VG Kassel

Merkliste
Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 27.12.2017 - 1 K 1933/16.KS - Asylmagazin 5/2018, S. 187 f. - asyl.net: M26142
https://www.asyl.net/rsdb/M26142
Leitsatz:

Rechtmäßiges Hausverbot für Sprachmittler in Erstaufnahmeeinrichtung:

1. Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende sind nicht allgemein zugängliche öffentliche Einrichtungen, da die Grundrechte der Bewohner/innen geschützt werden müssen.

2. Das Hausverbot für einen Sprachmittler, dessen Beschäftigungsverhältnis wegen Kompetenzüberschreitung (Einmischung in das Privatleben der Bewohner/innen) beendet wurde, ist rechtmäßig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Hausverbot, Gemeinschaftsunterkunft, Aufnahmeeinrichtung, Dolmetscher, Sprachmittler, Prozesskostenhilfe, Zugang, Erstaufnahmeeinrichtung,
Normen: AsylG § 44 Abs. 1, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 1 Abs. 1, GG Art. 13 Abs. 1, AsylG § 44,
Auszüge:

[...]

Auch materiell ist das Hausverbot des Beklagten rechtmäßig ergangen. Rechtsgrundlage für ein Hausverbot ist die Sachkompetenz der jeweiligen Behörde als Inhaberin des Hausrechts zur Erfüllung der übertragenen Verwaltungsaufgaben. Das Hausrecht ist notwendiger Annex dieser Sachkompetenz. Der Träger öffentlicher Gewalt, der die Erfüllung einer bestimmten Sachaufgabe im Rahmen der öffentlichen Verwaltung zugewiesen erhält, muss und kann selbst bestimmen, wem der Zutritt zum räumlichen Bereich zu gestatten und wem der Zutritt zu versagen ist, wenn eine ordnungsgemäße Tätigkeit im Rahmen des Widmungszwecks gefährdet oder gestört wird (einhellige Auffassung, vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 15 B 69/14 -, juris m.w.N.).

Die Voraussetzungen für ein Hausverbot lagen vor. Der Widmungszweck der Erstaufnahmeeinrichtungen bestand darin, den dort untergebrachten Asylantragstellern für die Dauer des Asylverfahrens bzw. Teilen davon eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten. Hieraus folgt, dass das Betreten der Unterkünfte auch nur den dort untergebrachten Asylbewerbern gestattet war sowie solchen Personen, denen von Seiten der Behörde der Zutritt ausdrücklich erlaubt worden war.

Bei einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge handelt es sich insbesondere nicht um eine allgemein zugängliche öffentliche Einrichtung. Es besteht kein allgemeines Zutrittsrecht. Dies folgt aus § 44 Abs. 1 AsylG, der seinem Sinn und Zweck nach nicht nur die bloße Vorhaltung von Aufnahmeeinrichtungen umfasst, sondern die Länder auch dazu verpflichtet, diese derart auszugestalten, dass die Rechte der Flüchtlinge gewahrt werden. Diesen steht während ihres Asylverfahrens ein Anspruch auf Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG zu, außerdem fallen die Unterkünfte unter den Schutzbereich des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 Abs. 1 GG, denn hierfür es ist ausreichend, dass ein Raum vorübergehend als Rückzugsraum dient (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2005 - 1 StR 140/05 -, BGHSt 50, 206) was typischerweise bei einer Erstaufnahmeeinrichtung, von der aus die Flüchtlinge weiter verteilt werden, der Fall ist. Aus diesen Vorschriften folgen Schutzverpflichtungen gegenüber den Bewohnern der Aufnahmeeinrichtung und deren Persönlichkeitsrechten (so auch Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 31. März 2016 - 3/15 -, juris).

Hieraus folgend durfte der Beklagte dem Kläger bereits deshalb ein Hausverbot erteilen, weil der Kläger nicht (mehr) zu dem zutrittsberechtigten Personenkreis gehörte. Zutrittsberechtigt war der Kläger nur solange, als ihm bzw. dem Dolmetscherbüro, für das er tätig war, eine individuelle oder allgemeine Betretenserlaubnis erteilt wurde. Im Falle des Klägers wurden die Dienste des Klägers nicht mehr angefordert mit der logischen Konsequenz, dass er auch die Aufnahmeeinrichtungen nicht mehr betreten durfte. Es stand dem Regierungspräsidium jederzeit frei, zu entscheiden, welche Dolmetscher beauftragt wurden und welche nicht. Ein Anspruch auf Beschäftigung bestand von Seiten des Klägers nicht.

Darüber hinaus lagen aber auch, ohne dass dies erforderlich gewesen wäre, Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger nicht dazu geeignet war, in den Erstaufnahmeeinrichtungen Sprachmittlerdienste für Flüchtlinge durchzuführen. [...]

Der Beklagte war als Ausfluss von § 44 AsylG und der Grundrechte der Flüchtlinge zum Einschreiten zum Zwecke der Gefahrenabwehr verpflichtet (Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.). [...]

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass Sprachmittler ein großes Vertrauen genießen, da sie im direkten Kontakt zu den Flüchtlingen stehen. Es ist besonders bedeutsam, dass diese Personen vertrauenswürdig sind und ihre Tätigkeit gewissenhaft ausüben, da sie die einzige Möglichkeit für die deutschunkundigen Flüchtlinge sind, sich zu verständigen. Gleichzeitig kann die Übersetzung nicht überprüft werden, denn die Hinzuziehung mehrerer Sprachmittler bei jeder Übersetzung würde einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten. Wichtig ist, dass ein großes Vertrauen in die Person des Sprachmittlers gesetzt werden kann. Hieran bestanden hinsichtlich des Klägers erhebliche, begründete Zweifel.

Es ist auch kein Vertrauensschutz dahingehend zu erkennen, dass der Zutritt zunächst gewährt und dann wieder entzogen wurde. Denn die Erteilung des Zutrittsrechts erfolgte aufgrund des plötzlichen, hohen Bedarfs an Sprachmittlern zunächst ohne Sicherheitsüberprüfung. Der Kläger wusste dies auch. [...]

Die Erteilung des Hausverbots war auch verhältnismäßig. Legitimer Zweck war die Gefahrenabwehr und die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Beklagten. Das Hausverbot gegenüber dem Beklagten war auch geeignet, um diesen Zweck zu erreichen. Indem er die Einrichtungen nicht mehr betreten durfte, wurde der Zweck gefördert.

Das Hausverbot war auch erforderlich, denn ein milderes, gleich wirksames Mittel war nicht ersichtlich. Eine partielle Zugangsbeschränkung in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht hätte immer noch zur Folge gehabt, dass der Kläger mit Flüchtlingen in persönlichen Kontakt hätte treten können. Auch eine Überwachung des Klägers kam nicht in Betracht, denn er wurde gerade deshalb zu Sprachmittlerdiensten eingesetzt, um sich in Fremdsprachen mit den Flüchtlingen zu unterhalten.

Schließlich war die Erteilung des Hausverbots auch angemessen. Gegenüber dem individuellen Interesse des Klägers an der Ausübung der Sprachmittlerdienste in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Beklagten überwog das Interesse des Beklagten an effektiver Gefahrenabwehr. Denn zu schützen waren die Asylbewerber, die sich in der Erstaufnahmeeinrichtung aufhalten mussten und sich dem Einfluss des Klägers nicht entziehen konnten. Im Gegenteil waren sie sogar auf ihn angewiesen, um sich zu verständigen. Demgegenüber konnte der Kläger seine Sprachmittlerdienste überall anbieten. Es blieb dem Kläger unbenommen, weiterhin außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen des Beklagten tätig zu sein. [...]