EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 31.05.2018 - C-647/16 Hassan gg. Frankreich - Asylmagazin 7-8/2018, S. 260 ff. - asyl.net: M26279
https://www.asyl.net/rsdb/M26279
Leitsatz:

Dublin-Verfahren muss korrekt eingehalten werden:

Ein Mitgliedstaat, der im Rahmen des Dublin-Verfahrens einen anderen Mitgliedstaat für zuständig hält, darf eine Überstellungsentscheidung nach Art. 26 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung erst dann erlassen, wenn der andere, um Aufnahme ersuchte Mitgliedstaat dem Übernahmeersuchen bereits zugestimmt hat oder die Frist dafür verstrichen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Anmerkung:

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Übernahmeersuchen, Zustimmung, Zustimmungsfiktion, Hassan, Aufnahmeverfahren, Wiederaufnahmeverfahren, Dublin-Bescheid, Überstellung, Überstellungsentscheidung, Grenze, Grenzverfahren, Haft, Dublin-Haft, Überstellungshaft, Frist, effektiver Rechtsschutz,
Normen: VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 24, VO 604/2013 Art. 25, VO 604/2013 Art. 26, VO 604/2013 Art. 27, VO 604/2013 Art. 28, VO 604/2013 Art. 22 Abs. 7, VO 604/2013 Art. 25 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 26 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 21 Abs. 1, Art. VO 604/2013 Art. 23 Abs. 1. VO 604/2013 Art. 24 Abs. 1. VO 604/2013 Art. 22 Abs. 1. VO 604/2013 Art. 25 Abs. 1. GR-Charta Art. 47, VO 604/2013 Art. 27 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 27 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

39 Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 26 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er es dem Mitgliedstaat, der bei einem anderen Mitgliedstaat, den er aufgrund der in der Verordnung festgelegten Kriterien dafür zuständig hält, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung gestellt hat, verwehrt, eine Überstellungsentscheidung zu erlassen und dieser Person zuzustellen, bevor der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. [...]

42 Somit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung – und zwar in fast allen seinen Sprachfassungen, wie der Generalanwalt in Nr. 35 seiner Schlussanträge ebenfalls ausgeführt hat –, dass eine Überstellungsentscheidung dem Betroffenen erst zugestellt werden darf, wenn – und daher nachdem – der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme stattgegeben hat oder gegebenenfalls die Fristen abgelaufen sind, innerhalb der der ersuchte Mitgliedstaat auf das Gesuch zu antworten hat, wobei im Fall der Nichterteilung einer Antwort nach Art. 22 Abs. 7 und Art. 25 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung davon auszugehen ist, dass dem Gesuch stattgegeben wird.

43 Der Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung zeigt also, dass der Unionsgesetzgeber eine genaue Verfahrensabfolge zwischen der Stattgabe des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme durch den ersuchten Mitgliedstaat und der Zustellung der Überstellungsentscheidung an die betreffende Person festgelegt hat.

44 Was sodann die Entstehungsgeschichte von Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung anbelangt, ist entsprechend den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 36 seiner Schlussanträge festzustellen, dass im Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (KOM[2008] 820 endgültig), der die Neufassung der Verordnung Nr. 343/2003 betraf und zum Erlass der Dublin-III-Verordnung geführt hat, erwähnt wurde, dass es notwendig sei, das Verfahren der Zustellung der Überstellungsentscheidung an den Betroffenen klarer zu fassen, um einen effizienteren Rechtsschutz zu ermöglichen. [...]

46 Daher ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung in Verbindung mit seiner Entstehungsgeschichte, dass eine Überstellungsentscheidung dem Betroffenen erst zugestellt werden darf, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat seiner Aufnahme oder Wiederaufnahme stillschweigend oder ausdrücklich zugestimmt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, A. S., C-490/16, EU:C:2017:585, Rn. 33).

47 Die Systematik der Dublin-III-Verordnung bestätigt diese Auslegung. [...]

49 Diese Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren müssen zwingend im Einklang mit den Regeln durchgeführt werden, die insbesondere in dem genannten Kapitel VI stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C-670/16, EU:C:2017:587, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50 So ergibt sich aus den das Aufnahme- und das Wiederaufnahmeverfahren betreffenden Abschnitten II und III des Kapitels VI der Dublin-III-Verordnung, dass im ersten Schritt der ersuchende Mitgliedstaat je nach Fallgestaltung gemäß Art. 21 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 der Verordnung einen anderen Mitgliedstaat ersuchen kann, die betreffende Person aufzunehmen bzw. wieder aufzunehmen.

51 Im zweiten Schritt hat der ersuchte Mitgliedstaat je nach Fallgestaltung gemäß Art. 22 Abs. 1 bzw. Art. 25 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung die erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob er im Hinblick auf die in Kapitel III der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, und folglich in den von diesen Vorschriften vorgesehenen Fristen über das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme zu entscheiden.

52 Daher kann der ersuchte Mitgliedstaat erst nach Vornahme dieser Überprüfungen über das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme entscheiden und dem ersuchenden Mitgliedstaat antworten. Insoweit gilt eine zustimmende Antwort als grundsätzliches Einverständnis zur Überstellung des Betroffenen, und diesem Einverständnis folgt im Allgemeinen der Vollzug der Überstellung im Einklang mit den Bestimmungen von Art. 29 der Dublin-III-Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, A. S., C-490/16, EU:C:2017:585, Rn. 50).

53 Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung, der zusammen mit dem die Rechtsmittel betreffenden Art. 27 der Verordnung im Abschnitt IV ("Verfahrensgarantien") des Kapitels VI der Verordnung steht, soll somit durch die Verpflichtung des ersuchenden Mitgliedstaats zur Zustellung der Überstellungsentscheidung an die betroffene Person den Schutz der Rechte dieser Person dadurch stärken, dass er sicherstellt, dass ihr in dem Fall, dass die am Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren beteiligten Mitgliedstaaten eine grundsätzliche Einigung über die Überstellung erreicht haben, die gesamte Begründung dieser Entscheidung mitgeteilt wird, damit sie sie gegebenenfalls beim zuständigen Gericht anfechten und die Aussetzung ihres Vollzugs beantragen kann.

54 Die Systematik der Dublin-III-Verordnung spricht daher ebenfalls für eine Auslegung ihres Art. 26 Abs. 1 dahin gehend, dass eine Überstellungsentscheidung dem Betroffenen erst zugestellt werden darf, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme- oder Wiederaufnahme dieser Person zugestimmt hat.

55 Entgegen der von der Europäischen Kommission offenbar vertretenen Ansicht gilt das Gleiche für das Ziel der Dublin-III-Verordnung.

56 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass mit der Dublin-III-Verordnung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine klare und praktikable Formel geschaffen werden soll, die auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basiert und eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglicht, um einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden sowie – nach dem 19. Erwägungsgrund – den von der Verordnung eingeführten wirksamen Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C-63/15, EU:C:2016:409, Rn. 42, und vom 25. Oktober 2017, Shiri, C-201/16, EU:C:2017:805, Rn. 31 und 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). [...]

58 Was den u.a. durch Art. 47 der Charta der Grundrechte gewährleisteten effektiven gerichtlichen Rechtsschutz anbelangt, geht aus Art. 27 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung hervor, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht hat. Dieses Rechtsmittel, dessen Tragweite nicht eng ausgelegt werden darf, muss zum einen die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung sowohl hinsichtlich der Anwendung der in ihrem Kapitel III genannten Kriterien als auch hinsichtlich der Beachtung der u. a. in ihrem Kapitel VI vorgesehenen Verfahrensgarantien und zum anderen die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat erfassen, in den der Antragsteller überstellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juli 2017, A. S., C-490/16, EU:C:2017:585, Rn. 26 bis 28, vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C-670/16, EU:C:2017:587, Rn. 43, 47 und 48, und vom 25. Oktober 2017, Shiri, C-201/16, EU:C:2017:805, Rn. 36 und 37).

59 Würde insoweit zugelassen, dass eine Überstellungsentscheidung an die betroffene Person zugestellt werden darf, bevor der ersuchte Mitgliedstaat auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme geantwortet hat, könnte dies zur Folge haben, dass die Person bei der Anfechtung der Entscheidung mit einem Rechtsbehelf eine Frist zu wahren hätte, die in dem Zeitpunkt abläuft, in dem der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort geben soll, oder sogar – wie im Ausgangsverfahren –, bevor diese Antwort erfolgt, da nach Art. 27 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung die Mitgliedstaaten eine Frist festzusetzen haben, in der die betreffende Person ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wahrnehmen kann. Dabei verlangt diese Bestimmung lediglich, dass diese Frist angemessen ist.

60 Unter diesen Umständen wäre die betroffene Person gegebenenfalls gezwungen, gemäß Art. 27 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung vorsorglich ein Rechtsmittel gegen die Überstellungsentscheidung einzulegen oder einen Antrag auf Überprüfung der Entscheidung zu stellen, noch bevor der ersuchte Mitgliedstaat auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betroffenen Person geantwortet hat. Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein solches Rechtsmittel oder ein solcher Antrag auf Überprüfung grundsätzlich nur dann zum Tragen kommen kann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat diesem Gesuch stattgegeben hat (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C-670/16, EU:C:2017:587, Rn. 60).

61 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 46 bis 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, könnte zudem das in Art. 27 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung vorgesehene Recht auf ein wirksames Rechtsmittel in seiner Tragweite eingeschränkt sein, da eine vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats auf das Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch erlassene und an die betroffene Person zugestellte Überstellungsentscheidung nur auf die vom ersuchenden Mitgliedstaat gesammelten und nicht auf die vom ersuchten Mitgliedstaat stammenden Beweise und Indizien gestützt wäre, wie etwa der Zeitpunkt seiner Antwort auf das Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch oder die inhaltliche Begründung, die ihn dazu veranlasst hat, dem Gesuch stattzugeben, wenn seine Antwort ausdrücklich ist.

62 Wie auch der Generalanwalt in Nr. 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind diese Angaben des ersuchten Mitgliedstaats im Rahmen der gegen eine nach Abschluss eines Aufnahmeverfahrens erlassene Überstellungsentscheidung gerichteten Rechtsmittel oder Überprüfungsanträge jedoch besonders wichtig, da der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit nach den Kriterien in der Dublin-III-Verordnung abschließend zu prüfen und auch Informationen zu berücksichtigen hat, die dem ersuchenden Mitgliedstaat nicht notwendigerweise bekannt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C-63/15, EU:C:2016:409, Rn. 43).

63 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich der ersuchte Mitgliedstaat selbst bei einer Eurodac-Treffermeldung veranlasst sehen kann, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme abschlägig zu beantworten, und zwar insbesondere dann, wenn er meint, dass seine Zuständigkeit gemäß Art. 19 oder Art. 20 Abs. 5 Unterabs. 2 der Dublin-III-Verordnung erloschen ist, wie auch Art. 4 der Durchführungsverordnung bestätigt, und der Antragsteller die Möglichkeit haben muss, einen solchen Umstand im Rahmen seines Rechtsbehelfs geltend zu machen (vgl. insoweit Urteil vom 7. Juni 2016, Karim, C-155/15, EU:C:2016:410, Rn. 26 und 27). [...]

65 Dürfte die Zustellung der Überstellungsentscheidung im Sinne von Art. 26 Abs. 1 der Dublin-IIIVerordnung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats stattfinden, liefe dies in den Rechtsordnungen, die im Gegensatz zur der des Ausgangsverfahrens keine Aussetzung dieser Entscheidung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats vorsehen, daher darauf hinaus, dass die betroffene Person dem Risiko ausgesetzt wäre, an den ersuchten Mitgliedstaat überstellt zu werden, bevor dieser der Überstellung grundsätzlich zugestimmt hat.

66 Da im Übrigen mit der Dublin-III-Verordnung – wie in Rn. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt – eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden soll, kann nicht zugelassen werden, dass die Auslegung von Art. 26 Abs. 1 der Verordnung, mit dem der Gesetzgeber den Schutz der Rechte der betroffenen Person stärken wollte, je nach der Regelung der an dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beteiligten Mitgliedstaaten variieren kann.

67 Derselben Logik folgend kann die Schwierigkeit, die sich aus dem Umstand, dass es das französische Recht nicht zulässt, die betroffene Person vor der Zustellung der Überstellungsentscheidung an sie in Verwaltungshaft zu nehmen, ergibt und – wie das vorlegende Gericht bestätigt – ausschließlich auf das nationale Recht zurückgeht, die in Rn. 46 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung von Art. 26 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung nicht in Frage stellen. Im Übrigen geht aus Art. 28 Abs. 2 und 3 der Verordnung eindeutig hervor, dass die Mitgliedstaaten die betroffenen Personen inhaftieren dürfen, noch bevor das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme an den ersuchten Mitgliedstaat gerichtet worden ist, wenn die in diesem Artikel vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind, so dass die Zustellung der Überstellungsentscheidung keine notwendige Voraussetzung für die Inhaftierung ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 2017, Al Chodor, C-528/15, EU:C:2017:213, Rn. 25, und vom 13. September 2017, Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rn. 25 bis 27, 30 und 31).

68 Das Ziel der Dublin-III-Verordnung widerlegt somit nicht die in Rn. 46 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung, sondern spricht vielmehr ebenfalls für sie.

69 Darüber hinaus betreffen die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht nur den Zeitpunkt, an dem die Überstellungsentscheidung zuzustellen ist, sondern auch den Zeitpunkt, an dem diese Entscheidung zu erlassen ist.

70 Insoweit trifft es zu, dass sich der Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung auf die Zustellung der Überstellungsentscheidung und nicht auf ihren Erlass bezieht. In Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Art. 5 Abs. 3 der Verordnung, der die Voraussetzungen, unter denen der Mitgliedstaat bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auf das persönliche Gespräch mit dem Antragsteller verzichten darf, bzw. den Zeitpunkt, an dem es stattzufinden hat, festlegt, steht jedoch, dass dieses Gespräch und jede andere Gelegenheit für den Antragsteller, sachdienliche Informationen vorzulegen, stattfinden müssen, bevor die Überstellungsentscheidung gemäß Art. 26 Abs. 1 der Verordnung ergeht. [...]

74 Daher steht Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung auch dem Erlass einer Überstellungsentscheidung vor der ausdrücklichen oder stillschweigenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaats auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme entgegen.

75 Nach alledem ist Art. 26 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung dahin auszulegen, dass er es dem Mitgliedstaat, der bei einem anderen Mitgliedstaat, den er aufgrund der in der Verordnung festgelegten Kriterien dafür zuständig hält, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung gestellt hat, verwehrt, eine Überstellungsentscheidung zu erlassen und dieser Person zuzustellen, bevor der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. [...]