Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 für eine Familie mit drei minderjährigen Kindern, die ihre frühere Existenzgrundlage verloren und keinen finanziell starken familiären Rückhalt mehr in Afghanistan hat.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
1. Den Klägern steht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) gegen die Beklagte ein Anspruch auf Feststellung zu, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Afghanistans vorliegen. [...]
Die Kammer nimmt den Klägern aufgrund der übereinstimmenden und in sich schlüssigen Darstellungen der Kläger zu 1. und 2. in der mündlichen Verhandlung ab, dass sie bei einer Rückkehr nach Kabul - beide Kläger sind hier geboren - nicht auf eine Aufnahme in ein existentes familiäres Netzwerk, noch auf sonstige Kontakte vertrauen, um dort wieder Fuß fassen zu können, ohne erheblichen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Freiheit - insbesondere auch der Klägerinnen zu 3. und 4. sowie des Klägers zu 5. - ausgesetzt zu werden. Der Kläger zu 1. verfügt nach seinem glaubhaften Vortrag in der mündlichen Verhandlung mittlerweile bis auf eine Schwester, die in Kabul verheiratet ist, sechs Kinder hat und deren Mann arbeitslos ist, über keinerlei Angehörige mehr in Afghanistan, da diese zwischenzeitlich alle in den Iran geflohen seien. [...]
Weiterhin würden nach dem Vortrag des Klägers zu 1. die ehemals in Kabul von ihm gemeinsam mit einem Partner betriebenen zwei Juweliergeschäfte zwischenzeitlich nicht mehr bestehen, so dass ihm, der lediglich sechs Jahre die Grundschule besucht habe, die Existenzgrundlage entzogen worden sei und es ihm nicht möglich sei, die erforderlichen Mittel für ein auskömmliches Leben in seinem Heimatland zu erwirtschaften. Zudem soll nach seinem glaubhaften Vortrag in der Vergangenheit auch kein Geld aus diesen Geschäften zu ihm und seiner Familie nach Deutschland geflossen sein. Die Klägerin zu 2., die aufgrund der familiären Situation als Hausfrau tätig gewesen sei und sich ausschließlich um die drei minderjährigen Kinder kümmere, kann zum Lebensunterhalt für die Familie ebenfalls nichts beitragen. Angesichts der sich zuspitzenden Entwicklung durch Binnenflüchtlinge und die mehr als 2,5 Millionen demnächst zu erwartenden unfreiwilligen Rückkehrer vor allem aus Pakistan und Iran (vgl. hierzu u.a. FAZ vom 07. Februar 2017, Nr. 32 "Sicherheit ist ein dehnbarer Begriff" und vom 14. Februar 2017 Nr. 38 "Massenexodus", können die Kläger als Familie mit mehreren kleineren Kindern - deren Situation sich signifikant von anderen Rückkehrern, etwa ledigen jungen Männern unterscheidet - wegen der Besonderheiten des Einzelfalles auch nicht darauf verwiesen werden, im Großraum Kabul Aufenthalt zu nehmen, um einer ausweglosen Situation zu entgehen. [...]