LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.01.2018 - L 4 KR 147/14 - asyl.net: M26098
https://www.asyl.net/rsdb/M26098
Leitsatz:

Kein Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherkosten für medizinische Behandlung durch die gesetzliche Krankenkasse.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Übersetzung, Dolmetscher, Krankenversicherung, medizinische Behandlung,
Normen: SGB V § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, SGB V § 28 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Das SGB V enthält weder eine ausdrückliche Regelung über die Gestellung eines Sprachdolmetschers bei ärztlichen Untersuchungen noch ermächtigt das Gesetz, eine derartige Leistung durch Rechtsverordnung oder Satzung vorzusehen. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch kann nicht aus § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V hergeleitet werden. Die Norm spricht von der "ärztlichen Behandlung" und der "Tätigkeit des Arztes". Darunter fallen alle Maßnahmen, die der Arzt selbst durchführt, nicht aber die Tätigkeit von Hilfspersonen. Soweit der Arzt die Hilfeleistung anderer Personen in Anspruch nimmt, kann dies auf Kosten der GKV nur geschehen, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V erfüllt sind. Danach gehört zur ärztlichen Behandlung die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet oder von ihm zu verantworten ist. Aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V und dem Sinnzusammenhang mit der Regelung in § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergibt sich, dass die Hilfeleistung eine Tätigkeit sein muss, die der ärztlichen Berufsausübung zuzurechnen ist. Hierzu können jedoch nur Tätigkeiten gerechnet werden, die den Zielen einer Krankenbehandlung dienen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V verantworten kann. Erfasst § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V demnach nur Tätigkeiten, die ihrer Natur nach unmittelbar zur ärztlichen Behandlung zählen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens verantworten, d.h. überwachen und leiten kann, so darf das Tätigwerden von Personen, die für ihre Berufsausübung ein ganz anderes Fachwissen benötigen, nicht als eine zur ärztlichen Behandlung gehörende Hilfeleistung gerechnet werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Tätigkeit dieser Personen im weiteren Sinne der ärztlichen Behandlung dient oder ob sie für die ärztliche Behandlung als notwendig angesehen werden kann. Nichts anderes gilt für Dolmetscher. Ihre Tätigkeit ist nicht Teil der ärztlichen Behandlung, weil der Arzt sie aufgrund seines ärztlichen Fachwissens weder leiten noch kontrollieren und somit auch nicht verantworten kann.

Wie bereits das SG zutreffend unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 10. Mai 1995 (1 RK 20/94; vgl. aber auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31. August 2006, L 7 VG 9/05) festgestellt hat, besteht insoweit auch keine (planwidrige) Gesetzeslücke, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden kann. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat. Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben. Dass die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die Krankenbehandlung beispielsweise eines Ausländers gelegentlich notwendig oder zumindest dienlich sein kann, ist den für die Gesetzgebung Verantwortlichen vor Inkrafttreten des Gesetzes bekannt gewesen. Ebenso wenig kann unterstellt werden, der Gesetzgeber habe der Rechtsprechung die Lösung des Problems überlassen wollen. Hierfür ergeben sich - wie bereits das SG zutreffend festgestellt hat - aus den Gesetzesmaterialien keine Hinweise. [...]