VG Frankfurt/Oder

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Zitieren als:
VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 06.09.2016 - VG 4 L 451/16.A - asyl.net: M26251
https://www.asyl.net/rsdb/M26251
Leitsatz:

Keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei fehlerhafter Sprachmittlung in der Anhörung:

Eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet wegen Mitwirkungspflichtverletzung ist unrechtmäßig, wenn es der asylsuchenden Person offenkundig nicht möglich war, ihre Mitwirkungspflicht zu erfüllen, weil ihr im Rahmen der Anhörung ein Dolmetscher für eine andere als die von ihr beherrschte Sprache zur Verfügung gestellt wurde. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Sprache um die Amtssprache des Herkunftslands der asylsuchenden Person handelt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Anhörung, Dolmetscher, Sprache, Mitwirkungspflicht, offensichtlich unbegründet, Pakistan, Urdu, Belochi, Verfahrensfehler, Übersetzung, Belutschisch,
Normen: AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 5, AsylG § 13 Abs. 3 S. 2, AsylG § 15 Abs. 2 Nr. 3, § 15 Abs. 2 Nr. 4, § 15 Abs. 2 Nr. 5, AsylG § 25 Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 15 Abs. 3 Bst. c,
Auszüge:

[...]

Gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 AsylG gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich. Davon ausgehend spricht überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin den Asylantrag der Antragstellerin unzutreffend als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.

Dem Antragsteller war es vorliegend offenkundig nicht möglich, seinen Mitwirkungspflichten gerecht zu werden, da ihm im Rahmen seiner Anhörung ein Dolmetscher für die allein von ihm beherrschte Sprache Belochi nicht zur Verfügung gestellt wurde. Die Antragsgegnerin kann sich insoweit nicht auf den Standpunkt stellen, dass der Antragsteller bereits aus dem Grund Urdu sprechen können müsse, weil dies die Amtssprache in Pakistan sei. Denn dies sagt noch nichts darüber aus, ob der einzelne Asylantragsteller diese Sprache auch tatsächlich beherrscht. Sie wäre vielmehr verpflichtet gewesen, den Antragsteller unter Hinzuziehung eines entsprechenden Dolmetschers in einer Sprache anzuhören, in welcher er sich hinreichend verständigen und seine Fluchtgründe vortragen kann. Indem sie dies im Falle des Antragstellers unterließ, hat sie eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Anhörung nicht durchgeführt (vgl. Art. 15 Abs. 3 c) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) und kann sich mithin nicht auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des Antragstellers nicht berufen. Nicht der Antragsteller hat die Anhörung vereitelt, sondern die Antragstellerin hat ihm ein faires Verfahren zur Vorbereitung der Asylentscheidung nicht ermöglicht. [...]