßstabes ernstlicher Zweifel verbundene verfahrensrechtliche Schlechterstellung des Antragstellers allerdings dadurch gerechtfertigt, dass der Antragsteller bereits im Erstverfahren Gelegenheit hatte, seine Verfolgungsgeschichte einer vertieften, ggf. auch gerichtlichen Prüfung unterziehen zu lassen (vgl. für den Folgeantrag: BVerfG, Beschluss vom 16. März 1999 - 2 BvR 2131/95 -, juris Rn. 22; VG Cottbus, Beschluss vom 12. März 2012 - 7 L 362/11.A -, juris Rn. 6). Vor diesem Hintergrund erscheint zweifelhaft, ob der verschärfte Maßstab auch in denjenigen Fällen Anwendung finden kann, in denen – wie hier – bereits das Vorliegen eines Zweitantrages im Sinne des § 71a AsylG zweifelhaft ist, zumal dies zur Folge hätte, dass die Rechtsfolge des § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG schon bei der Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift greifen würde (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 2. März 2017 - 3 B 1600/17 -, juris Rn. 19; VG Cottbus, Beschluss vom 12. März 2012 - 7 L 362/11.A -, juris Rn. 6) und es insoweit das Bundesamt in der Hand hätte, durch eine – ggf. leichtfertige – Anwendung des § 71a AsylG den Prüfungsmaßstab für das gerichtliche Eilverfahren zu verschärfen. [...]