VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 13.04.2018 - 8 K 624/17.A - asyl.net: M26240
https://www.asyl.net/rsdb/M26240
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen Mann aus dem Libanon:

1. Im Libanon sind homosexueller Handlungen zwar strafbar, jedoch werden Freiheitsstrafen nicht verhängt.

2. Selbst bei der Annahme einer möglichen Verfolgung bestünde mit Beirut eine inländische Fluchtalternative, da dort eine weitgehende Toleranz gegenüber Homosexuellen herrscht.

 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Libanon, homosexuell, interne Fluchtalternative, Flüchtlingseigenschaft, nichtstaatliche Verfolgung, Strafverfahren, Strafgesetzbuch, interne Fluchtalternative, Strafrecht, Freiheitsstrafe, Glaubwürdigkeit, Beirut
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, AsylG § 3e Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Zwar existiert im Libanon mit Artikel 534 des Strafgesetzbuches, wonach jeder Geschlechtsverkehr gegen die natürliche Ordnung mit bis zu einem Jahr Haft bedroht ist, eine strafrechtliche Bestimmung, die an eine bestimmte sexuelle Orientierung anknüpft. Allerdings stellt der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, noch keine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 AsylG dar. Dagegen kann eine Freiheitsstrafe, mit der eine Rechtsvorschrift bewehrt ist, eine Verfolgungshandlung darstellen, sofern sie im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 bis 201/12 -, juris, Rn. 55 f.). Ausgehend davon ist eine Verfolgungshandlung vorliegend nicht gegeben.

Den Erkenntnismitteln ist nicht zu entnehmen, dass im Libanon (allein) wegen homosexueller Handlungen Freiheitsstrafen verhängt werden. Zwar soll es gelegentlich – insbesondere in Verbindung mit anderen Delikten (z.B. Prostitution) – zur Verurteilung und Haft von Homosexuellen kommen (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Libanon, Stand: Dezember 2017 [Lagebericht], Seite 15). Es ist allerdings nicht bekannt, dass es in den letzten Jahren zu Inhaftierungen aufgrund der Verletzung des Art. 534 des Strafgesetzbuches kam (sie-he United States Department of State, Lebanon 2016 Human Rights Report, Stand: 3. März 2017, S. 37; Lebanon 2015 Human Rights Report, Stand: 13. April 2016, S. 34; Lebanon 2015 Human Rights Report, Stand: 25. Juni 2015, S. 35; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Leipzig zur Situation der Homosexuellen im Libanon vom 22. August 2013, Antwort 2), wonach es in den vergangenen zwei Jahren zu keinen strafrechtlichen Verurteilungen wegen Homosexualität gekommen sei). Es werden diesbezüglich auch keine polizeilichen Ermittlungen von Amts wegen eingeleitet (siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.; United States Department of State, Lebanon 2016 Human Rights Report, a.a.O., S. 37). Hinzu kommt, dass es gerichtliche Entscheidungen aus 2009, 2014 und 2017 gibt, wonach homosexuelle Handlungen schon nicht dem Anwendungsbereich des Art. 534 unterfallen (siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.). Der Verweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf den Wikipedia-Eintrag zu Homosexualität im Libanon, wonach Artikel 534 des Strafgesetzbuches der Polizei immer noch zur Einschüchterung und zur Registrierung der Betroffenen diene, ist insoweit nicht ergiebig. Zwar geht auch der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes davon aus, dass es bei Personen, die der Homosexualität verdächtig sind, gelegentlich zu Schikanen durch Sicherheitskräfte komme (siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.). Es bestehen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Maßnahmen den Grad einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AsylG erreichen. [...]

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind im Übrigen auch deshalb nicht erfüllt, weil dem Kläger eine inländische Fluchtalternative nach § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung steht. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwarten kann, dass er sich dort niederlässt. In Teilen Beiruts herrscht eine im Vergleich zur sonstigen arabischen Welt relativ weit-gehende Toleranz gegenüber Homosexuellen (siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.; Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade, DFAT Country Information Report Lebanon vom 23. Oktober 2017 [DFAT Country Report], S. 20 Rn. 3.75). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – die Lebensweise des Betroffenen unauffällig ist (vgl. Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade, DFAT Country Report, S. 21 Rn. 378). Vor diesem Hintergrund ist der Kläger jedenfalls in Beirut vor Verfolgung sicher. Es kann auch vernünftigerweise von ihm erwartet werden, dass er sich dort niederlässt. Er hat im Libanon an schweren Baumaschinen gearbeitet und einen Verdienst von jedenfalls ca. 600 bis 700 Dollar im Monat gehabt, so dass davon auszugehen ist, dass er auch in Beirut in der Lage sein wird, eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Mit einem Wohnortwechsel könnte er überdies den geschilderten Problemen mit seinem bisherigen Umfeld entgehen. […]