VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 22.05.2018 - 7 K 3449/16.A - asyl.net: M26285
https://www.asyl.net/rsdb/M26285
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für einen Afghanen nach Konversion zum Christentum, da die Konversion vermutlich eher aus asyltaktischen Gründen und der Suche nach Gemeinschaft geschah und somit in einer die Identität nicht prägenden Weise erfolgte.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Konvertiten, Christen, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, gefahrerhöhende Umstände, affirmativ, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz, Akteur
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1 S. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG). [...]

Aus der Notwendigkeit der gerichtlichen Überzeugungsbildung über eine geltend gemachte religiöse Verfolgungsgefährdung ist allerdings insbesondere im Falle einer Konversion eine Prüfung der inneren, religiös-persönlichkeitsprägenden Beweggründe für einen vorgenommenen Glaubenswechsel erforderlich. Nur wenn verlässlich festgestellt werden kann, dass die Konversion auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung, auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, kann davon ausgegangen werden, dass ein Verschweigen, Verleugnen oder die Aufgabe der neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung staatlicher oder nichtstaatlicher Repressionen im Heimatland den Betroffenen grundsätzlich und in aller Regel unter Verletzung seiner Menschenwürde existentiell und in seiner sittlichen Person treffen würde und ihm deshalb eine Rückkehr nicht zugemutet werden kann. Nur bei einem in diesem Sinne ernsthaften Glaubenswechsel kann das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass der schutzsuchende Ausländer bei einer Rückkehr in sein islamisches Heimatland von seiner neuen Glaubensüberzeugung nicht ablassen könnte. [...]

aa) Zwar ist grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Übertritt vom Islam zum Christentum als Abfall vom Glauben nach gängiger Interpretation der Scharia eine Todsünde darstellt, die grundsätzlich mit dem Tod zu bestrafen ist (UNHCR, Afghanistan, Richtlinien vom 19. April 2016, S. 53, 61). [...]

bb) Der Kläger ist aber nicht in einer seine Identität prägende Weise zum Christentum konvertiert, so dass ihm eine Rückkehr nach Afghanistan ohne die Möglichkeit einer Ausübung der seinen religiösen Überzeugungen entsprechenden Riten in Gemeinschaft zumutbar ist. [...]

Dass man sich von einem im Kindesalter erworbenen muslimischen Glauben abwendet, weil man nicht verstanden hätte, was man im Koran gelesen hätte und um was es gegangen, erscheint angesichts der damit einhergehenden sozialen Ausschließung schwach motiviert, vage und unglaubwürdig. Gerade weil der Kläger fest im islamischen Glauben stand und er auch wissen musste, was Apostaten droht, wäre eine intensive Auseinandersetzung über die Inhalte zu erwarten, bevor ein endgültiger Bruch droht. Näherliegend ist, dass die Hinwendung zum christlichen Glauben aus anderen Motiven wie der Suche nach Gemeinschaft oder auch asyltaktischen Gründen erfolgt ist. Auch das Ausmaß seiner Aktivitäten in der Kirchengemeinde erreicht nicht solche Dimensionen, von einer widerständigen Überzeugtheit im identitätsprägenden Sinn auszugehen. Er besucht seinen Angaben zufolge monatlich 2 bis 3 Mal den Gottesdienst in Berlin. Anderweitige Aktivitäten sind nicht erkennbar. Auch sind seine Kontakte zu gläubigen Muslimen nicht ganz und gar verloren gegangen, sondern bestehen in gewissem Umfang nach wie vor. Infolgedessen hinterließ der Kläger den Eindruck, sich schon, aber lediglich affirmativ dem christlichen Glauben zugewandt zu haben.

Wenn aber die Hinwendung eher affirmativer Natur gewesen ist, schließt das eine Rückkehr nach Afghanistan nicht aus, denn der Kläger vermag sich ebenso affirmativ wieder seinem ursprünglichen Glauben anzuschließen oder auch ohne innere religiöse Überzeugung dort weiterzuleben. Eine innere Überzeugung, die dem entgegenstünde und eine Rückkehr ohne christlichen Ritus als unzumutbar erscheinen lassen würde, ist in der Person des Klägers nicht erkennbar gewesen. [...]

Der Kläger kann auch nicht den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG beanspruchen. [...]

Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt zum einen insoweit bereits an einem individuell glaubhaften Vortrag, denn der Kläger ist nunmehr volljährig und kann sich gegen seinen "Verkauf" durch den Onkel ohne weiteres zur Wehr setzen. Da der Kläger den christlichen Glauben zur Überzeugung des Gerichts eher affirmativ angenommen hat, ist nicht von einer wegen Apostasie drohenden Todesstrafe auszugehen. Der Kläger wird sich voraussichtlich nicht in Afghanistan zu seinem neu erworbenen Glauben bekennen. [...]

Aber auch die allgemeine Versorgungs- und Sicherheitslage der Zivilbevölkerung in Afghanistan kann im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht berücksichtigt werden. Unmenschliche oder erniedrigende Behandlung als in Betracht kommende tatbestandliche Variante setzt im Normbereich des subsidiären Schutzes voraus, dass diese Behandlung von einem der in § 3c AsylG genannten Akteuren ausgeht. Mithin muss sie vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, ausgehen. Nicht umfasst sind anderweitige Ursachen, die zwar zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen, aber keinem der genannten Akteure zugerechnet werden können. Dies ergibt sich aus der Systematik des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, der nach seinem Absatz 3 die Geltung der Regelungen zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach §§ 3c bis 3e AsylG für den subsidiären Schutz anordnet. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 15b RL 2011/95/EU, dessen Umsetzung die Vorschrift des § 4 AsylG dient. So wird ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU nicht schon dadurch verwirklicht, dass eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies ergibt sich dem Gerichtshof zufolge unter anderem daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13 -, NVwZ-RR 2015, 158, Rn. 35 und 41; VGH Mannheim, Urteil vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 - Rn. 73; VG Berlin, Urt. vom 10. Juli 2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15. Mai 2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; kritisch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 mit Hinweis auf die Rsprg. des EGMR).

Daran fehlt es hier, da die humanitäre Notlage in Afghanistan keinem bestimmten Akteur zugerechnet werden kann, sondern neben den jahrzehntelangen Kriegswirren und der daraus resultierenden schlechten Sicherheitslage maßgeblich von der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans sowie den harten klimatischen Bedingungen abhängig ist. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.

Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus. [...]