Flüchtlingsanerkennung für einen überzeugten Atheisten aus dem Iran.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Der Kläger ist nach eigenen Angaben vom muslimischen Glauben abgefallen und glaubt an keinen Gott mehr; er ist Atheist geworden. [...]
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung zur vollen Überzeugung des Gerichts die erforderliche objektive und subjektive Schwere einer ihm im Fall einer Rückkehr in den Iran drohenden Verletzung des ihm zustehenden Rechts auf Religionsfreiheit dargelegt. Im Falle einer Rückkehr in den Iran besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger den vom ihm gewählten Glauben nicht in der gewählten Form ausüben kann, ohne schwerwiegenden Übergriffen von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgesetzt zu sein. Die im Iran herrschende und Auffassung, bei einem Abfall vom islamischen Glauben liege der Tatbestand der Abtrünnigkeit (Abfall) vom Glauben (Apostasie) vor, führt beim Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegt.
Im Iran ist der - schiitische - Islam Staatsreligion. 98 % der iranischen Bevölkerung sind muslimischen Glaubens. Es steht nach der Verfassung der Republik Iran einem muslimischen Bürger nicht das Recht zu, sich seinen Glauben auszusuchen, zu wechseln oder aufzugeben. Da bereits das Kind eines muslimischen Mannes mit der Geburt zum Moslem wird, ist eine freie Entscheidung über die Religionszugehörigkeit nur eingeschränkt bzw. nicht möglich. Hinzu kommt, dass der Wechsel (Konversion) zu einem anderen Glauben auch zum Atheismus als Abfall (Abtrünnigkeit) vom Islam angesehen wird (Apostasie). Das Strafrecht der Republik Iran stellt zwar die Konversion nicht unter Strafe, jedoch können Richter diesen Wechsel nach der Scharia, die ebenfalls angewandt werden kann, mit der Todesstrafe belegen (Bericht des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Iran, 31.3.2016, (im folgenden BFA), S. 46 ff. m.w.N.).
Dabei wird der Wechsel des Glaubens vom Islam heute meist nicht unter dem Tatbestand der Apostasie gewürdigt, sondern die Betroffenen werden wegen der Bedrohung der nationalen Sicherheit oder Spionage, einschließlich der Verbindungen zu ausländischen Organisationen und Feinden des Islams verhaftet und verurteilt. Weitere Anklagetatbestände gegen Konvertiten sind die "Bildung einer illegalen Gruppierung" sowie "Handlungen gegen die nationale Sicherheit durch illegale Versammlungen" (ausführliche Beschreibung dieser Praxis in BFA, S. 52 f m.w.N. auf andere Berichte). Dies gilt auch für zum Atheismus konvertierte Moslems, denn diese "verleugnen" nach Ansicht des Islams Gott. Häufig werden der Vorwurf der "Waffenaufnahme gegen Gott" ("moharebeh") oder der "Verdorbenheit auf Erden" ("mofsid-filarz/fisad-al-arz") erhoben (BFA, S. 50). 2015 wurde niemand im Iran wegen Apostasie zum Tode verurteilt, es kann jedoch eine Verurteilung wegen "moharebeh" drohen (BFA, S. 50 f.). Der Abfall vom Glauben wird zudem häufig vom nachbarschaftlichen Umfeld oder der Familie nicht geduldet und sanktioniert; sei es durch Ausgrenzung oder Gewalttaten. Konvertiten, auch jene die zum "Nichtglauben" konvertiert sind, verhalten sich aus all diesen Gründen eher zurückhaltend mit der Offenlegung ihres Glaubenswechsels, um Aufmerksamkeit zu vermeiden (BFA, S. 50).
Dem Kläger dürfte mithin bei Offenlegung seines Glaubenswechsels im Iran eine Verfolgung im Sinne des §§ 3 Abs. 1, 3a Abs. 1 AsylG drohen. Dies entweder durch staatliche Behörden, die mit Verhaftung, Folter und Verurteilung reagieren könnten oder im privaten Bereich durch nichtstaatliche Akteure, welche eine Abkehr vom Atheismus - auch - durch gewaltsame Einflussnahme erzwingen möchten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass es zu einer Verhaftung im Iran bereits gekommen sei. [...]
Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger in seinem Herkunftsland ebenfalls nicht zur Verfügung, § 3e AsylG. Die Möglichkeit, im Iran als Atheist seinen "Nicht-Glauben" offen auszuleben, ohne staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein, besteht nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht. Ebenso ist nicht anzunehmen, dass der Kläger Schutz im Iran vor der drohenden Verfolgung erhalten würde, 3d AsylG. [...]