OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 26.03.2018 - 2 Ws 97/18 - asyl.net: M26192
https://www.asyl.net/rsdb/M26192
Leitsatz:

1. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine im EU-Ausland verurteilte Person in der Bundesrepublik Deutschland rechtmäßig auf Dauer ihren gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 84a Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG hat.

2. Liegt kein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt i.S. des § 84a Abs. 1 Nr. 3a IRG vor und ist der Verurteilte zudem kein deutscher Staatsangehöriger, so ist ein Vollstreckungsübernahmeersuchen durch die Staatsanwalt­schaft zwingend abzulehnen, ohne dass ein Ermessen auszuüben wäre.

3. Bestehen Zweifel daran, dass die Bescheinigung nach Art. 4 RB-Freiheitsstrafen von einer zuständigen Behörde des jeweiligen Mitgliedsstaates erstellt wurde, ist eine Einholung ergänzender Auskünfte im Rahmen des Beschwerdeverfahrens durch das Beschwerdegericht gem. § 84f Abs. 4 IRG nicht veranlasst. Der Bewilligungsentscheidung der Staatsanwaltschaft fehlt in diesen Fällen vollständig die Grundlage, so dass sie aufzuheben ist.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Strafvollstreckung, Unionsbürger, gewöhnlicher Aufenthalt, Aufenthaltsdauer, Integration, Wiedereingliederung, Resozialisierung, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen,
Normen: IRG § 84a Abs. 1 Nr. 3a,
Auszüge:

[...]

13-14 Zutreffend hat die Staatsanwaltschaft Lüneburg in ihrem Bescheid vom 09.09.2016 darauf abgestellt, dass die Voraussetzungen von § 84a Abs. 1 Nr. 3a IRG nicht gegeben sind, so dass die Vollstreckung der in Lettland gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe aus zwingenden Gründen abzulehnen war, ohne überhaupt eine Ermessensüberprüfung gem. § 84d IRG vorzunehmen.

15 Da der Verurteilte nicht die deutsche, sondern ausschließlich die lettische Staatsangehörigkeit besitzt, ist allein maßgeblich, ob der Verurteilte "in der Bundesrepublik Deutschland rechtmäßig auf Dauer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat."

16 Insoweit weist die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass die §§ 84ff IRG rahmenbeschlusskonform auszulegen sind (EuGH, Urteil vom 08. November 2016 - C-554/14 -, juris) und der Rahmenbeschluss selbst maßgeblich vom Resozialisierungsgedanken geprägt ist. Zweck des Rahmenbeschlusses ist nach dessen Art. 3 Abs.1 die Erleichterung der sozialen Wiedereingliederung der verurteilten Person. Der deutsche Gesetzgeber hat ausländische Staatsangehörige den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt, sofern sie durch ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und der damit verbundenen Integration in die deutsche Gesellschaft eine ähnliche Bindung zur Bundesrepublik Deutschland aufweisen wie deutsche Staatsangehörige durch ihre Staatsangehörigkeit (BT-Drs. 18/4347, S.37, 110). Ob eine solche Integration und damit bessere Resozialisierungschancen gegeben sind, ist anhand einer Gesamtschau der die Situation des Verurteilten kennzeichnenden Umstände, zu denen insbesondere die Dauer, die Art und die Bedingungen des Verweilens sowie seine familiären und wirtschaftlichen Verbindungen zum Vollstreckungsstaat gehören, zu ermitteln (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 10.06.2016, 1 Ws 64/16).

17 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Verurteilte vorliegend keineswegs seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 84a Abs. 1 Nr. 3a IRG in der Bundesrepublik Deutschland. Unabhängig von der Frage, ob insoweit auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Vollstreckung des ausländischen Erkenntnisses abzustellen ist oder auf den Zeitpunkt unmittelbar vor der Inhaftierung des Verurteilten (vgl. hierzu: Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 10. Juni 2016 - 1 Ws 64/16 -, juris) sind die Voraussetzungen von § 84a Abs. 1 Nr. 3a IRG nicht erfüllt.

18 Der Verurteilte hatte bereits im Zeitpunkt seiner Festnahme am 27.12.2014 in B. seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Nach Mitteilung der Ausländerbehörde des Landkreises ... vom … 2015 ist der Verurteilte erst am 01.03.2014, mithin lediglich knapp 10 Monate vor seiner Festnahme, nach Deutschland eingereist und hat lediglich vom 14.07.2014 bis zu seiner Kündigung vom 09.10.2014 eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Es liegt auf der Hand, dass der Verurteilte in diesem kurzen Zeitraum keine enge sprachliche, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Bindung zur Bundesrepublik Deutschland aufgebaut haben kann.

19 Soweit der Verurteilte geltend macht, bereits seit November 2012 beständig gemeinsam mit seiner Familie in Deutschland gelebt zu haben, lässt sich der angegebene frühere Aufenthalt in Deutschland nicht verifizieren. Vielmehr ergibt sich aus dem Protokoll seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Bremen vom 28.12.2014, dass der Verurteilte dort angegeben hat, seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder seien erst im Oktober 2013 nach Deutschland gekommen. Zudem ist dort protokolliert, dass der Verurteilte sich ab November 2012 (allein) auch lediglich für sechs Monate in H. aufgehalten haben will, bevor er sich in einen nicht näher zeitlich dargelegten Urlaub zurück nach Lettland begeben habe. [...]