OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 12.01.2018 - 3 B 325/17 - asyl.net: M26091
https://www.asyl.net/rsdb/M26091
Leitsatz:

Eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehefrau nach Trennung wegen häuslicher Gewalt:

1. Auch eine Frau, die nicht selbst die die eheliche Lebensgemeinschaft beendet hat, kann sich darauf berufen, dass das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft für sie objektiv unzumutbar ist. Die Frage, von wem die Trennung ausging, ist nur im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände als Indiz heranzuziehen.

2. Das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft ist im Falle häuslicher Gewalt unzumutbar und würde eine besondere Härte bedeuten, so dass schon vor Ablauf der Dreijahresfrist ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt wird. Eine besondere Härte i.S.v. § 31 Abs. 2 Satz 2 3. Alt. AufenthG setzt voraus, dass der Ehepartner Opfer von Übergriffen geworden ist, die zu nicht unerheblichen Beeinträchtigungen seiner Gesundheit, seiner körperlichen oder psychischen Integrität oder seiner Bewegungsfreiheit geführt haben. Diese Übergriffe müssen auf Seiten des Opfers der häuslichen Gewalt zu einer Situation führen, die maßgeblich durch Angst vor psychischer oder physischer Gewalt bestimmt ist die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar erscheinen lässt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: eheliche Lebensgemeinschaft, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Zumutbarkeit, Unzumutbarkeit, besondere Härte, häusliche Gewalt, Gewalt,
Normen: AufenthG § 31 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 31,
Auszüge:

[...]

(1) Allerdings teilt der Senat nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich die Antragstellerin schon deshalb nicht auf die Unzumutbarkeit der ehelichen Lebensgemeinschaft berufen konnte, weil sie diese Lebensgemeinschaft nicht selbst beendet hatte. Vielmehr dürfte es nach der im vorliegenden Verfahren ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ausreichend sein, wenn objektiv eine erhebliche Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange vorliegt. Die Antwort auf die Frage, wer die eheliche Lebensgemeinschaft beendet hat, dürfte daher nur im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände als Indiz dafür heranzuziehen sein, ob der Antragstellerin die Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar war oder nicht (BayVGH, Beschl. v. 13. Februar 2017 - 10 CS 16.2512 u.a. -, juris Rn. 7 m.w.N.; Göbel-Zimmermann/Eichhorn, a.a.O. Rn. 16 m.w.N.; Marx, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Loseblattsammlung Stand: Juni 2017, § 31 Rn. 70 ff. m.w.N.).

Denn der Umstand, dass nicht die eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis begehrende Ausländerin, sondern ihr Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft beendet, kann auf den unterschiedlichsten Gründen beruhen, so dass sich aus der Initiative für die Trennung nicht unbedingt ein sicherer Beleg dafür ergibt, dass nur der Initiator der Trennung das weitere Zusammenleben für unzumutbar hält. Eine - wie vom Verwaltungsgericht favorisiert - regelmäßige Verneinung eines Härtefalls dann, wenn der Ehegatte die Initiative zur Trennung ergreift, würde den unterschiedlichen Fallgestaltungen nicht gerecht werden. Zudem reicht es nach dem Wortlaut von § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG aus, dass objektiv die Umstände für die Unzumutbarkeit einer weiteren ehelichen Lebensgemeinschaft gegeben sind. Daher ist das nach außen dokumentierte Verhalten der Antragstellerin gegenüber ihrem Ehegatten im Rahmen einer Gesamtbewertung aller Umstände zu würdigen. [...]

Dies ergibt sich auf Folgendem: § 31 Abs. 2 AufenthG verlangt zur vorzeitigen Einräumung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts das Vorliegen einer besonderen Härte im Hinblick auf die Zumutbarkeit des weiteren Festhaltens an der ehelichen Lebensgemeinschaft. Dies setzt voraus, dass der Ehepartner Opfer von Übergriffen geworden ist, die zu nicht unerheblichen Beeinträchtigungen seiner Gesundheit, seiner körperlichen oder psychischen Integrität oder seiner Bewegungsfreiheit geführt haben. Zu verlangen sind zumindest solche Eingriffe des Ehepartners, die auf Seiten des Opfers zu einer Situation führen, die maßgeblich durch Angst vor psychischer oder physischer Gewalt geprägt ist und die deshalb die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft als unzumutbar erscheinen lässt (Göbel-Zimmermann/Eichhorn, a.a.O. Rn. 14 m.w.N.; Marx, a.a.O. Rn. 69 mit Beispielsfällen). Die Unzumutbarkeit, die eheliche Lebensgemeinschaft fortzuführen, ist jedenfalls dann, wenn es durch den einzelnen Vorfall nicht bereits zu gravierenden Beeinträchtigungen gekommen ist, aufgrund einer wertenden Gesamtschau zu beurteilen. Hierbei kann es eine Rolle spielen, innerhalb welchen Zeitrahmens und aus welchen Gründen es zu wiederholten Vorfällen gekommen ist (OVG Hamburg, Beschl. v. 16. November 2017 - 1 Bs 230/17 -, juris Rn. 23 m.w.N., wohl bejahend bei zwei Vorfällen innerhalb von nicht einmal drei Monaten). [...]