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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 12.04.2018 - V ZB 164/16 - asyl.net: M26294
https://www.asyl.net/rsdb/M26294
Leitsatz:

[Zum Prüfungsumfang der Haftgerichte bei Zurückweisungshaftverfahren:]

a) Die Haftgerichte haben bei der Anordnung von Zurückweisungshaft nicht zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund des Asylgesetzes der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist.

b) Bei der von Verfassungs wegen gebotenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Zurückweisungshaft haben die Haftgerichte von der Entschließung der beteiligten Behörde auszugehen, die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung durch Abschiebung des Ausländers in sein Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zu vollziehen. Ob diese Entscheidung sachlich richtig ist, haben nicht die Haftgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zu prüfen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Zurückschiebungshaft, Aufenthaltsgestattung, Zuständigkeit, Amtsgericht, Verwaltungsgericht, Abschiebungshaft, Abschiebungshaft, Prüfungsumfang, Haftgericht, Haftrichter,
Normen: AufenthG § 15 Abs. 5, AsylG § 55, AufenthG § 15 Abs. 4 S. 2, SGK Art. 14,
Auszüge:

[...]

1. Entgegen der Ansicht des Betroffenen ist die Haftanordnung nicht deshalb rechtswidrig, weil, wie er meint, der Bescheid des BAMF vom 27. Juli 2016 über die Ablehnung seines Asylantrags nicht wirksam bekannt gemacht worden, ihm als Folge dessen weiterhin gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet gewesen sei und er deshalb nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht habe zurückgewiesen werden dürfen. Die Haftgerichte haben bei der Anordnung von Zurückweisungshaft nicht zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund des Asylgesetzes der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats darf zwar Haft zur Sicherung einer Zurückschiebung nicht angeordnet werden, solange einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nach § 55 Abs. 1 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist (Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 20). [...]

b) Das ist bei der Einreiseverweigerung gemäß Art. 14 Schengener Grenzkodex (SGK) ebenso wie bei der Zurückweisung nach § 15 AufenthG (oder § 18 Abs. 2 AsylG) anders.

aa) Diese Maßnahmen dienen nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers, sondern dazu, schon dessen (unerlaubte) Einreise in das Bundesgebiet und so zu verhindern, dass die Ausreisepflicht erst entsteht und dann gegen ihn durchgesetzt werden muss. Damit dient auch die Haft zur Sicherung einer Zurückweisung oder Einreiseverweigerung nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers, sondern der Sicherung des Vollzugs der Einreiseverweigerung oder der Zurückweisung an der Grenze. Die Haftgerichte haben deshalb bei der Anordnung von Zurückweisungshaft nur den Er-lass und den Fortbestand einer solchen Entscheidung, nicht dagegen zu prüfen, ob dem Ausländer der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist.

bb) Daran ändert es nichts, dass die Grenzbehörde einen Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG an der Grenze nicht zurückweisen darf, solange ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nach den Vorschriften des Asylgesetzes gestattet ist. Hierbei handelt es sich nämlich um eine gewissermaßen negative Voraussetzung der Zurückweisung bzw. - nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 SGK i.V.m. § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG - der Einreiseverweigerung; sie betrifft damit deren Rechtmäßigkeit. Diese Prüfung ist nach der Aufgabenverteilung zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit aber allein Aufgabe der Verwaltungsgerichte. Die Haftgerichte haben deshalb vorbehaltlich abweichender Entscheidungen der Verwaltungsgerichte von der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung oder Einreiseverweigerung auszugehen (Senat, Beschlüsse vom 16. Dezember 2009 V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 f. [Rn. 12] und vom 30. Juni 2011 V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 Rn. 21 für die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung nach § 18 Abs. 2 AsylG und Beschluss vom 20. September 2017 V ZB 118/17, NVwZ 2018, 349 Rn. 18 für die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung nach Art. 14 SGK, § 15 AufenthG).

2. Die Anordnung der Zurückweisungshaft ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Betroffene statt in sein Heimatland, in das er zurückgewiesen werden sollte, aufgrund einer Erwerbserlaubnis möglicherweise auch nach Italien hätte zurückgewiesen werden können. [...]